Wiener Staatsoper: Don Carlo. Gestern und Heute …. geht nicht stimmig auf
Joshua Guerrero (Carlo), Etienne Dupuis (Posa). Foto: Wiener Staatsoper/Frol Podlesny
Multitalent Kirill Semjonowitsch Serebrennikov, Jahrgang 1969, queerer Moskauer Theater-, Film-, Opernregisseur, wegen seiner Wiener „Parsifal“-Inszenierung 2021 eher hierzulande kein Publikumsliebling, ist Nawalnys Schicksal entflohen – entkommen Putins Gefängnissen. Seit zwei Jahren lebt und schafft er in Berlin. Die schrecklichen Auswüchse von rigider Herrschaft und Unterdrückung kennt er an der eigenen Haut. Eine neue Inszenierung von „Don Carlo“ ist ihm nun in der Staatsoper anvertraut worden. Giuseppe Verdi in all seiner Genialität: Ein Klangwunder-Musterbeispiel auf der Opernbühne über Seelenadel. Wie auch über kirchliche und habsburgische Machtausübung im 16. Jahrhundert. Solches von Serebrennikov betont hervorgehoben. Und diese Szenen wie die Verdammungen des Don Carlo und seines Freundes Marquis von Posa gelingen vor allem sängerisch mit umwerfender Kraft. Wie auch die Abweisung der um Gnade flehenden Deputierten aus dem unterdrückten Flandern oder das Schicksal der Hofdame Eboli. Sonst aber, wohl schon sehr, sehr irre auf russische Art, wird die Handlung zerzaust und, nicht zum Vorteil einer stimmigen Erzählung, auf den Kopf gestellt.
Wo finden wir uns am Beginn des Dramas ein? In dem riesigen sterilen Raum eines groß angeschriebenen ‚Institut für Kostümkunde‘, angesiedelt in Yuste (der dortige Palast ist das Refugium von Kaiser Karl V. gewesen). Hier werden zuerst stumme wie starre Statisten als König Philipp II., Königin Elisabetta oder Don Carlo in die prachtvollsten historischen Herrscherkostüme eingekleidet. Leger und unscheinbar kommen nach und nach die Sänger hinzu. Zu umgestellter Musik entwickelt sich die Geschichte. Alles ein wirres Durcheinander! Was ist da los, was sollen diese andauernden Umkleideaktionen? Serebrennikovs auswucherndes Phantasiespiel lenkt von der grandiosen Erzählung der Musik ab. Die Vermischung von Historie und Heute fährt auf zwei Schienen, geht nicht klar auf, zerreißt die Dramatik. Speziell: die Liebesgeschichte zwischen Don Carlo und Elisabetta bleibt ein splittriges Puzzle. Dafür gibt es auf den Videowänden als Geschichtslektion Kürzesteinspielungen von den Lebensdaten der historischen Personen. Und rundum noch und noch überflüssige wie von der Musik ablenkende Actions.
Roberto Tagliavini (Philipp II.) und Ensemble. Foto: Wiener Staatsoper/ Frol Podlesny
Große Besserung auf dem Weg ins Finale. Philippe Jordans Dirigat bringt die klangschöne Wiener Philharmoniker-Tradition zur vollen Blüte. Roberto Tagliavini wird als Philipp II. zum stimmgewaltigen Granden auf der Bühne, und Dmitry Ulyanov (Großinquisitor) wie Ivo Stanchev (ein Mönch) stehen ihm nicht viel nach. Der seriöse Joshua Guerrero in der Titelrolle muss gegen die wirre Dramaturgie ankämpfen. Klar charakterisierend trumpft Etienne Dupuis als Marquis von Posa auf. Fein in Gesang und Spiel auch die Damen. Doch: Für die Stimme der ausdrucksstarken Asmik Grigorian dürfte die Partie der Königin Elisabetta nicht so ganz zugeschneidert sein. Und Eve-Maud Hubeaux muss sich als Eboli etwas mühsam in diese abstruse Episodenfolge eingliedern. Dank des Orchesters und der Sänger bei all dieser Inszenierungszauberei: Starke Momente sind in diesem mehrgeleisigen Macht-Parcours genügend zu erleben.
Meinhard Rüdenauer