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WIEN/ Staatsoper: FALSTAFF – Premiere

04.12.2016 | Oper

WIENER STAATSOPER: PREMIERE FALSTAFF – 4.12.2016

(Heinrich Schramm-Schiessl)

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Ambrogio Maestri. Copyright: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Giuseppe Verdi und die heitere Oper, dass ist eigentlich eine „Liebe auf den letzten Blick“. Zwar hat er am Anfang seiner Laufbahn eine komische Oper – „Un giorno di regno“ – geschrieben, die aber ein Reinfall wurde. Allerdings muss man bedenken, dass sein damaliges privates Umfeld nicht unbedingt dazu angetan war, ein solches Werk zu schreiben. Dafür landete er mit seinem letzten Werk einen Geniestreich. „Falstaff“ ist ohne „wenn und aber“ in die Kategorie jener Werke einzuordnen, die man schlichtweg als genial bezeichnen muss. Das ist weniger auf das Geschehen auf der Bühne zurückzuführen, als auf das, was sich im Orchester abspielt. Im Gegensatz zu den Grossmeistern der heiteren italienischen Oper, Donizetti und Rossini, bei denen das Orchester in erster Linie Unterstützung des Bühnengeschehens ist, setzt Verdi noch eins drauf, indem er die Handlung im Orchester reflektiert. Allein das Lachen im Orchester, speziell bei den Bläsern, ist etwas, was man weder vorher noch nachher gehört hat. Und auch sonst gibt es immer wieder musikalische Ausdrucksformen, wo man den Eindruck hat, dass sie nur so und nicht anders gehören. Sei es z.B. das „Geschnatter“ der Erwachsenen oder die Zärtlichkeiten des jungen Paares. Ebenso der leise Schluss des 5. Bildes, in dem jeder Einzelne seinen Gedanken nachgeht oder die Turbulenzen im Park von Windsor mit der noch einmal alles übertreffenden genialen Schlussfuge. Kein Wunder also, dass praktisch fast alle grossen Dirigenten dieses Stück dirigiert haben. Herzstück des Werkes ist sicher das 3. Bild, das aus zwei großen Dialogen besteht. Zunächst die ungemein ironisch-heitere Szene Falstaffs mit Mrs. Quickly, mit dem Ear-Catcher „Reverenza“ am Beginn, und der nachfolgenden Szene mit Ford mit dessen Monolog „E’ sogno“ als Kulminationspunkt. Wie Verdi nach diesem emotionalen Höhepunkt wieder zur scheinbar belanglosen Unterhaltung beim gegenseitigen Hinauskomplimentieren aus dem Raum zurückkehrt, gehört zu den Gustostückerln an Operndramturgie. Die Feinheiten und Spezialitäten des Werkes liessen sich noch endlos fortsetzen. Zu diesem kompositorischen Höhepunkt kommt aber auch noch, dass Verdi in Arrigo Boito endlich einen kongenialen Librettisten gefunden hat. Wie schon im „Otello“ gelingt es ihm, das ausladende Werk Shakespeares – hier „Die lustigen Weiber von Windsor“ – so zu verdichten, dass der Elan der Handlung nie unterbrochen wird.

Der „Falstaff“ war in Wien bisher zwar kein Dauerbrenner im Repertoire, aber er kehrte mit gewisser Regelmässigkeit wieder. Nach 1958 (Karajan), 1966 (Bernstein/Visconti), 1980 (Solti/Sanjust) und schliesslich 2003 (Luisi/Marelli) erleben wir nunmehr die fünfte Neuinszenierung seit der Wiedereröffnung des Hauses und ich bleibe dabei, was ich bereits nach der Präsentation des Spielplanes angemerkt habe, nämlich, dass es die unnötigste Neuinszenierung der Saison ist. Die Marelli-Inszenierung hätte es noch gut einige Zeit getan.

Nun ist diese Premiere also gelaufen und das Ergebnis war durchwachsen. Eine Faustregel lautet, dass, wenn bei einem „Falstaff“ das Orchester nicht stimmt, die ganze Aufführung nicht stimmen kann. Das wurde an diesem Abend wieder bewiesen. Zugegeben, Zubin  Mehta ist ein sehr guter Dirigent, aber seine eingentliche Stärke liegt im Konzertsaal. Im Orchestergraben eines Opernhauses ist er immer um einiges schwächer. Im Grunde genommen hat mich noch keine Opernaufführung von ihm – und ich verfolge seine diesbezügliche Laufbahn mittlerweile über 50 Jahre – wirklich zufrieden gestellt. Das Orchester klang an diesem Abend eher uninspiriert, sehr oft zu knallig, ohne jeglichen Humor – das zuvor erwähnte Lachen hörte man überhaupt nicht – und ohne jeglichen Esprit. Die Korrespondenz zwischen Bühne und Orchestergraben fehlte völlig. So blieb zum Beispiel das kurze Nachspiel nach der grossen Szene des Ford, das einem eingentlich unte die Haut gehen sollte, völlig wirkungslos und auch das danach folgende gegenseitige Hinauskomplimentieren war völlig ohne Witz und Schwung. In den grossen Ensembles und vor allen Dingen im letzten Bild gab es zu dem Koordinatsprobleme.

