Alexandra Goloubitskaia, Günther Groissböck. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Wien/ Staatsoper: Liederabend Günther Groissböck am 8.6.2020
Seltsam, im Parkett sitzen zu müssen, mit jeweils 2 – 3 Leerräumen vor, hinter und neben einem, wo einfach die Sitze entfernt wurden.
Wenn jedoch die 100 aufs gesamte Parkett (mit Ausnahme der 3 leicht ansteigenden letzten Sitzreihen vor dem Stehplatzraum) verteilten Besucher sich am Ende einheitlich erheben und den Sänger stehend mit vehementen Bravo-Rufen beglücken, dann weiß man trotz allem, wo man sich befindet: in einem großen Theater mit begeistertem Publikumszuspruch. Endlich wieder!
Dass Günther Groissböck ein hervorragender Sänger ist, weiß die Opernwelt längst. Dass er zwischen seinen immer anspruchsvoller werdenden großen Opernrollen die lyrische Basis, die man für das Liedrepertoire braucht, nicht aufzugeben bereit ist, spricht für seine künstlerische Intelligenz. Mit dieser kann er es sich leisten, ein Programm zu präsentieren, das nicht ein einziges Liebeslied enthält, sondern 13 Liedtexte von Goethe und Mayrhofer, die Schubert vertont hat, 2 Mahler-Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ und 3 Loewe-Gesänge mit Texten von G. Seidl, H.v.Wessenberg und A.W. Schreiber, die sich sämtlich mit exstenziellen Lebensfragen, dem Verhältnis von Menschen zu Übermächten oder mit Naturgegebenheiten befassen.
Da steht nun der großgewachsene Bassist mit minimalem gestischen Aufwand vor dem Hauptvorhang der Staatsoper, großartig begleitet von Alexandra Goloubitskaia, gebürtige Moldavierin, die bereits auf eine beachtliche Weltkarriere zurücklicken kann und seit 2017 Univ. Prof. an der Musik- und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien ist, und bringt mit Stimme, Gesicht und Körperhaltung ganz klar zum Ausdruck – nicht nur, wovon er zu singen hat, sondern so, als würde er von sich aus über die zu besingenden Stuationen oder Probleme nachdenken und das Gedachte in Worte und Töne fassen.
Man glaubt ihm den Prometheus, der den allmächtigen Zeus herausfordert mit seinem stolzen Bewusstsein, dass er als Mensch Menschen nach seinem eigenen Bild zu formen gewillt ist. Er erkennt die Grenzen der Menschheit; er hält Zwiesprache mit dem Frühling, dem Morgenwind, der Nachtigall und den schwebenden Wolken; er identifiziert sich mit dem entsühnten Orest in Mykene; sieht sich auf der Fahrt in den Hades; besingt als Schiffer die Dioskuren; lässt auf seinem Nachen visionär vor uns die Dioskuren/Zwillingssterne leuchten….Eine faszinierende Begegnung für uns Zuhörer und Zuschauer! Das alles vermittelt der Sänger mit dem Bühnentalent uns mit einer Bassstimme von ganz natürlich erscheinender Kraft mit klarer Artikulation.
Dass man sich im Stillen, trotz der vorzüglichen Klavierbegleitung, den Klang dieser Stimme in Verbindung mit einem Orchester ausmalt, liegt auf der Hand. Besonders, wenn’s in hochdramatische Regionen geht, wie bei „Odins Meeresritt“ (Loewe), wo der Gott auf seinem Rappen über Land und Meer, begleitet von 12 Adlern, von Helgoland nach Norwegen zu einer Schlacht reitet … Das erweckt natürlich Wagner-Assoziationen! Und was lag näher als die Draufgabe von Wotans Abschied? Wenn Günther Groissböck schon auf das Wotan-Debut in Bayreuth im heurigen Sommer verzichten muss, so reizt es ihn verständlicherweise, den Göttervater wenigstens konzertant zu Wort und Ton kommen zu lassen. Wenn diese betörende imd mitreißende Musik ertönt und Groissböck förmlich explodiert vor Temperament, Kraft und Leidenschaft, mit entsprechender Stimmentfaltung, dann wissen wir – endlich wieder – wo wir sind: in einem der bedeutendsten Opernhäuser der Welt, wo alle menschlichen Gefühle und Sehnsüchte nur darauf warten, wieder ins Leben gerufen zu werden!
Limitierte Sitzplätze. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Groissböck hatte für diesen Liederabend (nach einem Auftritt im dortigen Staatstheater) auch den Wiesbadener Intendanten, Uwe Eric Laufenberg (von dem in Bayreuth eine sehr geglückte „Parsifal“-Inszenierung auf ihre Wiederaufnahme wartet), nach Wien eingeladen, der dem Sänger ein paar Atempausen ermöglichen sollte, in denen Texte von Goethe , Schiller und Brecht rezitiert wurden. Gewiss eine menschlich verständliche Idee, aber den sehr ansprechenden Inhalten dieser Texte fehlte eine entsprechende Ausdrucksintensität seitens des Rezitators, sodass man gleich wieder begierig auf das nächste Lied wartete…
Jedenfalls: die durch die Medien gegangene Meldung, dass ab September wieder normal gespielt werde, setzt abermals Energien frei – dies-und jenseits der Rampe! Die Hoffnung schon erfüllt Brust…
Sieglinde Pfabigan