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WIEN/ Staatsoper: „Forz’è che scorra un altro sangue, o donna!“ – Giuseppe Verdis „Macbeth“

„Forz’è che scorra un altro sangue, o donna!“ – Giuseppe Verdis „Macbeth“ an der Wiener Staatsoper, Aufführung vom 12. Oktober 2024

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Anastasia Bartoli, Gerald Finley. Foto: Wiener Staatsope/Michael Pöhn

Bereits 2020 inszenierte Barrie Kosky mit Giuseppe Verdis „Macbeth“ sein erstes Werk an der Wiener Staatsoper. Es war gleichzeitig die erste von Bogdan Roščić verantwortete Regie, mit welcher dieser unter dem Vorwand der Verjüngung seinen bis heute anhaltenden Austausch des Repertoires an der Wiener Staatsoper zugunsten des Regietheaters begann. Dieser Austausch fand unlängst mit einem anderen Werk Verdis, nämlich Don Carlo, seinen mehr als unrühmlichen Tiefpunkt: Die Regie Kyrill Serebrennikovs wurde durch das Publikum mit einem Buh-Orkan bisher unbekannter Größe beantwortet, der selbst zwischen den einzelnen Nummern so heftig war, daß Dirigent Philippe Jordan sich gezwungen sah, mit seinem Taschentuch eine weisse Fahne zu improvisieren und erst so eine Fortführung des Abends ermöglichte.

Besagter Abend stellte dabei den wohl nur einstweiligen Endpunkt dessen dar, was auf Bogdan Roščićs Geheiß eben mit Barrie Koskys Inszenierung von Macbeth begonnen hat, wenngleich hier von einer Inszenierung als solcher streng genommen nicht die Rede sein kann. Denn ähnlich wie später bei Koskys aus einer Lavalandschaft bestehendem Don Giovanni besteht diese Produktion eigentlich aus – nichts! Die Bühne ist vollkommen in Schwarz gehalten, lediglich zu erkennen ist ein konisch zulaufender Gang, der irgendwo auf der Hinterbühne zu enden scheint. Dieser ist flankiert von weißen herabhängenden LED-Leuchten, die jedoch keine Helligkeit spenden und eher Kälte als Licht ausstrahlt (wir gehen zugunsten der Regie davon aus, daß dies beabsichtigt war). Von der Decke werden im Vordergrund und in der Mitte des Gangs teilweise industrielle Deckenlampen gelassen, diesmal mit Röhren ausgestattet, in ihrer Form jedoch mehr an einen Grill erinnernd. Ansonsten befinden sich zwei Stühle auf der Bühne. Immer wieder werden mechanische, aber täuschend echte Raben genutzt. Bis auf die Hexen sind alle Personen auf der Bühne grundsätzlich in schwarze, aber historisch anmutende Gewänder gekleidet. Die Hexen „agieren“ vollständig aus dem Off, bei genauem Hinsehen erkennen wir aus Reihe 4, daß der Chor hier in komplett schwarze Kleidung gehüllt mit den schwarzen Wänden eins wird und dadurch nicht sichtbar ist.

Hinzu kommen nackte Statisten, die mit jeweils einem konträren, aber unechten Geschlechtsorgan ausgestattet sind. Was diese tun oder tun sollen, erschließt sich dem Beobachter nicht wirklich, vielleicht sollen dies zwitterähnliche Wesen sein und somit die Hexen selbst? Genau weiß man das nicht, es ist auch nichts provokant an dieser Darstellung auf der Bühne, denn jedes Schützenfest in Westfalen bietet heutzutage größere Aufreger. Vielmehr wirkt diese Darstellung von Nacktheit lediglich wie eine kläglich gescheiterte Provokation und entlarvt sich somit als durch und durch kleinbürgerlicher Versuch, so etwas wie „Kunst“ schaffen zu wollen. Es sei einmal mehr gesagt, daß eigentlich schon seit den 1990er Jahren nichts so spießig ist, wie das Zeigen von nackten Menschen auf einer Bühne. Vielmehr müssen wir mit dieser „Inszenierung“ eine erbärmliche Ansammlung von banaler Einfallslosigkeit erleben, die sowohl für ein Werk Giuseppe Verdis, eigentlich aber jede Oper an sich unwürdig ist. Barrie Kosky war hier einmal mehr sehr bemüht und versuchte im Rahmen seiner Möglichkeiten, eine Psychologisierung der Macbeth-Geschichte umzusetzen, die vollumfänglich in die Hose geht. Daß dabei die Grandezza, Eleganz und Emotionalität von Verdis Werk völlig nicht einmal ansatzweise reflektiert werden, muss nicht erwähnt werden, ebenso wenig wie die Tatsache, daß Verdi selbst bei Macbeth peinlich genauen Wert auf die historische Genauigkeit von Kostümen und Bühnenbild legte. Nur so könne sein Gesamtkunstwerk wirken. Doch wer ist schon Giuseppe Verdi im Vergleich zu einem Barrie Kosky oder einem Bogdan Roščić…
Auch diese Inszenierung ist also somit exemplarisch für alle ihr folgenden Neuproduktionen: Sowohl in ihrem enervierendem Streben nach Dekonstruktion, welches das Werk völlig entfremdet, als auch dem mittlerweile schon peinlich zu nennenden, weil permanent scheiternden Versuch, Oper „zeitgenössisch“ auf die Bühne zu bringen.

