WIEN / Staatsoper: Giacomo Puccinis TOSCA in der ewigen Wallmann-Inszenierung
626. Aufführung in dieser Inszenierung
27. Dezember 2021
Von Manfred A. Schmid
Nach den herausfordernden Neuinszenierungen von Don Giovanni und Parsifal und der gar nicht so alten und doch schon arg an der Langweile kratzenden des Don Carlo hat die Wiener Staatsoper mit der Tosca von 1958 nun wieder auf Museumsbetrieb umgestellt. Nach (auch gefühlten) 626 Vorstellungen hat man sich an der ebenso vertrauten Regiearbeit von Margarete Wallmann zwar schon mehr als sattgesehen, aber noch traut sich keiner daran zu rütteln. Das Publikum verharrt – angesichts der Altwiener Erkenntnis, „Wer weiß, ob was Besser‘s nachkommt,“ in geduldig abwartender Pose: Man muss sich wenigstens nicht aufregen. Und der Direktor und sein Chefdramaturg fürchten wohl, die Leute mit allzu viel Regietheater auf einmal zu überfordern und noch mehr gegen sich aufzubringen. Es wird also wohl noch ein bisschen dauern, bis es dieser Tosca an den Kragen geht.
Die ebenso legendäre wie robuste Wallmann-Inszenierung ist jedenfalls erwiesenermaßen praktikabel und hat schon jeder Menge Toscas, Cavaradossis und Scarpias genügend Freiraum zur Entfaltung ihrer darstellerischen Künste und wohl auch mancher ungefragt eingeschleuster Innovation geboten. Bis auf die mit routinierten und verlässlichen Hauskräften besetzten Nebenrollen – Spoletta (Andrea Giovannini), Sciarrone (Attilas Mokus), den Schließer (Marcus Pelz) und den Hirten (Maryam Tahon) – gibt es diesmal durchwegs Rollendebüts.
Saioa Hernández, zuletzt als Abigaille in Nabucco und bei Domingos Noche Espanola im Einsatz, ist eine passable Tosca. Dank ihres fülligen, etwas metallisch tönenden Soprans (Messing, nicht Silber) gelingen ihr die dramatischen Zuspitzungen besser als die zarten lyrischen Momente. Ihr „Visi d’arte“ klingt innig und durchgestaltet. Der Zauber, der dieses leidenschaftliche Bekenntnis umwehen kann, will sich aber nicht einstellen. Dafür ist ihre Wiederbegegnung mit Cavaradossi im 3. Akt, wenn sie ihrem Geliebten vom Ausgang ihrer Begegnung mit Scarpia berichtet, an fesselnder Wirkung kaum zu übertreffen.
Beim italienischen Tenor Luciano Ganci fällt die Einschätzung seiner Stimme gerade umgekehrt aus. Ihm liegt eindeutig das Lyrische mehr, weshalb er vor allem im 1. Akt punkten kann. Trotz sicherer Höhenlage wirkt er in den dramatischen Ausbrüchen zu forciert. Den „Vittoria“-Rufen im 2. Akt fehlt die Kraft der trotzigen Gewissheit. Cavaradossis gesanglicher Höhepunkt „E lucevan le stelle“ wird ausgiebig beklatscht, was aber weniger mit der soliden Leistung des Sängers zu tun hat. Die Leute freuen sich darüber, dass ihnen die Arie vertraut ist. Und sollte es Direktor Roscic tatsächlich gelingen, dass mehr jungen Menschen in die Oper gehen, dann wird man sich vielleicht daran gewöhnen müssen, dass sie – wie bei Popkonzerten – zu klatschen beginnen, sobald sie eine Arie wiedererkennen.
Der Bösewicht Scarpia ist mit Gevorg Hakobyan besetzt. Der aus Armenien stammende Sänger verfügt über einen angenehm timbrierten dramatischen Bariton, dem es aber – für dieses Haus – an Durchschlagskraft mangelt. Damit fehlt bereits im „Ted Deum“ die erschütternde Offenbarung, mit wem man es da zu tun hat, welche Macht und Gefährlichkeit Scarpia ausstrahlt. Der 2. Akt geht so. Mehr aber wohl nicht.
Eine Hausbesetzung ist Martin Häßler als gehetzter Angelotti, dem er stimmlich und darstellerisch rollengerecht und ausdrucksstark verkörpert. Ein überraschend spätes Rollendebüt als Mesner hat Dan Paul Dumitrescu, der ansonsten kaum in einer Staatsopern-Aufführung fehlt, wenn ein zweiter Bass gefragt ist. Nun weiß man warum. Diese kleine, aber wichtige Partie, scheint ihm nicht – oder noch nicht – zu liegen. Die für diese Figur nötige Mischung aus Gemütlichkeit und Verbohrtheit, aus Biederkeit und Bösartigkeit, die im 1. Akt, der bereits ab den einleitenden, drohend brutalen Scarpia-Akkorden spannungsvoll aufgeladen ist, für Lacher sorgen kann, liegt ihm nicht. Und eine andere Deutung gibt er noch nicht zu erkennen.
Was an diesem Abend aus dem Orchestergraben kommt, ist Durchschnittsware. Patrick Lange am Pult sorgt für routinierte Abläufe. Die schon so gut wie ewig auf- und abgespielte Inszenierung und die solide, aber unspektakuläre Besetzung mögen dazu beigetragen haben, dass es diesmal zu keinem außerordentlichen Opernabend gekommen ist, sondern nur zu einer braven Repertoire-Aufführung gereicht hat.
Im erwartungsgemäß nur maximal zu etwa zwei Drittel gefüllten Opernhaus gibt es zufriedenen bis begeisterten Applaus. Man hat ja im Vorfeld einiges auf sich nehmen müssen, um – nach verzögertem Beginn, offenbar waren die Eingangskontrollen doch zeitraubender als geplant – dabei sein zu können.
28.12 2021