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WIEN / Staatsoper: Gioachino Rossinis IL BARBIERE DI SIVIGLIA

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Vasilisa Berzhanskaya (Rosina) und Étienne Dupuis (Figaro). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Gioachino Rossinis IL BARBIERE DI SIVIGLIA

Premiere

28. September 2021

Von Manfred A. Schmid

Wem seine 2015 am Burgtheater herausgebrachte Inszenierung von Molieres Der eingebildete Kranke nicht gefallen hat, dem wird auch sein Barbiere an der Staatsoper wenig Freude bereiten. Wer aber an den überdrehten, bunten, turbulenten, abwechslungsreich choreographierten und mit bühnentechnischen Raffinessen ausgestatteten Versionen der Commedia dell’arte von Herbert Fritsch, mit der er seit Jahren die Theater- und Opernwelt beliefert, Gefallen findet, wird hier bestens bedient.

An diesem Abend ist dies offensichtlich bei der Mehrheit des Publikums auch tatsächlich der Fall. Es wird gelacht wie schon lange nicht mehr. Keine Szene, keine Arie, die nicht mit Applaus quittiert wird. Und das durchaus mit Recht: Fritsch verlangt viel von seinen (von Victoria Behr) in farbenprächtige Kostüme gesteckten und mit abenteuerlichen Frisuren ausgestatteten Akteuren: körperliche Verrenkungen, tänzelnde und trippelnde Auftritte, Grimassen sowie die ausgeklügelte Ausnützung eines Bühnenraums, der bis auf einen einmal von Rosina in Anspruch genommenen Balkons, der eher einer großen schwarzen Kiste ähnelt, und einer Leiter, die allerdings nie verwendet wird, keinerlei Möbiliar aufzuweisen hat. Fritsch, auch für das Bühnenbild zuständig, verwendet stattdessen farbige, transparente, sich immer wieder verschiebende Vorhänge und Stoffbahnen, um den Raum zu gliedern und die jeweilige Atmosphäre zu markieren. Für Andeutungen von Stufen und dergleichen sorgt der für die Lichtregie verantwortliche Carsten Sander.

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Paolo Bordogna (Don Bartolo)

Gewiss hat es viel Probenarbeit erfordert, damit alles wie am Schnürchen und ohne sichtbare Anstrengung und Verkrampfung abläuft. Fritsch muss in der Tat eine ansteckende Art haben, um für seine aberwitzige Herangehensweise so bereitwillige, alles gebende Mitstreiter gewinnen zu können. Denn mit sichtlichem Vergnügen und maximalem Einsatz machen die Sängerinnen und Sänger sowie der Chor da mit. Man spürt förmlich, wie es ihnen Freude macht, sich einmal so austollen zu können. Da es weder Schere noch Rasiermesser gibt, bearbeitet z.B. Figaro den Bart Bartolos allein mit ausladenden Gesten. Briefe werden herumgereicht und zerrissen, die in Wirklichkeit gar nicht vorhanden sind, und Graf Almaviva wird bei seiner Serenade von Figaro selbstverständlich auf der Luftgitarre begleitet. Simple Gags – und doch überraschend effektvoll und witzig.

Kein Wunder, dass so etwas die für die Einhaltung überlieferter Sichtweisen zuständigen Kunstrichter auf den Plan ruft, die dann, wie einst die volksdemokratischen Zensoren, rasch die Formalismus-Keule hervorholen und mehr Realismus fordern werden. Geht’s noch? Das ist eine Commedia, eine Opera buffa, und die Handlung ist so simpel und vorhersehbar, dass sie auch im Wirrwarr kenntlich bleibt. Der alte Mann will sein Mündel heiraten, wird an der Nase herumgeführt und kriegt die blutjunge Rosina natürlich nicht.

Ein Einwand darf in diesem Zusammenhang allerdings nicht unerwähnt bleiben und betrifft die Repertoiretauglichkeit von Fritschs Inszenierung: Es ist schwer vorstellbar, dass es bei Neubesetzungen genügend Probenzeit und – in Abwesenheit des Regisseurs – ausreichende Anreize geben wird, um das Ganze so umsetzen zu können, wie es am Premierenabend zu erleben ist. Ganz zu schweigen von der besetzungstechnischen Herausforderung, sollte einmal das einzigartige Bewegungswunder Ruth Brauer Kvam für die Rolle des Ambrogio nicht zur Verfügung stehen. Insofern hätte der Regisseur auf die Einführung dieser von Brauer zwar spektakulär gestalteten Rolle, deren Funktion im Gesamtgefüge sich aber nicht unbedingt erschließen lässt, vielleicht besser verzichten sollen.