Zusammenfassend ist es – erneut – ein eindringlicher Beleg für die bodenlose Hybris in dem Versuch von Regie und Direktion, sich über das Werk und seinen Schöpfer stellen zu wollen. Im Zusammenhang mit der (nennen wir es euphemistisch) „minimalistischen Schlichtheit“ der Produktion muss zusätzlich auch die Frage nach den großzügig durch Steuergelder alimentierten Kosten dieser „Arbeit“ gestellt werden, denn für so viel Nichts überhaupt Geld zu verlangen, zeugt schon von ordentlicher Chuzpe. Wir verweisen hier auf den jüngsten Bericht des Rechnungshofes, der für alle Häuser der Bundestheater-Holding festhält, daß die Gründe für eine kontinuierliche Steigerung der als „Basisabgabe“ titulierten Bezuschussung aus Steuergeldern in den letzten 23 Jahren „intransparent“ waren. Diese solle doch in Zukunft bitte „nachvollziehbar nach objektiven Kriterien“ erstellt und mit der „Erfüllung des kulturpolitischen Auftrags“ als auch der „Erreichung festgelegter Ziele“ verknüpft werden. Was also bislang (offensichtlich) unterlassen wurde. „Non olet“, sagt der Lateiner…

Allerdings ist diese Nichtinszenierung zumindest künstlerisch an diesem Abend auch von Vorteil. Denn die Abwesenheit einer Inszenierung erspart somit auch die negative Beeinflussung der musikalischen Aspekte, de facto haben wir es mit einer semi-konzertanten Aufführung zu tun. Wir können uns also ganz und gar auf Dirigat, Orchester und Sänger konzentrieren. Und die haben es an diesem Abend gewaltig in sich! Axel Kober debütiert seinen ersten Verdi am Haus und leitet mehr als souverän das Staatsopernorchester. Bereits während der Ouvertüre bringt er die tragischen und dramatischen Aspekte der Komposition zum Vorschein und wirft somit direkt die zentrale Frage des Werks auf: Ist Macbeth ein Täter oder ein Opfer? Die Hexenchöre unterstreichen aus dem Off Letzteres, werden dann sogar tänzelnd bei „Sanno un circolo intrecciar“ und erzeugen trügerische Leichtigkeit. Doch zunächst sehen wir Macbeth in der Person von Gerald Finley auf dem Boden kauernd. Er schreckt aus dem Traum auf, in welchem er die Wahrsagungen über seine kommende Königswürde erlebte, wirkt zunächst orientierungslos und hilfesuchend. Kann jene Weissagung wahr sein? Hinter ihm erscheint Roberto Tagliavini als Banco, nur halb zu erkennen, selbst wie ein Geist wirkend, der ihn bis zum Ende verfolgen und von Anfang an durchschauen wird. „Ah, l’inferno il ver parlò!“. In Windeseile erleben wir, wie sehr Macbeth nun nicht nur willens wird, Macht auszuleben, sondern immer mehr und mehr nach ihr giert. Wieder flüstern die Hexen zu ihm, heizen seine Begierde weiter an. Doch die Gier alleine reicht nicht, um sich auf den Königsthron zu erheben. Es braucht Skrupellosigkeit, List und Eiseskälte, nicht nur bloße Gewalt.

