WIEN / Staatsoper: FAUST
8. Aufführung in dieser Inszenierung
22. Mai 2024
Von Manfred A. Schmid
Nach Enttäuschungen, wie jüngst mit dem neuen Lohengrin von Jossi Wiener und Staatsopern-Chefdramaturg Sergio Morabito, erfreut die Wiederbegegnung mit Frank Castorfs Faust, der 2021 Corona bedingt zunächst nur als stream das Publikum erreichte, umso mehr. Dabei wurde die Inszenierung damals gar nicht so begeistert aufgenommen. Der Vergleich aber macht sicher, und beim vorurteilsfreien nochmaligen Hinsehen fällt die gediegene Herangehensweise des Altmeisters auf, seine erprobte Personenführung und die alle Möglichkeiten ausschöpfende Bespielung der vielen Plätze, Nischen, Räumlichkeiten und Terrassen, die ihm die genial verschachtelte Bühne von Aleksandar Denic zur Verfügung stellt. Die Handlung, sehr frei nach Teil 1 von Goethes gleichnamigen Drama, ist, durchaus stimmig und zeitgetreu, in das Paris der 50er Jahre verlegt. Die Drehbühne stellt eine typische Straßenecke der Metropole dar, mit Metrostation, mehrstöckigem Wohntrakt, einem Café und einer Fleischerei. Und das alles wird, dank Castorfs Theater-Handwerkskunst, mit prallem Leben gefüllt. Soldaten marschieren auf – es ist die Zeit des Algerienkriegs, wie man es auch auf den bei Castorf obligaten Videoeinspielungen nachverfolgen kann, die aber auch in Reklamefilmchen Einblicke in damalige Lebensträume gewährt. Menschenmassen biegen um die Ecke, auf dem Weg zur Arbeit oder um zu demonstrieren, oder einfach nur durch die Straßen zu flanieren. Und eingebettet in diesen bunten Alltag ist die kurze, aber heftige Liebesbeziehung, die Faust, auf Vermittlung Mephistos, mit Marguerite eingeht. Eine Verbindung, die in Wahnsinn und Kindestötung mündet, bevor sie dann doch mit einem „Gerettet“ endet.
In den Hauptrollen sind mit Adam Palka und Nicole Car zwei wichtige Stützen aus der Premiere in der anlaufenden Aufführungsserie vertreten. Der polnische Bass ist mit seiner immensen Bühnenpräsenz und seiner nuancenreichen, farbenkräftigen und mächtigen Stimme eine so faszinierende Erscheinung, dass man jede seiner Handlungen, jede Geste, jeden Gesichtsausdruck, jede Äußerung höchst gespannt verfolgt und so von diesem quicklebendigen Mephistopheles total in seinen Bann gezogen wird. Schon allein sein Augenrollen rechtfertigt Castorfs gewohnten Einsatz einer Videokamera, da die Großaufnahmen seines Kopfes, mit wechselnden Hörnern und Masken ausgestattet (Adriana Braga Peretzki), einfach von fantastischer Wirkung sind. Adam Palkas Mephistopheles, der Vertreter des Bösen, ist kein angsteinflößender, Schrecken verbreitender Teufel, sondern eine in vielen Facetten schillernde, gewiss auch drollige Figur, ohne sich dabei aber lächerlich zu machen. Er ist der eigentliche Mittelpunkt, treibt die Handlung voran und hat überall seine Hände im Spiel.
