Von Manfred A. Schmid
Es ist drei Jahre her, dass in der Ära Meyer, anlässlich des Beethoven-Jahres, seine Leonore, die Urfassung der Oper Fidelio zu hören war. Zu sehen war sie natürlich auch, aber dank der grottenschlechten Inszenierung der regietheaterlich dilettierenden Amélie Niermeyer war Letzteres kein Vergnügen, sondern eine Tortur. Sie fiel bei Publikum und Kritik, wie übrigens auch schon bei der Uraufführung 1805, durch. Da bald darauf auch der vertraute Fidelio auf dem Spielplan stand, konnte man beide Versionen vergleichen und sich vergewissern, warum sich die dritte Fassung aus dem Jahr 1814 durchgesetzt hat. Und diese ist nun, in der schon über 40 Jahre alten Inszenierung von Otto Schenk, wieder zu erleben. Wiederaufgefrischt, erfreulich und nicht ohne Nostalgie: Wie wenn steinalte Verwandte auf Besuch kommen und von der guten alten Zeit schwärmen würden.
Anlässlich der Wiederaufnahme gibt es gleich vier bemerkenswerte Rollendebüts. Im Zentrum des Geschehens stehen aber bestens bewährte Kräfte, allen voran Anja Kampe als stimmstarke Leonore. Die auch als Wagner-Sängerin geschätzte bayerische Kammersängerin ist den hohen Anforderungen der Partie bestens gewachsen. In ihrer Interpretation der Arie „Komm Hoffnung, lass den letzten Stern“ strahlt die dramatische Sopranistin in den lyrischen Passagen betörende Wärme aus und begeistert in den dramatischen Passagen mit farblichem Reichtum. Das hohe H meistert sie souverän.
Keine Bedenken hinsichtlich Höhensicherheit muss man haben, wenn als Florestan der amerikanische Tenor Brandon Jovanovich angesagt ist. Den verzweifelten, in hohen Stimmregionen angesiedelte Ausruf am Beginn seiner Klage „Gott! Welch Dunkel hier!“ hat man aber schon ergreifender gehört. Brandon steigert sich im weiteren Verlauf aber rasch und erbringt eine insgesamt zufriedenstellende Leistung.
In Wien als Pizarro gut bekannt ist Jochen Schmeckenbecher. Sein Bösewicht ist nicht einer, der ostentativ Schrecken verbreitet, sondern ein verklemmter, sadistischer Fiesling, der gerade deshalb gefährlich ist.
Die weiteren Rollen sind allesamt Debütanten anvertraut. Christof Fischesser, der vor zwei Tagen in Tristan und Isolde als König Marke erfolgreich debütierte und viel Lob einheimste, ist mit seinem fülligen Bassbariton auch ein exzellenter Rocco, der hinter seiner Bonhomie die nicht mehr ganz so sympathischen Züge eines Opportunisten nicht allzu lange verbergen kann. Sobald es um Geld geht, ist er durchaus bereit, auch auf recht krummen Wegen zu wandeln, lehnt aber den an ihn erteilten Mordauftrag immerhin ab.
Slavka Zamecnikova als Marzelline punktet mit ihrer feinen, hellen Sopranstimme. Ihre Gestaltung der Arie „O, wäre ich schon mit dir vereint“ ist beifallswürdig, weil sie darin nicht nur innig von beglückender Zweisamkeit träumt, sondern auch ironische Hinterfragungen anklingen lässt, die man der Tochter Roccos gar nicht zugetraut hätte.
Der unglücklich, weil unerwidert in Marzellin verliebte Jacquino ist mit dem vielseitigen und auch spielfreudigen Tenor Daniel Jenz besetzt ist. Wie Zamecnikova ein Ensemblemitglied auf dem besten Weg, Karriere zu machen.
Als in letzter Minute erscheinende Retter in Not, Don Fernando, Abgesandter des Königs, tritt Martin Häßler in Erscheinung, auch er ein Ensemblemitglied mit vielversprechenden Perspektiven. Der noch junge Bassbariton strahlt die für diese Rolle nötige Autorität aus und sorgt für Ruhe in einer emotional sehr aufgeheizten Stimmung, an der auch der exzellente Chor sowie Wolfram Derntl und Johannes Gisser als 1. und 2. Gefangener beteiligt sind.
Was Axel Kober als musikalischer Leiter aus dem Orchestergraben kommen lässt, ist solide deutsche Handwerkskunst. Die mit Spannung erwartete Leonoren-Ouvertüre vor dem Schluss fällt, wie auch das Quintett im ersten Aufzug. dementsprechend ebenfalls durchaus solide aus. Was auch für den Beifall gilt, der nach knapp fünf Minuten schon wieder aus ist. Sternstunden schauen anders aus und hören sich anders an.