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WIEN/ Staatsoper: FALSTAFF. Wiederaufnahme der Marelli-Inszenierung.

Staatsoper Wien: „FALSTAFF“ – Wiederaufnahme am  4.9.2021

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Wolfgang Koch als Falstaff. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Man musste das umfangreiche Programmbuch über die neue Spielzeit der Wiener Staatsoper schon sehr genau lesen, um feststellen zu können, dass die Wiederaufnahme von Giuseppe Verdis „Falstaff“ nicht der zuletzt am Spielplan befindlichen Produktion von David McVicar, sondern der Inszenierung von Marco Arturo Marelli aus dem Jahr 2003 gilt. Groß angekündigt wurde dies nicht, wie das vor einem Jahr sehr wohl mit den Produktionen von Mozarts „Le nozze di Figaro“ von Jean-Pierre Ponnelle und Richard Strauss‘ „Elektra“ von Harry Kupfer geschehen ist. Dementsprechend groß war die Überraschung bei einigen Besuchern an diesem Abend.

Ich muss frei gestehen, dass ich weder ein so großer Fan der Inszenierung von Marelli noch  ein so entschiedener Gegner der Neuproduktion von McVicar bin; ich finde, dass beide Produktionen ziemlich gleichwertig sind. Allerdings muss man sich als Besucher (und Steuerzahler) schon die Frage stellen, warum wir unbedingt eine gewiss nicht billige Neuinszenierung gebraucht haben, die insgesamt nur 13 Mal gezeigt wurde, wenn die alte Produktion durchaus noch spielbar ist. Aber der Direktor, der für diese unnötige Neuinszenierung verantwortlich zeichnet, weilt nicht mehr in Wien. Wenn ich daran denke, dass sich im Repertoire der Wiener Staatsoper kein einziges Werk von Franz Schreker befindet, dass so wichtige Werke wie Poulencs „Dialogues des Carmélites“ oder Pfitzners „Palestrina“ fehlen oder Opern wie die „Griechische Passion“ von Bohuslav Martinů, „Lear“ von Aribert Reimann  oder „Die Passagierein“ von Mieczysław Weinberg überhaupt noch nie an der Staatsoper gespielt wurden, und wenn ich auch daran denke, dass wichtige Standard-Werke in völlig unbrauchbaren oder katastrophalen Inszenierungen auf dem Spielplan stehen und viel eher einer Neuinszenierung bedurft hätten, dann frage ich mich schon, ob das wirklich nötig war so viel (Steuer-)Geld zu verschwenden.

Nun aber zu der erfolgreichen Wiederaufnahme: Marco Arturo Marelli lässt die Geschichte in zwei Welten spielen: in der bunten Welt Falstaffs und in der langweiligen Gesellschaft der Bürger von Windsor. Mit Hilfe einer kippbaren Bühnen-Bretterschräge gelingt der Wechsel zwischen den beiden Welten sehr rasch und unkompliziert. (Das ist ein großer Vorteil dieser Produktion gegenüber der McVicar-Inszenierung: es gibt hier keine langen Umbaupausen).

„Falstaff“ ist eine Ensembleoper und gibt einem Haus wie dem der Wiener Staatsoper Gelegenheit zu beweisen, wie gut das hauseigene Ensemble ist. Und tatsächlich kam man an diesem Abend mit nur zwei Gästen aus. Dass es an diesem Abend in der Besetzung keine Schwachstelle gab, stellt der Staatsoper dann tatsächlich ein ausgezeichnetes Zeugnis für die Ensemblepflege aus. (Dass auch alle sehr spielfreudig bei der Sache waren, sei nur am Rande erwähnt.) Mit Ausnahme von Monika Bohinec (Mrs. Quickly) und Thomas Ebenstein (Dr. Cajus), die beide ihre Partien bereits in der McVicar-Inszenierung gesungen haben, gaben alle übrigen Sänger an diesem Abend ihr Rollendebüt an der Wiener Staatsoper.

Wenn ich nicht irre, dann ist Wolfgang Koch  der erste deutsch(sprachig)e Sänger, der den Titelhelden an der Wiener Staatsoper singen darf seit Walter Berry (in der Ära von Lorin Maazel). Koch spielt als Falstaff einen in die Jahre gekommenen Don Giovanni, der nicht vom Teufel geholt wurde, sondern von der bürgerlichen Gesellschaft vergessen wurde. Alt und fett geworden, hat er es sich im heruntergekommenen Wirtshaus „Zum Hosenbande“ gemütlich gemacht. Infolge finanzieller Schwierigkeiten bricht er auf, um als unwiderstehlicher Liebhaber, für den er sich immer noch hält, bei den Damen der bürgerlichen Gesellschaft sein Glück zu versuchen. Er bricht in den grauen Alltag der Spießbürger ein und wirbelt deren langweiliges Leben durcheinander. Gekonnt lässt Koch seinen Wagner-geeichten Bariton in den Melodien Verdis schwingen und hält im Tempo gut mit dem Dirigenten mit. Die Lagenwechsel gelingen geschmeidig und er färbt die Stimmungswechsel gekonnt. Man kann es ihm ansehen, wie sehr er es genießt einmal eine Partie abseits seines üblichen deutschen Repertoires verkörpern zu dürfen.

Stimmlich kann Kochs Falstaff locker mithalten mit dem jüngeren Bariton  Boris Pinkhasovich, der die Partie des eifersüchtigen Ford mit Eleganz, Tiefe und Wärme gestaltet.

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Wolfgang Koch, Monika Bohinec, Eleonora Buratto. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Eleonora Buratto sang bei den Salzburger Festspielen 2013 unter Zubin Mehta noch die Nannetta. Jetzt singt sie die Alice Ford mit einer großen und leuchtenden Stimme. Als Meg Page macht Virginie Verrez auf das aparte Timbre ihres Mezzosoprans aufmerksam (in der Premiere dieser Inszenierung wurde diese Partie noch von Elīna Garanča gesungen!).

Ungetrübte Freude bereitet das junge Liebespaar: nicht nur, dass beide gut aussehen, Slávka Zámečníková begeistert mit ihrem schön aufblühenden Sopran als Nannetta und Josh Lovell besitzt zwar keine sehr große Stimme, aber dafür einen hellen, schön timbrierten Tenor. Die kleinen Arien der beiden in Schlussbild waren stimmliche Höhepunkte des Abends.

Der italienische Tenor Andrea Giovannini als Bardolfo und der russische Bassist Artyom Wasnetsov (Mitglied des Opernstudios) als Pistola ergänzen als köstliche, skurrile Typen die Besetzung.

Chor und Orchester der Wiener Staatsoper waren ausgezeichnet. Dirigent Nicola Luisotti hatte alle Hände voll zu tun Solisten, Chor und Orchester zusammenzuhalten. Vielleicht hätte man doch noch eine zusätzliche Orchesterprobe benötigt? Gelegentliche Wackelkontakte zwischen Orchestergraben und Bühne werden sich im Laufe der Aufführungsserie schon noch einspielen.

Giuseppe Verdi und das gute Ensemble hätten sich eigentlich ein volles Haus verdient. Die vielen freien Sitzplätze im Zuschauerraum ließen beinahe den Verdacht aufkommen, als würde die Covid-Verordnung, dass nur 50 % der Sitzplätze verkauft werden dürfen, noch gelten. Dem ist aber nicht so. Zumindest im Moment nicht. Ich kann den Besuch dieser Aufführung nur empfehlen. Gelegenheit dazu gibt es noch bei den Reprisen in gleicher Besetzung am 8., 12. und 16. September.

Walter Nowotny

 

 

 

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