
Piotr Beczala, Sonya Yoncheva. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Mchael Pöhn
WIEN / Staatsoper: Giacomo Puccinis TOSCA
618. Aufführung in dieser Inszenierung
21. Mai 2021
Von Manfred A. Schmid
Neue Besen kehren gut. Dazu gehört, dass sie auskehren und Platz schaffen für Neues. In einem Haus wie die Staatsoper, in der Tradition so hochgehalten wird wie vielleicht sonst nirgendwo, gibt es inszenatorische Dinosaurier, die längst hätten entsorgt werden müssen. Bei der aus dem Jahr 1958 stammenden Butterfly-Inszenierung von Josef Gielen hat Direktor Bogdan Roscic diesen Schritt bereits gewagt und mit Antonio Minghellas hochgelobter Neuinszenierung einen starken Akzent gesetzt. Ob er das auch mit Margarethe Wallmanns Tosca vorhat, die ebenfalls bereits 1958 ihre Premiere erlebt hat, bleibt abzuwarten. Hier wäre der Aufschrei des Publikums, das gerade diese Produktion über die Jahre besonders liebgewonnen und ins Herz geschlossen hat, gewiss um einiges lauter. Denn es rechnet fest damit, dass Scarpia, wie gewohnt, mit gepuderter Perücke im barock möblierten Palais sein Unwesen treiben wird, auch wenn diese Kulisse längst Staub angesetzt hat und nur noch da ist, um als wacklig und brüchig gewordener Bilderrahmen zu dienen. So wird also – um ein anderes Bild zu strapazieren – auch in der 618. (!) Aufführung nur neuer Wein in alte Schläuche gefüllt. Diesmal aber ist es ein Wein besondere Güte: Mit Sonya Yoncheva, Piotr Beczala und Ambrogio Maestri ist Spitzenklasse garantiert.
Sonya Yoncheva gehört seit ihrem Rollendebüt als Tosca 2018 an der MET zu den gefragtesten Sängerinnen in dieser Partie. Die aus Bulgarien stammende Sopranistin, die ihre Karriere als Schützling William Christies in Barockopern begonnen hat, hat sich seit damals fulminant weiterentwickelt. Ihr leuchtender lyrischer Sopran ist voller geworden und kann mit einem bemerkenswerten Legato aufwarten. Ihr „Vissi d’arte“ ist weniger ein Bekenntnis, sondern sie geht in sich, reflektiert über ihr Leben, ihr Wesen und ihre Bestimmung angesichts der bedrohlichen Situation und seelischen Pein. Ihre fokussierte, silbrig-samtig schimmernde Stimme bleibt in allen Lagen präsent, und so wirkt die Arie bei ihrem ersten Wiener Auftritt in dieser Rolle wie ein berührendes, inniges Gebet. Auch darstellerisch ist die Sängerin seit dem New Yorker Debüt, das hierzulande auch in den Kinos zu sehen war, vorangekommen. Toscas Eifersuchtsausbrüche und ihr Zorn – etwa im herzzerreißenden „Ed io venivo a lui tutta dogliosa“ – sind glaubwürdiger geworden. Da gibt es aber noch Luft nach oben. Am stärksten ist Yoncheva in den Liebesszenen im ersten Akt, wo ihr Sopran in „Certa son del perdono“ himmlische Höhen erklimmt.
Ambrogio Maestri, derzeit der wohl gesuchteste Falstaff der Welt und auch in Wien hochgeschätzt, zählt auch den Scarpia zu seinen Paraderollen. Der italienische Bariton ist, mit einem Wort, eine imposante Erscheinung in puncto Temperament, Stimme und Persönlichkeit. Die perfide Bösartigkeit Scarpias trägt er aber nicht plakativ zu Schau, sondern er geht dabei höchst subtil und gerade deshalb äußerst wirkungsvoll vor. Er ist ein überlegter Genießer der Grausamkeit, die er kennerisch und lustvoll auskostet. Ein Meister der Intrige. Kalkulierend und lauernd, strategisch gewappnet und taktisch erfahren, geht er ans Werk. Nur wenn es unbedingt erforderlich ist, wird er laut, dann aber mit kraftstrotzender, einschüchternder Bestimmtheit und brutaler Gewalt.

Ambrogio Maestri und Sonya Voncheva
Als Cavaradossi zeigt sich Piotr Beczala erneut auf dem Gipfel seiner Gesangskunst und gestalterischen Fähigkeit. Schon in „Damni i colori!… Recondita armonia“ erobert er das Publikum im Sturm und beeindruckt im 2. Akt mit einem trotzigen, flammenden Bekenntnis zur „Liberta!“. Dass Beczala dann am Schluss „E lucevam le stelle“ wiederholen muss, ist inzwischen so sicher wie das Amen im Gebet. Der stürmische Applaus, der dies erzwingt, ist länger als der Schlussapplaus bei so mancher Opernaufführung und dauerte gefühlte sechs Minuten. Ein einsamer Buhrufer bemüht sich vergeblich um Gehör. Auch auf der Galerie gibt es manchmal Geisterfahrer.
Evgeny Solodovnikov ist ein eindrücklich in Erscheinung tretender Angelotto, Wolfgang Bankl als Mesner wieder einmal eine Luxusbesetzung. Wie er das Augenmerk auf sich zieht, als er von Cavaradossi dabei ertappt wird, einen Schluck aus der Weinflasche zu machen und dann sofort abzulenken versucht, ist einfach köstlich. Andrea Giovannini (Spoleta) und Attila Mokus (Sciarrone) sind verlässliche Schergen Scarpias, Maryam Tahon verleiht dem Hirten eine berührende Stimme.
Axel Kober, der musikalische Leiter, hat ein gutes Gespür für die Abstimmung zwischen Orchester und Bühnengeschehen. Es geht zwar hoch her, wenn es sich um die düster-lauten Scarpia-Akkorde handelt, aber die Sänger und die Sängerin werden nie zugedeckt. Was auffällt ist, dass der Chor, der im 2. Akt vor Scarpias Palast eine Kantate singt, wobei die Musik nur beim Fenster hereintönt, leiser wirkt als üblich. In manchen Vorstellungen war das, was man zu hören bekam, zu laut. Diesmal vielleicht eine Spur zu leise. Doch dem guten musikalischen Gesamteindruck dieser eifrig beklatschten Aufführung tut dies keinen Abbruch. Ein Abend der großen Stimmen auf der Bühne und im Orchestergraben und mit blendender Stimmung im Publikum, das langsam zur Normalität zurückfindet und gerade dabei ist, nach den vielen Streamings die Oper live wieder zu entdecken. Und wenn ein derartig hoher Qualitätsstandard bei Repertoireaufführungen zur Regel, zur Normalität werden sollte, wäre das mehr als erfreulich.