Der Auftritt Anastasia Bartolis und ihre Interpretation der Lady Macbeth an diesem Abend werden zur Manifestation dessen. Genüsslich schlängelt sie sich den Gang auf der Bühne langsam hinunter. Ohne auch nur ein Wort zu sagen oder einen Ton zu singen, strahlt sie aus, daß sie jenes Gift bringt, nach welchem Macbeth verlangt, daß sie es ist, die ihn auf den Thron bringen wird. Gleich was geschehe und um jeden Preis, selbst wenn es der eigene Untergang ist. Ein Pakt mit dem Teufel ist es, den Macbeth eingehen wird und von dem es kein Zurück gibt. Und der Teufel steht nun vor ihm in Gestalt der Lady Macbeth! „Fuggiam, fuggiam!“ rufen die unsichtbaren Hexen, wissend, wer hier die Hand im Spiel hat. Lustvoll öffnet Lady Macbeth den angereichten Brief und trägt ebenso genüsslich jede Zeile vor, in der Macbeth ihr von der Weissagung berichtet. Unmittelbar schießen nach dem letzten „Addio“ des Briefes die Worte „Ambizioso spirto“ aus dem Mund Anastasia Bartolis, die mit unbändiger Kraft den unbedingten Griff nach Herrschaft unterstreichen. Weiter steigert sich ihre Dynamik bis hin zu „vi pone“, ihre Koloraturen sind von aberwitziger Komplexität und klingen doch so, als sei es das Einfachste der Welt, diese zu singen. Immer wieder folgen ihnen kluge Piani, Pianissimi, sogar Pianopianissimi, die dennoch unüberhörbar intensiv sind und das Orchester zu übertönen scheinen. Frau Bartolis Lady Macbeth ist stark im Wollen. Eine kluge und deshalb mitnichten laute Frau. Sie weiß, daß alles Handeln nun ruhig und unbemerkt hinter den Kulissen stattfinden muss. Ungesehen von allen, doch präzise das Ziel treffend – ganz wie die Noten von Verdis Partitur. Und doch ist sie regelrecht erregt von dem Gedanken an grenzenlose Macht und steigert sich immer wieder in klare, eiskalt brillierende Höhen, die klanglich fein ausgearbeitet sind und uns, mit dunklem und boshaftem Timbre versehen, wahre Schauer über den Rücken laufen lassen. „Che tardi? Accetta il dono, ascendivi a regnar“!

Wir verstehen schnell, daß es ihre eigene Machtgier ist, die sie antreibt. Sie genießt den Rausch der Droge Macht, die Entscheidung über Leben und Tod durch ein einfaches Wort, ja sogar die Morde als solche. „Or tutti sorgete – ministri infernali, che al sangue incorate – spingete i mortali!“ – das pure Böse erhebt aus dem Mund von Frau Bartoli, unbeschränkt, grenzenlos, eine Spur des Verderbens nach sich ziehend und dabei doch so verführerisch und verlockend, daß es unmöglich scheint, ihrem Wollen zu widerstehen. Jeden Zweifel Macbeths erstickt sie im Keim und überfährt Macbeth regelrecht mit jener Gewalt, die sich in der ebenso gewaltigen Stimme Anastasia Bartolis manifestiert. „Non fallirà… se tu non tremi“. Frau Bartolis Auftritt ist sowohl stimmlich, als auch darstellerisch von beeindruckender Intensität, Klarheit und in der Lage die veristischen Intentionen Verdis alleine durch ihre Kunst real werden zu lassen. Doch ist Macbeth dem gewachsen? Herrn Finleys Darstellung lässt durchblicken, wie sehr sich Macbeth vor den eingeforderten Taten und den Konsequenzen fürchtet. Sein Macbeth wird zu einem gehetzten Mann, dessen Stimme sich zwischen Trauer und Angst wiegt, tief in sich ahnend, zu welchem Ende das Morden letztlich führen wird. „Fatal mia donna! Un murmure, com’io, non intendesti?“ Doch wiederund wieder verfällt er dem Locken Lady Macbeths, welches Anastasia Bartoli so brillant in einer Mischung aus Süße und Mißachtung in Szene setzt. Bewusst kalkulierend und manipulierend Macbeth als Feigling beschimpfend, droht Lady Macbeth sich von ihm abzuwenden – „Caudore, tu se´“! Bis ins Mark dringt die Intensität ihrer Stimme, zeichnet den gnadenlosen und unerbittlichen Charakter einer durch und durch bösen und manipulativen Frau. Macbeth zuckt zusammen, nachdem seine Frau von dem Blut spricht, das auch an ihren Händen klebt, es schon an seinen eigenen sehend: „Ve‘! le mani ho lorde anch’io“.

Auch Banco spürt, daß nun Unheilsschwangeres in der Luft liegt. Ein musikalischer Sturm begleitet seine Vorahnung, und Roberto Tagliavini erzeugt mit seinem wohlklingenden Bass die Atmosphäre einer wahrhaft gruseligen Nacht: „Oh, qual orrenda notte!“. Axel Kober leitet das Orchester dabei zu Höchstleistungen, der Sturm überschlägt sich nahezu und endet im Flehen aller Anwesenden: „Schiudi, inferno, la bocca ed inghiotti Nel tuo grembo l’intero creato“ – Allein Anastasia Bartoli lässt Lady Macbeth höhnisch lachend dieses Flehen in von hr selbst geschaffener Dunkelheit versinken. Mit großem Klang und beeindruckendem Ripieno lässt Axel Kober das Finale des ersten Aktes regelrecht zelebrieren.