Von der Herausforderung des Publikums, sich neuen Sichtweisen auf Altbekanntes zu stellen, zum musikalischen Teil des Opernabends: Michele Mariotti, der musikalische Leiter, hat jahrelange Erfahrung im Umgang mit Rossini, mit dem er den Geburtsort Pesaro teilt. Dass er manches anders anlegt, als gewohnt, war daher zu erwarten. Das betrifft Tempi ebenso wie kleine Pausen, Lautstärken und bestimmte Phrasierungen. Was man einem Harnoncourt zugesteht, sollte man auch diesem Dirigenten zubilligen. Zumal das hier besonders am Platz ist. Nicht nur die Regie fordert diesmal die Gewohnheiten heraus. Auch die eingefahrenen Hörweisen von Rossinis komödiantischer Oper werden einem Test unterzogen, indem ein paar auffällige, gewiss nicht mutwillige Abweichungen vom Gewohnten die Aufmerksamkeit schärfen und dem üblichen Darüber-Hinweg-Hören Barrieren in den Weg stellen.

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Juan Diego Florez (Graf Almaviva)

Juan Diego Florez, inzwischen längst in neuen Gefilden tätig, kehrt als Graf Almaviva wieder einmal in das Belcanto-Fach zurück. Dass er das stimmlich weiterhin glänzend schafft, ist keine Überraschung, wohl aber die ausgelassene komödiantische Art, wie er als betrunkener Lindoro über die Bühne stolpert oder sein Auftritt als Musiklehrer-Ersatz für den angeblich erkrankten Don Basilio. Ein schauspielerisches und gesangliches Vergnügen.

Mit ihm mithalten kann Ildar Abdrazakov, der als eitler, selbstverliebter, manieristischer Don Basilio nicht nur für Komik sorgt und – ein Narzisst par excellence – ständig mit dem Publikum schäkert, sondern seinen wohl geführten Bariton in allen Farben schillern lässt. Seinen Zopf verwendet er als Peitsche, die er über seinem Haupt schwingen lässt, er dient dem Figaro u.a. aber auch als von ihm ausgeborgtes Mikrofon.

Étienne Dupuis, in der ersten Saison der Ära Roscic bereits als Valentin in Faust zu erleben, ist ein umtriebiger, sympathischer Figaro. Stimmlich kann er mit seinem zuweilen etwas ruppigen Bariton (noch) nicht ganz mit Florez und Abdrazakov mithalten. Allemal aber immer noch mehr als Paolo Bordogna, der als Don Bartolo sowohl gesanglich wie auch schauspielerisch blass bleibt.

Eine herbe Enttäuschung ist die in manchen Medien als Zukunftshoffnung gehypte Vasilisa Berzhanskaya bei ihrem Hausdebüt als Rosina. Ein unauffälliger, farbloser Mezzosopran, vor allem aber stimmlich zu behäbig und plump für diese Partie. Vom frischen, leichtfüßigen, anmutigen Flair, das man gemeinhin mit der Stimme einer Rosina verbindet, ist hier wenig zu vernehmen. Die Opernstudio-Mitglieder Stefan Astakhov und Aurora Marthens debütieren als Fiorello und Berta.

Großer Schlussapplaus, der allerdings eher kurz ausfällt. Wohl weil bereits während der Aufführung häufig und ausgiebig geklatscht worden war. Zwei oder drei Buhrufer für Fritsch und sein Team gibt es auch.

Alles in allem: Diese Inszenierung von Herbert Fritsch erinnert ein bisschen an das Hundertwasser-Haus in Wien. Gottseidank, dass nicht alle Bauten in der Großstadt so aussehen und nicht alle Inszenierungen an der Staatsoper nach diesem Muster gestrickt sind. Aber als bunter Farbtupfer und bewusster Regelbruch im Grau des Straßenalltags wie auch des Repertoires ist so ein wundersames Gesamtkunstwerk durchaus berechtigt und wird die Zuseherinnen und Zuseher wieder einmal überraschen.

 

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