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WIEN / Staatsoper: Giacomo Puccinis TOSCA

Eine Repertoirevorstellung der gehobenen Art

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Ludovic Tézier (Scarpia), Carmen Giannattasio (Floria Tosca). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Giacomo Puccinis TOSCA

623. Aufführung in dieser Inszenierung

6. September 2021

Von Manfred A. Schmid

Der ältesten im Repertoire befindlichen Inszenierung ging es schon an den Kragen. Josef Gielens Madama Butterfly aus dem Jahr 1957 hatte es auf respektable 393 Aufführungen gebracht, bis sie im Vorjahr von Anthony Minghellas famoser Neuinszenierung abgelöst wurde. Ein längst fälliger Schritt, mit dem Staatsoperndirektor Roscic seine erste Saison eröffnet hatte. Mit bedeutend mehr, nämlich 623 Aufführungen, kann Margarete Wallmanns legendäre Tosca aufwarten. Bei der Premiere 1958 sang Renata Tebaldi, und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Sie hat gute Dienste erwiesen, aber nachdem man in den letzten Jahrzehnten schon zig Vorstellungen in diesem Gewand gesehen hat, könnte man sich – trotz aller Liebe und Treue – schon etwas Neues vorstellen. Der Aufschrei wäre aber vermutlich groß.

Daher wieder einmal eine Vorstellung im gewohnten Umfeld. Wie bei der ersten Aufführung sind auch bei der zweiten recht viele freie Plätze frei geblieben. Woran das liegen mag, wo doch Puccini-Opern immer schon richtige Renner sind? Hat sich das Wiener Publikum – derzeit gibt es ja kaum Touristen als Kunden – an der Inszenierung tatsächlich schon sattgesehen? Oder liegt es an der Besetzung, die für eine Saisoneröffnung – abgesehen von Erwin Schrott bzw. den für ihn einspringenden Ludovic Tézier – nicht mit den allerersten Namen locken kann? Wenn Letzteres zutreffen sollte, wäre das bedauerlich, denn die gebotenen Leistungen sind durchaus überzeugend, und Carmen Giannattasio und Fabio Sartori gelten gerade für die Partien der Floria Tosca und des Cavaradossi als international gesuchte und überaus geschätzte Interpreten.

Das Staatsopernorchester zeigt sich an diesem Abend jedenfalls in bester Form und verleiht der ungemein melodramatischen Musik, die auch vor gewaltigen Klangballlungen nicht zurückschreckt, die erforderliche Kraft und Leidenschaftlichkeit. Und der wehmutsvolle, von Abschiedsschmerz geprägte Klang des Cellos und der Flöte im Schlussakt entfaltet seine zauberhafte Wirkung. Dirigent Axel Kober hat das Geschehen stets im Auge, sorgt dafür, dass auch die zarten Passagen ausströmen können und hat ein feines Ohr für die Bedürfnisse und Gestaltungsimpulse der Sänger. Italianita pur, die zuweilen knapp an der Grenze zur Kolportagehaftigkeit schrammt, was der Partitur aber durchaus entspricht.

Den Zungenbrecher aus dem Rossini-Barbier – Figaro hier, Figaro da, Figaro hüben, Figaro drüben – könnte man derzeit ohne Weiteres umdeuten: Ludovico hier, Ludovico da. Denn ohne Ludovic Tézier ist, zumindest in Österreich, derzeit offenbar keine Tosca realisierbar. Eben erst umjubelter Scarpia bei den Salzburger Festspielen und – als Einspringer – auf dem Grazer Schlossberg, und nun auch in Wien, wiederum als Einspringer vom Dienst. Ein eleganter, gut geführter Bariton, der auch mächtig aufdrehen und Angst und Schrecken verursachen kann. Gänsehaut erzeugend im bigott geheuchelten „Te Deum“ des ersten Akts und markerschütternd gefährlich im Folterakt. Die stimmlich brillante Performance wird ergänzt durch ein fein abgestimmtes Mienenspiel und durch ausdrucksstarke Gestik.

Fabio Sartori hat eine lange, durch zustimmende Kritiken dokumentierte Karriere als Cavaradossi aufzuweisen und war in Wien u.a.  auch schon als Rodolfo, Don Carlo und Canio zu erleben. Ein kraftvoller Tenor mit sicherer Höhe und Glanz, was ihn vor allem für das italienische Fach mit Schwerpunkt Verdi und Puccini prädestiniert. Gestaltungsmäßig ist der füllige Sänger aus Treviso nicht sehr wendig und erinnert dabei etwas an den großen Johan Botha. Wer auf der Bühne so agiert, muss gut bei Stimme sein, um das einigermaßen wettmachen zu können, was Sartori in seiner Gestaltung von „E lucevan le stelle“ eindrucksvoll unter Beweis stellt und dafür auch gebührend beklatscht wird.

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Carmen Giannattasio (Floria Tosca), Fabio Sartori (Cavaradossi)

 

Ein gern gesehener Gast auf den großen Bühnen der Welt ist die italienische Sopranistin Carmen Giannattasio, die 2002 den Operalia-Gesangswettbewerb in Paris gewonnen hat und seitdem vor allem in italienischen Opern zum Einsatz kommt. Ihr Debut als Tosca 2018 in San Francisco hat ein großes und begeistertes Echo ausgelöst. In Wien hat sie 2016 als Alice Ford in Falstaff debütiert. Überzeugend gestaltet Giannatasio den zwiespältigen. launenhaften Charakter einer Diva, die das Spielen von Rollen auskostet, bis sie im berührend vorgetragenen „Vissi d’arte“ Rechenschaft über ihr bisheriges Leben ablegt, sich ihrer Verletzlichkeit bewusst wird und danach den Entschluss fasst, sich gegenüber Scarpia zur Wehr zu setzen. Ihr fein modulierender Sopran ermöglicht es ihr, diese wandelnden Stimmungen umzusetzen. Darstellerisch nimmt sie sich einige Freiheiten, für die das geräumige Bühnenbild aber genügend Freiraum bietet. So lässt sich etwa im ersten Akt hingebungsvoll auf den Stufen nieder, auf denen Cavaradossi steht und am Madonnenbild malt. Kollege Troger hat in seiner Kritik des ersten Abends der Wiederaufnahme übrigens angemerkt, dass die Sängerin in der dramatischen Schlussszene viel zu früh die Stiege hinaufgerannt sei, um sich auf der Flucht vor den Häschern in die Tiefe zu stürzen. Das hat sich Giannattasio offenbar zu Herzen genommen, nur war sie diesmal eindeutig zu langsam. Ihr Verfolger musste sekundenlang ausharren, bis er ihr endlich nacheilen konnte. Beim 3. Anlauf am 9. September wird das aber gewiss klappen.

Clemens Unterreiner ist ein höchst dramatischer, in höchster Erregung und Bedrängnis auftretender Angelotti und lässt erahnen, welches Unheil die erschütternd bedrohlichen Anfangsakkorde aus dem Orchestergraben zuvor ankündigten. Wolfgang Bankl liefert das Kabinettstück einer ausgefeilten Rollengestaltung für den Mesner, wie man sie seit Alfred Sramek nicht mehr erlebt hat. Peter Kammerer und Marcus Pelz sind bewährte Schergen Scarpias. Erwähnung verdient Maryam Tabon als berückend singender Hirte.

Begeisterter, wohlverdienter Applaus für eine Repertoirevorstellung gehobener Art.

 

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