„Forzè che scorra un altro sangue, o donna!“ – Noch mehr Blut wird fließen. Längst erkennt Macbeth nicht mehr, daß er eine Marionette von Lady Macbeths Gelüsten geworden ist. Listig fragt sie nach der Ernsthaftigkeit der Absichten Macbeths: „Immoto sarai tu nel tuo disegno?“. Bartoli agiert in „la luce langue“ wie eine Hexe, die sich gotteslästernd an ihren Umtrieben berauscht und dabei wieder aus der vollen Kraft ihrer stimmlichen Gewalt schöpft. Es gleicht einem vokalen Hexensabbat, den sie hier abhält, grenzenlos, voll vereinnahmt von dem Rausch nach Blut und Macht. Grenzen- und skrupellos, den Tönen ihren Willen aufzwingend – „O voluttà del soglio“! Auch Banco ist vor ihrem blutigen Streben nicht gefeit; noch einmal erklingt die edle Stimme Roberto Tagliavinis, nobel und ausdrucksstark ist sein „Studia il passo“ – nur um als Antwort, ohne jedes Erbarmen, nach „di larve e di terror“ rücksichtslos durch einen Mörder hinterrücks erstochen zu werden.

Näher und näher gelangt Lady Macbeth an ihr Ziel, und so wird das Trinklied der Lady Macbeth zu einem Feuerwerk, welches das Schwarz der Bühne in gleißendes Licht taucht. Frau Bartolis Lady suhlt sich dabei regelrecht in ihrer Machtgier, der vermeintliche Glanz ihres Einflusses spiegelt sich in der Spritzigkeit des Trinkliedes, das gleichzeitig wieder mit den düsteren Schatten von Tod und Verderben belegt ist. „Si colme il calice“ ist dabei nicht nur eine Präsentation der gesanglichen Kunstfertigkeit von Frau Bartoli. Mehr als das, arbeitet sie auch den musikhistorischen Charakter des Werkes heraus: Verdi wollte sich mit Macbeth von der Tableaustruktur der von Rossini geprägten Oper verabschieden. Das Konzept zweier Liebender, die durch einen Dritten gestört werden, wird hier aufgebrochen und durch die ungeschönte Darstellung seelischer Abgründe ersetzt. Die zwei Liebenden sind in Macbeth nun durch und durch böse, wobei hier wohl nur einer liebt, nämlich Macbeth seine Lady, die ihn hingegen nur benutzt und zum Bösen verführt. Lady Macbeth liebt die Macht, und mit jener Gewalt, die sie anwendet, bahnt sich auch die Stimme von Frau Bartoli durch den Saal und setzt ein klangliches Statement, das in bemerkenswerter Qualität ein (pre-)veristisches Bild davon zeichnet, was Macht oder ihre Inanspruchnahme mit Menschen machen kann. Dies gelingt nicht zuletzt auch deshalb so gut, da Frau Bartolis Stimme zu keinem Zeitpunkt gekünstelt oder affektiert wirkt. Hinzu kommt eine unglaubliche Bühnenpräsenz die in Verbindung mit ihrer technischen Brillanz und dem Zusammenspiel von Spiel und Gesang die Bühne ganz und gar vereinnahmt. Sie konzipiert dabei die Lady Macbeth als schleichendes Gift, „voi siete demente“, flüstert sie Macbeth ein, beängstigend leise und gefährlich. Sie ist die Droge, der Macbeth in völliger Abhängigkeit ergeben und ohne sie keines klaren Gedankens mehr fähig ist. Erst sie bewahrt vor dem Abrutschen in den Wahn, kommt wieder zu Verstand: „Deh, fuggi, fantasma tremendo!“ intoniert Gerald Finnley mit zurückgewonnener Stärke, und von ruhig, fast schon erlösenden Streichern wird der zweite Akt beendet – „la vita riprendo“!

