WIEN / Staatsoper: „FALSTAFF“ – 17.06.2022
Gerald Finley. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Giuseppe Verdis letzte Oper in der Inszenierung von Marco Arturo Marelli steht, nach der Wiederaufnahme im September 2021, derzeit in einer zweiten Aufführungsserie mit zum Teil geänderter Besetzung auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Über die Inszenierung habe ich bereits im September berichtet, ich will mich daher diesmal nur auf die musikalische Ausführung fokussieren.
Gerald Finley, leider viel zu selten Gast an der Wiener Staatsoper, war ein großartiger Interpret der Titelrolle. Im Gegensatz zu Wolfgang Koch, der bei der Wiederaufnahme eher einen in die Jahre gekommen Don Giovanni verkörpert hat, gelingt es Gerald Finley ein feines Profil eines heruntergekommenen Adeligen, der selbst in der Gosse die Selbstachtung nicht verliert, zu zeichnen. Ein Sir, der diese Bezeichnung wahrlich verdient. Dazu gesellt sich noch seine ausgezeichnete stimmliche Darbietung. Mit seinem warm timbrierten Bariton und eleganter Phrasierung lässt er auch in dieser Hinsicht keinerlei Wünsche offen. Die beiden vorangegangenen Staatsoperndirektoren haben es leider verabsäumt Bryn Terfel rechtzeitig als Wotan und als Hans Sachs in Wien anzusetzen. Man kann nur hoffen, dass die amtierende Staatsoperndirektion mit Gerald Finley bereits Termine fixiert hat, um ihn auch in Wien als Hans Sachs präsentieren zu können.
Wie bereits im September war Boris Pinkhasovich ein überzeugender Ford. Glaubhaft als eifersüchtiger Ehemann, stimmlich vielleicht etwas verhaltener als im September.
Frédéric Antoun war als Fenton wesentlich besser als bei seinem verunglückten Staatsoperndebüt als Alfredo, allerdings musste man erneut feststellen, dass seine Stimme für das Haus der Wiener Staatsoper einfach zu klein ist. Ich habe den kanadischen Tenor schon oft in mittleren und kleineren französischen Opernhäusern gehört und als ausgezeichneten Sänger in bester Erinnerung (u.a. als Gérald in „Lakmé“). An der Wiener Staatsoper muss er jedoch den ganzen Abend über forcieren, wodurch sich seine Stimme in der Höhe verengt und seine sehr wohl vorhandenen Höhen gequetscht klingen. Dabei passt sein eher dunkles Timbre wundervoll zu dem hellen Sopran von Vera-Lotte Boecker als Nannetta.
Gerald Finley, Monika Bohinec. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Wie bereits im September konnte man wieder Eleonora Buratto mit ihrem hell leuchtenden Sopran als Alice Ford und Monika Bohinec mit vollem, rundem Mezzosopran als spielfreudige Mrs. Quickly erleben.
Meg Page wurde diesmal von Isabel Signoret (Mitglied des Opernstudios) mit schönem, hellem Mezzosopran gesungen.
Thomas Ebenstein war ein kauziger Dr. Cajus und in den Rollen der beiden Diener Bardolfo und Pistola ergänzten Daniel Kluge (als Gast von der Hamburgischen Staatsoper) und Ilja Kazakov (Mitglied des Opernstudios) die Besetzung zufriedenstellend.
Absolut nicht zufriedenstellend war das Dirigat. „Falstaff“ war immer eine „Dirigentenoper“ und meistens sogar „Chefsache“. Angefangen von Gustav Mahler über Franz Schalk, Felix Weingartner und Clemens Krauss bis zu Herbert von Karajan und Lorin Maazel standen meistens sogar die Operndirektoren selbst am Pult. Und dazwischen leiteten so großartige Dirigenten wie Arturo Toscanini, Leonard Bernstein, Georg Solti, Seiji Ozawa und Zubin Mehta Verdis Meisterwerk. Nun, Giampaolo Bisanti kann man gewiss nicht in die Liste der großen „Falstaff“-Dirigenten einreihen. Er brachte die Aufführung zwar gerade noch unfallfrei zu Ende, aber bereits im ersten Nonett im 2. Bild drohte das Ensemble völlig auseinanderzufallen. Auch danach hat es noch jede Menge Wackelkontakte im Gesangsensemble und in der Koordination zwischen Bühne und Orchester gegeben. Außerdem ließ er das ohnehin nicht gerade bestens disponierte Orchester der Wiener Staatsoper viel lauter aufspielen als dies etwa Nicola Luisotti im September getan hat.
Dank Verdi und dem guten Ensemble verließ man dennoch gutgelaunt das Haus.
Walter Nowotny
Nachbemerkung: Ich habe noch nie so viele Besucher in der Staatsoper mit kurzen Hosen gesehen. Es scheint fast, als würde man massenweise Karten an zufällig vorbeikommende Touristen verschenken. Ich habe für meinen Platz (Galerie Seite 1. Reihe) den Vollpreis von € 57,00 bezahlt. Mich würde wirklich interessieren, wie hoch der Prozentsatz an zu Vollpreisen verkauften Karten im Verhältnis zu den ermäßigten Karten (Sonderaktionen für Newsletter-Abonnenten, Karten für Kurzentschlossene, U27-Karten, Kinderkarten), Regiekarten und Freikarten ist.