WIEN / Staatsoper: Barockoper GIULIO CESARE IN EGITTO
2. Aufführung in dieser Inszenierung (Gastspiel)
8. Juli 2024
Von Manfred A. Schmid
Zum dritten Mal schon schließt heuer die Wiener Staatsoper die Saison mit einem dreiteiligen Gastspiel der Opéra de Monte Carlo ab. Für viele treue Opernbesucher das Ereignis, das sie das ganze Jahr über vermisst haben. Dabei ist das Geheimnis, das hinter diesem Erfolg steckt, ganz einfach beim Namen zu nennen: Es ist Cecilia Bartoli, eine fantastische Sängerin mit überragender Darstellungskraft, dazu eine Quelle schier unerschöpflicher Energie, der es gelingt, alle in ihre Unternehmungen Miteingebundenen in ihrem Flow mitzureißen und zu Höchstleistungen anzuspornen. Ja, die Direktorin der Oper von Monaco und Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele liebt die Show und wird dafür von gar nicht so wenigen verachtet. Aber die Showeffekte, auf die sie setzt und die sie artistisch bravourös umsetzt, sind kein Selbstzweck, sondern ein Mittel der Verführung, mit dem es ihr gelingt, aus interessierten Opernbesucherinnen und Opernbesuchern tatsächlich wahre Opernbegeisterte zu machen. Und das auch bei einer zwar musikalisch genialen Barockoper wie Händels Giulio Cesare in Egitto, die aber inklusive Pause und vielen genre-immanenten, geradezu endlos empfundenen Wiederholungen vier Stunden dauert und die von Krieg und Blutvergießen gekränzte Liebesgeschichte eines römischen Feldherrn (Caesar) und einer nach Macht strebenden ägyptischen Königstochter (Cleopatra) zum Inhalt hat, in der es eigentlich nur um Politik geht.
Gerade die Politik kommt in dieser Produktion aber nicht zu kurz, sondern sie wird in ihrer stereotypen Abscheulichkeit ironisch offenbart. Das ursprüngliche Libretto erzählt die Geschichte, wie gewohnt, aus der traditionellen Sicht der Sieger: Caesar vertritt das kulturell überlegene Abendland, die Weisheit und Ordnungsliebe der zivilisierten Welt, und will mit diesen Segnungen auch den Rest der Welt beglücken. Das brutal eroberte Ägypten steht für die Barbarei. Diese einfache Rechtfertigung für die die Eroberung der Welt wird in dieser Produktion – mit spitzem Humor und ohne die heute auf Bühnen und in den Medien grassierende bloße Blödelei – als plumpes Machtstreben entlarvt. Wenn Caesars erster Auftritt bei seiner Ankunft in Ägypten als P.R.-Aktion mit einer Pressekonferenz gestaltet wird, steht er als machtgeiler, narzisstischer Usurpator auf der Bühne, dem jedes Mittel recht ist, wenn es nur seinem Ziel dienlich ist, die Nummer 1 im Römischen Weltreich zu werden. Auch seine ägyptischen Gegner bekommen ihr Fett ab und sind um keinen Deut besser. Denn im Streit zwischen Tolomeo und seiner Schwester Cleopatra geht es ebenfalls darum, wer die Krone tragen darf. Und um sich durchzusetzen, bringt Cleopatra auch ihre erotischen Reize ins Spiel, wenn sie sie, wie ein Popstar vor einem Mikrofon singend, Caesar bezirzt und auf dessen Sieg über ihren Bruder setzt. Natürlich absolviert auch Caesar einen solchen Auftritt, der an die Mitternachtseinlagen bei einer illustren Kreuzfahrt erinnert. Tatsächlich inszeniert Davide Livermore, Bartolis bevorzugter Regisseur, diese Oper auch auf einem Schiff Anfang des 20. Jahrhunderts. Eine Reminiszenz an Agatha Christie, denn wie in ihrem Kriminalroman Der Tod auf dem Nil steht auch in Livermores Inszenierung am Anfang ein Mord. Pompeo, ein römischer Feldherr und Caesars letzter interner Rivale, wurde ermordet. Wer der Täter ist, wird allerdings erst am Schluss in einem kurzen Stummfilm offenbart: Nahezu alle unmittelbar Beteiligten haben es getan, jeder für sich allein, denn jeder hätte einen Grund dafür…
Der italienische Regisseur Livermores dürfte aber neben Agatha Christies noch eine weitere Inspirationsquelle haben: Federico Fellinis Film E la nave va (Schiff der Träume) aus dem Jahr 1983, der ebenfalls zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt und anhand der Menschen auf einem Schiff zeigt, wie eine verkommene Gesellschaft zum Untergang verdammt ist. Wie dort sind auch in dieser Inszenierung – in Videoeinspielungen von dwok – Szenen aus dem 1. Weltkrieg zu sehen, Flugzeuge im Angriffsflug, Bombentreffer und Feuerbrunst. Einmal erscheint der Bühnenhintergrund, ansonsten vor allem vom mächtigen Gewoge des Meeres und vorbeiziehenden Uferlandschaften erfüllt, blutrot gefärbt. Die überschaubare Bühne davor, mit Brücke, Stiegenaufgängen und zwei Ebenen, stammt von Giò Forma. Lobende Erwähnung verdient die sorgsame Gestaltung der der Zeit entsprechenden Kostüme von Marianna Fracasso. Damit entspricht diese Produktion ganz dem Kriterium des Barocktheaters, das allen Sinnen etwas bieten will.
