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WIEN / Staatsoper: Fulminanter Saisonstart mit neuer Carmen

So könnte es weitergehen!

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Aigul Akhmetshina (Carmen) und Vittorio Grigolo (Don José). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Saisonstart mit der sensationellen Carmen-Sängerin Aigul Akhmetshina

31. Aufführung in dieser Inszenierung

4. September 2024

Von Manfred A. Schmid

Die aus einem keinen Dorf in der russischen Teilrepublik Baschkortostan stammenden Mezzosopranistin Aigul Akhmetshina, noch nicht einmal 30 Jahre alt, verhilft der Wiener Staatsoper zu einem fulminanten Start in die Saison 2024/25. Die derzeit gefragteste Besetzung in dieser Rolle – Akhmetshina war vor ihrem Staatsoperndebüt in diesem Jahr bereits an der Royal Opera in London, der New Yorker MET sowie beim Glyndebourne Festival als Carmen im Einsatz – fügt sich in die sozialkritische, romantikbefreite Inszenierung von Calixto Bieto exzellent ein. Da singt und agiert sie wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser und fasziniert mit ihrer samtig-rauchigen Stimme im unteren Register und mit glanzvollen Belcanto-Tönen in den höheren Lagen. Eine gefährlich verführerische, eigenwillige, auch rätselhafte Carmen. Ob schnippisch spöttelnd wie in „Tra la la la“, oder freizügig sinnlich wie in der „Habanera“ („L’amour est un oiseau rebelle“), immer singt sie makellos, technisch perfekt und voll konzentriert und doch mit einer wunderbaren, geradezu tänzerischen Leichtigkeit. Auf die weitere Karriere dieser Ausnahmesängerin darf man gespannt sein. Geht es in Richtung Verdi? Wenn ja, da hoffentlich gut beraten und nicht zu übereilt.

Als Don José zieht Vittorio Grigolo seine gewohnte Sow ab, hat dabei aber ein gutes Gespür für die richtige Balance an der Seite der enorm bühnenpräsenten Carmen und singt mit herzzerreißender Leidenschaft. An seiner Darstellung scheiden sich die Geister: Man mag ihn – oder nicht. In der Blumenarie „La fleur que tu m’avais jetée“ offenbart er jedenfalls eindrucksvoll, wie er von seinen widersprüchlichen und doch so starken Gefühlen für Carmen überwältigt wird, wobei sich die alles verzehrende Liebe auch in der Stimme – bis hin zu einer unregelmäßigen Atmung und sogar Keuchen gegen Ende – niederschlägt. So ist er eben und kann nicht anders. Was ihn dann doch auch irgendwie sympathisch macht. Unnachahmlich ist er ja ohnehin. Bekanntlich auch beim Applaus. Ohne die Hände siegreich Hochreißen und Niederknien geht es gar nicht. Nur das Boden-Küssen fiel diesmal aus.

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Erwin Schrott (Escamillo), Aigul Akhmetshina (Carmen) und Chor

Eine in Wien schon gut bekannte Show bietet auch Erwin Schrotts als Escamillo, der selbstbewusste, sich der breiten Masse gerne präsentierendem geliebte und bewunderte, verehrte Volksheld. In seiner Auftrittsarie „Votre Toast…“  hat er diesmal aber mit nachhaltigen Intonationsschwierigkeiten zu kämpfen: Er singt beharrlich einen Viertelton zu hoch, ist aber dann wieder der gewohnt markante, souveräne Torero, der, in der Auseinandersetzung mit seinem Rivalen Don José um die Gunst der vergötterten Carmen, auch spöttischen Humor aufblitzen lässt.

Die französisch-dänische Sopranistin Elsa Dreisig, hoch gelobte Gräfin in der konzertanten Strauss-Oper Capriccio bei den heurigen Salzburger Festspielen, ist eine in ihrer aufrichtigen Sorge um das Schicksal des auf Abwege geratenen, von ihr geliebten Don José berührende Micaela. Sie repräsentiert das absolute Gegenbild zur dominanten, selbstsicheren Carmen, nimmt sich dabei aber fast schon zu sehr zurück. In ihrem schüchternen Gebet “Je dis que rien ne m’époivante“ schüttet sie demutsvoll ihr Herz aus.

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Eva Dreisig (Micaela) und Chor

In den übrigen Rollen kommen, wie bereits üblich, bewährte Kräfte aus dem Haus zum Zug. Ileana Tonca (Frasquita) und Isabel Signoret (Mercédès) gehören als keck spielende und singende Freundinnen Carmens schon ebenso gut zum Stammpersonal dieser überaus bühnentauglichen Produktion wie Ilja Kazakov und Martin Hässler als rüde Unteroffiziere Zuniga und Moralès. Neu sind Lukas Schmidt und Jusung Gabriel Park als Schmuggler Remendado und Dancaire, die an die gediegenen Leistungen ihrer Vorgänger, wie zuletzt etwa Carlos Osuna und Michael Arivony, noch nicht herankommen. Vielleicht ist das aber auch Gewöhnungssache.

Hervorragend präsentieren sich der Staatsopernchor und die Kinder der Opernschule. Pier Giorgo Morandi am Pult des Staatsopernorchester erweist sich als versiert-verlässlicher Opern-Kapellmeister im besten Sinn des Wortes, mit gutem Gespür für die Bedürfnisse des singenden Ensembles auf der Bühne und sicherer Hand bei der inspirierten musikalischen Umsetzung der temperamentvollen, rhythmisch und melodiös hispanisch geprägten Partitur.

Ein zündender, vom Publikum gefeierter Beginn der Opernsaison. Möge es so weitergehen!

 

 

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