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WIEN/ Staatsoper: FIDELIO

Fünf Rollendebüts – doch nicht alle überzeugen

24.04.2019 | Oper


Thomas J. Mayer (Pizarro), René Pape (Rocco). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 

WIEN / Staatsoper: Beethovens Fidelio nach der legendären Schenk-Inszenierung 1970

  1. Aufführung in dieser Inszenierung am 23.4. 2019

Fünf Rollendebüts – doch nicht alle überzeugen

Eine mit Spannung erwartete Aufführung von Beethovens Befreiungsoper mit – sage und schreibe -insgesamt fünf Rollendebüts!  Am besten also gleich in medias res: Anne Schwanewilms als Leonore ist in dieser Partie freilich nur für das Wiener Publikum neu. Die inzwischen vor allem als Strauss-Sängerin geschätzte Sopranistin hat ihre Gesangskarriere ursprünglich im Mezzofach begonnen und sich beim Umstieg in die höhere Stimmlage zunächst auf Rollen aus dem Zwischenfach konzentriert. Da kamen ihr Partien wie Wagners Senta und Beethovens Leonore, die sie 1999 zum ersten Mal konzertant im Hessischen Rundfunk gesungen hatte, gerade recht.

Jetzt, zwanzig Jahre später, versteht sie es, ihre große Stimme sorgsam zurückzunehmen und so die Figur mit jener Mixtur aus Kraft und Verletzlichkeit auszustatten, die für sie so charakteristisch ist. Schwanewilms besticht mit einer so gut wie vibratolosen Mittellage und fügt sich damit wunderbar in das liedhaft gehaltene Quartett „Mir ist so wunderbar“ im ersten Akt ein, gestaltet aber auch ihre große Arie „Abscheulicher! Wo eilst du hin?“, in der sie sich angesichts der mörderischen Absichten Don Pizarros selbst Mut zuspricht, zu einem ergreifenden Bekenntnis.


Brandon Jovanovich. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Der aus den USA stammende Tenor Brandon Jovanovich war an der Wiener Staatsoper schon als Don José sowie als vielbeachteter Enée in der umjubelten Premiere von Berlioz´ Les Troyens im Herbst vergangenen Jahres zu erleben. Als Florestan kommt er stimmlich etwas zu robust daher und hat zudem hörbare Defizite bei der Bewältigung des deutschen Texts. Die Arie im zweiten Akt singt Jovanovich wenig nuanciert, dafür aber vor allem laut. Sein Tenor wirkt ziemlich eindimensional und hat – für meinen Geschmack – einfach zu viel Vibrato. Da fällt es sogar der mit vielen Stimmfarben gesegneten Schwanewilms schwer, im Duett dagegen anzukämpfen.

René Pape, mit seiner wohlklingenden, mächtigen Basstimme meist in Partien eingesetzt, in denen er – wie eben erst als Gurnemanz in Parsifal – Autorität und Souveränität ausstrahlen kann, macht auch als moralisch schwacher, mit dem skrupellosen Machthaber Don Pizarro kollaborierender Kerkermeister Rocco eine gute Figur. Sein selbstentlarvendes Bekenntnis „Hat man nicht auch Gold beineben“ wird – neben dem Quartett-Kanon – zum Glanzstück des ersten Akts.

Eine Enttäuschung ist Thomas Johannes Mayer als Fiesling Don Pizarro. Sein Bariton klingt anfangs hohl und substanzlos, erholt sich im Laufe des Abends ein wenig, bleibt aber eine Zumutung. Das kann auch die recht gute darstellerische Gestaltung der Figur des bösen Widersachers von Florestan nicht wettmachen. Die Rachearie „Ha, welch ein Augenblick“ vermag daher nicht wirklich zu zünden.

Michael Laurenz, der bei den Salzburger Festspielen im Sommer und im Konzerthaus im Herbst als Josef K. in der konzertanten Aufführung von Gottfried von Einems Der Prozess mit tenoraler Strahlkraft und rhythmischer Gewandtheit aufhorchen ließ, ist ein liebenswerter Jaquino und empfiehlt sich – seit Saisonbeginn auch Ensemblemitglied – für weitere Aufgaben.

Schon Rollenerfahrung als Marzelline hat die vielseitig einsetzbare und immer wieder gern gesehene und gehörte Chen Reiss. Ihre Auftrittsarie „O wäre ich schon mit dir vereint“ singt sie mit klarer, sehnsuchtsvoller Sopranstimme und weiß auch sonst zu entzücken. Clemens Unterreiner, dem die Rolle des Don Fernando, der gerade zum rechten Augenblick ins Geschehen eingreift und die für ein Happyend sorgt, ebenfalls schon vertraut ist, ist ein elegant auftretender und ebenso singender Gesandter des Königs. So stimmgewaltig, wie man den Don Fernando normalerweise zu hören gewohnt ist, nimmt er sich allerdings nicht aus.

Besonderes Lob verdient der Männerchor der Gefangenen und ihre Chorsolisten Dritan Luca und Ion Tibrea. Mit ihrem innig vorgetragenen „Oh welche Lust“, beim unverhofften Spaziergang im Sonnenlicht des Gefängnishofes, berühren sie zutiefst. Diese Szene gehört ja seit jeher zu den ergreifendsten der Oper und ist gerade in der Inszenierung von Otto Schenk großartig angelegt. Das gilt freilich auch für die triumphale Schlussszene, bei der sich nach der Befreiung auch die Frauen hinzugesellen und in den Jubelgesang einstimmen. In seinen Massenszenen, in denen es bekanntlich immer so richtig „menschelt“, ist Otto Schenk einfach unerreicht, doch auch die Personenführung der zentralen Personen ist äußerst sängergerecht konzipiert und daher stets eine Freude. Sogar in der nunmehr bereits 242. Vorstellung, die natürlich wohl schon etwas verblasst ist. Und die daher auf dem Programmzettel nur noch unter „nach einer Inszenierung“ des Meisters firmiert…

Bleibt noch das unter der kundigen wie erfahrenen Leitung von Adam Fischer aufspielende Staatsopernorchester. Mit einem sich so uneigennützig in den Dienst der Musik stellenden Kapellmeister wie Fischer kann das nur gut gehen. Kein Wunder, dass die „Dritte Leonoren-Ouvertüre“, traditionell seit Mahlers-Zeiten vor dem Schluss eingeschoben, zu einem Konzertereignis wird, wenn auch das Blech – von der Begeisterung mitgerissen – in den dramatischen Höhepunkten vielleicht etwas zu dick und laut aufträgt.

Nicht einmal fünf Minuten Applaus gibt es am Schluss. Ist das Wiener Publikum dabei, das Klatschen zu verlernen?

Manfred A. Schmid

 

 

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