Pure Dramatik lässt Axel Kober zu Beginn des 3. Aktes aufbrausen. Unterstrichen von satten und voluminösen Bläsern kündigen die Worte der Hexen mit „dalle basse e dall’alte regioni, spiriti erranti, salite, scendete“ das nahende Finale und Ende von Macbeth an. Dieser schreckt wie aus einem Albtraum auf, wir sehen die Furcht in sein Gesicht geschrieben. Schliesslich sprechen die Stimmen der Hexen aus ihm. Gerald Finley simuliert zu den aus dem Off klingenden Stimmen Mund- und skurrile Körperbewegungen, die an die Besessenheit von Dämonen erinnern. In voller Rage antwortet sein Macbeth: „No!… morrai! sul regale mio petto. Doppio usbergo sarà la tua morte!“ – eine unbändig kraftvolle Version des Macbeth, die dann rasch wieder in blanke Angst umschlägt, als ihm die toten Könige erscheinen: „Oh mio terror!“! Deutlich wird uns die Labilität Macbeths bewusst, und auch Lady Macbeth weiß dies nur gut genug. Wieder versucht sie, Macbeth für ihre Zwecke zu nutzen. Den Dolch in der Hand, lechzt sie nach Blut, voller Zorn, Hass und Gier sind ihre Worte: „Morte!“ – niemand soll mehr zwischen ihr und der Macht stehen. Mit einem sehr lang gehaltenen „Or riconosco il tuo coraggio antico“belohnt sie Macbeth nach seiner Zusage, aber auch uns als Zuschauer. Sauber und strahlend ist sie im Klang und entwickelt dennoch nackte Boshaftigkeit. Dies muss es sein, was Verdi mit der Schärfe in der Stimme von Lady Macbeth meinen musste – es schauert uns!

Es ist Macduff, der hier als Erlöserfigur erscheint. Saimir Pirgu gestaltet diesen wunderbar ölig, mit viel Grandezza, weiten Bögen und einem feinen Legato. Er ist die Verkörperung von Gerechtigkeit und der Befreier Schottlands, der im übertragenen Sinne auch als Befreier Italiens zu sehen ist. Richtigerweise erleben wir große Italianità im Duett zwischen Macduff und Malcolm (ebenso von großer Elegance: Carlos Osuna): „La patria tradita piangendo ne invita! Fratelli! Gli oppressi Corriamo a salvar. Già l’ira divina sull’empio ruina; gli orribili eccessi l’Eterno stancar.“

Die Introduktion zum 4. Akt schließlich wird von Maestro Kober mit feinherber Eleganz gestaltet und wirft erneut die Frage auf, ob Macbeth ein Täter oder ein Opfer ist? Zweifellos ist er durch seine Frau verleitet, von seinen Gewissensbissen geplagt und schwankend in seiner Entschlossenheit. Doch die Schlafwandelszene zeigt, daß er auch ohne Lady Macbeth weiter an seinem Machtanspruch festhält. Anastasia Bartoli trägt nun statt der schwarzen Kleidung ein weißes Unterkleid. Sie ist geplagt von Fieber und Wahnvorstellungen, getrieben von dem Verlangen, sich das Blut von den Händen zu waschen, welches sie zu verantworten hat. Einem Gespenst gleicht sie, bereits völlig entseelt und ihrem Verstand enthoben: „E mai pulire queste mani io non saprò?…“. Die Worte „di sangue umane“ wirken wie ein letztes verzweifeltes Aufblitzen ihres früher so scharfen Verstandes. Frau Bartoli dämpft nun ihre Stimme wie vorgesehen „sotto voce“ und stellt erneut die immense Kraft unter Beweis, die in ihren Pianissimi liegt. Langsam lässt sie dabei das Leben aus Lady Macbeth weichen, die schließlich noch vor ihrem Mann mit dem Tod für ihre Sünden bestraft wird.

Macbeth fühlt sich nun dennoch (oder gerade deshalb?) unbezwingbar: „Nessuno nato da donna ti nuoce“. Erneut umringen ihn die nackten Gestalten, treiben ihn vor sich her, bis er schließlich alleine und verlassen im Schwarz der Bühne steht, wo er aus dem Nichts heraus von Macduff erstochen wird. Trotz seines Todes sehen wir Macbeth nun in einem weißen T-Shirt vor einem schwarzen Vorhang sitzen, angeleuchtet durch einen Scheinwerfer. In einem triumphalen Finale feiert der Chor Macduff und die Erlösung von der Knechtschaft Macbeths: „L’aurora che spuntò vi darà pace e gloria!“, der Vorhang fällt.

Oper war das keine, aber ein großartiger Konzertabend, bei dem insbesondere Anastasia Bartoli Außerordentliches leistete. Eine Stimme, die wir in Zukunft nicht nur auf der Rechnung haben müssen, sondern mit Sicherheit noch zahlreiche großartige und unvergessliche Abende bescheren wird.

E.A.L

 

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