Cecilia Bartolis Cleopatra ist eine ehrgeizige, von moralischen Bedenken nicht heimgesuchte Frau. Mit honigfarbenem Timbre singt sie – erneut infolge einer Corona-Infektion als indisponiert angesagt – die großen Arien mit Bravour, atemberaubender (!) technischer Brillanz und einer Prise Selbstironie.
Die italienische Altistin Sara Minardo gilt schon seit einiger Zeit als beste Cornelia, Witwe des ermordeten Pompeo, und bestätigt diesen Ruf vollauf. Ihre Klagen und die schroffe Ablehnung der Avancen Tolomeos klingen entschieden und klar.
Der Countertenor Carlo Vistoli verkörpert den römischen Feldherrn Caesar mit heller Stimme und den Allüren eines Popstars, der sich seiner Stärken voll bewusst ist. Urkomisch die Arie, wenn er von Thibault Nolly, wie ein Zigeunerprimas, auf der Geige begleitet wird.
Max Emanuel Cencic, ebenfalls ein Countertenor, allerdings etwas dunklerer Art, ist ein kauziger Ptolomäus mit einem windigen Charakter, der sich selbst lächerlich macht, aber dennoch Gefährlichkeit und Brutalität ausstrahlt.
Der noch junge südkoreanische Sänger Kangmin Justin Kim komplettiert das Trio der Countertenöre. Als Sextus (Sesto), Sohn von Pompeus und Cornelia, will er den Tod seines Vaters rächen. Darstellerisch und gesanglich eine bezwingende Leistung. Der Regisseur Livermore erlaubt sich gleich beim ersten Auftreten einen Scherz: Er stellt Sesto einen Doppelgänger an die Seite, ohne weitere Folgen. Wohl ein persiflierender Seitenhieb auf eine oft zu sehende Eigenheit des Regietheaters.
Der mit einem prächtigen Bassbariton ausgestattete Ungar Peter Kálmán stattet Achilla, den treuen Diener seines Herrn Ptolomäus, der von diesem schwer enttäuscht wird, mit allen Insignien einer Buffo-Figur aus.
Gianluca Capuano ist der musikalische Mastermind von Bartolis Opernprojekten und ein großartiger Dirigent der Aufführung, der das auf Originalinstrumenten spielende Orchester Les Musicies du Prince-Monaco zur Bestform führt. Die mit feinen Varianten angereicherten Wiederholungen sind ein wahrer Genuss. Rare Töne, wie etwa das oft zu hörende Vogelgezwitscher, tragen zu einem außergewöhnlichen Klangerlebnis bei.
Der langanhaltende, begeisterte Applaus gilt auch dem von Stefano Visconti einstudierten Choeur de Opéra de Monte Carlo.
Gastspiele haben üblicherweise Gegeneinladungen zur Folge. Zu hoffen, dass Cecilia Bartoli keine ausgesprochen hat, denn mit welcher Oper könnte man in Monaco reüssieren? Etwa mit der merkwürdigen Il ritorno d‘Ulisse in patria, um bei der Alten Musik zu bleiben? Etwas zum Lachen gäbe es dabei imerhin schon: Das Bühnenbild.