Wenn aus dem Orchestergraben nichts kommt, haben es die Sänger in diesem Werk schwer. Allerdings war das nicht der alleinige Grund, warum man ihrer nicht wirklich froh wurde. Ambrogio Maestri ist sicher der heute weltweit gefragteste Interpret der Titelrolle – in dieser Serie wird er seine 250. Vorstellung singen – und er war im Grund auch sehr gut, obwohl manche Passagen doch merkwürdig flach klangen. Was ihm fehlt ist entweder die tiefgründige Ironie eines Bryn Terfel oder der pfiffige Charme eines Giuseppe Taddei. Ludovic Tezier war als Ford stimnmlich sicher der Beste des Abends, besonders seine grosse Szene im 3. Bild gelang sehr beeindruckend. Leider ist er darstellerisch derartig phlegmatisch, dass eine wirklich gute Interpretation auf der Strecke bleibt. Carmen Giannattasio ist als Alice ebenfalls weltweit gefragt und man denkt nach, warum? Die Stimme klingt zwar recht hübsch, aber ist nicht aussergewöhnlich. Es gelingt ihr keinen Moment die Heiterkeit und Ironie, die diese Rolle auszustrahlen hat, über die Rampe zu bringen und auch die von Verdi immer wieder verlangte schwebende Höhe ist ihre Sache nicht. Marie-Nicole Lemieux ist darstellerisch eine durchaus humorvolle Mrs. Quickly, die auch stimmlich neben Tezier die beste Leistung erbringt. Allerdings fehlt mir bei ihr in Verdi-Rollen ein bisschen die Durchschlagskraft. Enttäuschend das junge Paar. In der Pause wurde einigermassen darüber diskutiert, ob es keinen besseren Fenton als Paolo Fanale gäbe. Mir ist ehrlich gesagt nicht wirklich jemand eingefallen, denn die, die in Frage kämen, wird sich ein Operndirektor wahrscheinlich nicht leisten wollen. Seine Stimme klingt eher flach und auch darstellerisch bleibt er unauffällig. Hila Fahima kann als Nanetta zwar mit einigen recht hübschen Höhen aufwarten, im Gesamten ist die Stimme aber etwas zu dünn für diese Rolle. Darstellerisch blieb auch sie blass. Die kleineren Rollen waren mit Thomas Ebenstein (Dr. Cajus) und Herwig Pecorao (Bardolpho) gut besetzt und Lilly Jorstad ergänzte als Meg das Frauenquartett ordentlich. Bei der  Besetzung des Pistola mit Riccardo Fassi, der eher unauffällig blieb, frage ich mich schon, warum diese Rolle nicht aus dem Ensemble – ich denke hier z.B. an Paolo Rumetz – hat besetzt werden können. Der von Martin Schebesta einstudierte Chor sang zufriedenstellend.

Bleibt zum Schluss noch die Inszenierung. Da man weiss, dass britische Regisseure „ihrem“ Shakespeare meist nicht weh tun, konnte man hoffen, eine traditionlle Inszenierung zu sehen zu bekommen. Man wurde nicht enttäuscht. David McVicar hielt sich an die Vorgaben Boitos und Verdis und spielte das Werk vom Blatt, wobei es aber doch einige Dinge gab, die nicht logisch waren, wie z.B. der Umstand, dass Ford sich zwischen dem 3. u. 4. Bild wieder umziehen musste. Was allerdings ein ziemliches Manko war, war die sehr schwache Personenführung. Die Solisten waren über weite Strecken sich selbst überlassen und in den Massenszenen standen die Leute nur irgendwie herum. Besonders im Tollhaus des 4. Bildes, bei dem oft kein Auge trocken bleibt, fiel dies schmerzlich auf. Aber was solls, man war schon froh, nicht einen „Falstaff“ zu sehen, der auf einer Baustelle, in einer Plattenbausiedlung oder, wie zuletzt in Salzburg, in einem Seniorenheim spielt. Sowohl die Bühnenbilder von Charles Edwards als auch die Kostüme von Gabrielle Dalton waren recht hübsch.

Dem Publikum hats aber hörbar gefallen, den am Schluß gab es viel Jubel in den auch das Regieteam vorbehaltlos einbezogen wurde.

Heinrich Schramm-Schiessl      

 

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