Es wäre – vor allem in dieser Inszenierung mit Adam Palka – durchaus gerecht, wenn Charles Gounods Oper, die ja lange Zeit an deutschsprachigen Bühnen nur unter dem Namen Margarethe aufgeführt werden durfte, weil man nicht hinnehmen wollte, dass sich ausgerechnet ein Franzose an Goethes Faust „vergriffen“ hatte, den Titel Mephistopheles tragen würde. Das wäre bei der Premiere noch um einiges plausibler gewesen, weil Juan Diego Floréz mit seiner betörend schönen, sich für dieser Rolle aber nicht als stark genug erweisenden Belcanto-Stimme leider eine Fehlbesetzung war. Schon in der zweiten Aufführungsserie kam dann Piotr Beczala zu Einsatz, und die Welt und der Titel der Oper waren wieder in Ordnung. So ist es auch jetzt. Faust ist eine Rolle, die den polnischen Ausnahmesänger schon seit über 20 Jahren begleitet – unvergessen seine Faust bei den Salzburger Festspielen 2016. Ihm haben seine Ausflüge in schwerere Verdi-Rollen und Wagner nicht geschadet, sein flüssiges Legato und die hohe Musikalität sind noch immer voll da, seine Stimme ist in den letzten Jahren noch brillanter und ausdrucksstärker geworden. Eine mitreißende Performance auch an diesem Opernabend, ein winziger Moment von Anstrengung beim hohen C in „Salut demeure chaste et pure“ kann die zu recht vom Publikum gefeierte Gesamtleitung nicht trüben.
Nicole Car, in Wien eben erst als Desdemona zu bewundern, hatte es schon bei der Premiere mit einer ungewohnten Marguerite zu tun. Dass sie bei Castorf nicht das unschuldige, naive Mädchen ist, sondern promiskuitive Züge bis hin zu denen einer Prostituierten hat und später schmuckbehangen wie die Königin von Saba auftritt, ist eine Herausforderung, die sie darstellerisch gut bewältigt. Dass diese Interpretation dennoch nur schwerlich überzeugen kann, liegt nicht an ihr, sondern an Castorf. Bei allem Lob für seine in vielem gelungenen Inszenierung, ist das eine mehr als kritikwürdige Eigenheit, die dann auch bei Marguerites „Errettung“ durch eine Stimme von oben zu einem heiklen Ballast wird und von der Regie nicht zufriedenstellend bewältigt wird. Gesanglich ist nichts an der vielseitigen australischen Sopranistin auszusetzen. In der Mittellage dunkel und stark grundiert und mit samtigen Höhen erklingt ihr „Air de Bijoux“, durchsetzungsstark bewährt sie sich in der dramatisch intensiven Auseinandersetzung mit Mephistopheles im vierten Akt und berührend in der Arie „Il ne revient pas“.
In den weiteren Rollen kommen neue Kräfte aus dem Haus zum Einsatz. Der Bariton Stefan Astakhov ist als Valentin ein markiger Soldat und ein um seine Schwester besorgter und schwer enttäuschter Bruder. Für seine Arie „Avant de quitter ces lieux“, in der er eindringlich um ihren Schutz von oben erfleht, wird mit Applaus gewürdigt.
Erfolgreich verläuft auch das akklamierte Rollendebüt von Patricia Nolz als Siébel, eine Rolle, für die sie auch ein paar von Castorf eingefügte Fremdtexte deklamieren muss. Zum Glück sind es nicht so viele wie in dessen letzter Burgtheater-Inszenierung von Thomas Bernhards Heldenplatz.
Jusung Gabriel Park aus dem Opernstudio ist ein geflissentlicher Wagner. Monika Bohinec hat seit der Premiere ein Besetzungsabo auf die Rolle der Marthe, der sie ein markant-schrulliges Profil verleiht.
Bertrand de Billy ist ein Garant für das französische Repertoire und lässt die Musik, vor allem auch im Schlussteil, wenn der gelernte Kirchenmusiker Gounod die bedrohlich wie auch feierlich klingende Orgel (Anton Ziegler) voll einsetzt, in ihrer Intensität gebührend donnern. Nicht zu vergessen der ebenso wuchtige Chor, der in dieser Oper auch szenisch bei vielen Aufmärschen gefordert ist.
Starker Applaus und ein paar zaghafte Buhrufe, vermutlich für die Regie. Castorf ist für viele schon immer ein rotes Tuch und wird das wohl für immer bleiben.
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