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WIEN / Staatsoper: FALSTAFF

Ein fröhlicher, spielfreudiger, fein gesungener Opernabend

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Roberta Mantegna (Alice Ford) und Boris Pinkhasovich (Ford). Alle Fotos; Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: FALSTAFF

51. Aufführung in dieser Inszenierung

21. Juni 2024

Von Manfred A. Schmid

Verdis Spätwerk ist einzigartig. Die lyrische Komödie Falstaff, Libretto von Arrigo Boito nach William Shakespeare, enthält keine Arien zum Mitsingen, keine großen melodiösen Bögen zum Mitsummen, keine packenden Chorszenen und auch kein Ballett. Es gibt zwar den titelgebenden,  heruntergekommenen Ritter mit Schmerbauch, der ganz aus der Zeit gefallen zu sein scheint, weil er sich, wenn er zwei verheiratete Frauen zum Ehebruch verführen will, von der galanten Art der ritterlichen Minne längst verabschiedet hat, der aber auch in der neuen Welt des aufstrebenden Bürgertums keinen Platz finden kann und daher wie zwischen zwei Welten lebt: Der alten, vergangenen Welt der Ritter und der neuen Welt der selbstbewussten Bürgerinnen und Bürger. Viel wichtiger aber ist, dass es in der Oper weniger um das Aufzeigen gesellschaftlicher Probleme geht, sondern vielmehr darum, was daraus entsteht und wie man damit umgeht: nämlich Wirrwarr, Heiterkeit und Humor. Wenn es eine Moral von der Geschicht‘ gibt, dann ist es die Erkenntnis, dass die Welt ein Chaos ist, der Mensch ein Narr und dass es am besten ist, das alles nicht allzu ernst zu nehmen, sondern darüber zu lachen und weiterzumachen: Tutto nel mondo è burla. Alles ist Spaß auf Erden. Wenn Barrie Kosky in seiner jüngsten Inszenierung von Mozarts Così fan tutte, mit Verdis Falstaff seelenverwandt, von dieser Wahrheit ausgegangen wäre, wäre das Ergebnis gewiss nicht so trist und langweilig ausgefallen, wie es der Fall ist.

Wichtig bei Verdis Falstaff ist auch, dass neben der Titelfigur alle anderen Figuren ebenfalls sehr wichtig sind. Sie alle singen ihre Solos, Duette und Quartette, und das macht den Charme und die Einzigartigkeit dieser Oper aus. Denn es ist das Ensemble, das hier den Ton angibt. Und die Wiener Staatsoper ist in der Lage, alle dieser Rollen aus dem Haus zu besetzen. Natürlich nicht nur rollendeckend, sondern gut. Ausnahmen sind Falstaff und Frau Ford, die besetzungsmäßig von außen kommen

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Luca Salsi (Falstaff)

Mit Luca Salsi als Rollendebütant in der Titelrolle ist ein in Wien gern gesehener Gast am Zug, der den eingebildeten Ritter mit Clownerie in einem bunten Kostüm spielt, das gut zu seiner Verhaltensauffälligkeit passt. Trotz seiner mächtigen Stimme geling es ihm, die vielen Parlandi-Stellen fast so wie locker dahingesprochen erscheinen zu lassen. Ein Gustostückerl ist sein selbstironisches wie auch prahlerisches „Credo“ über die Ehre, eine Arie en miniature. Meist aber klingt alles leicht und unbeschwert, was dazu beiträgt, warum dieser Kerl auch Sympathien einheimsen kann und nicht nur der Lächerlichkeit preisgegeben ist. Ganz an die Leistung von Ambrogio Maestri in dieser Rolle kommt Salsi noch nicht heran. Aber da fehlt nicht mehr viel.

Die lustigen Weiber von Windsor können gegenüber ihren Männern erstaunlich viel Selbstbewusstsein und Entschlossenheit aufbringen. Alice Ford ist diejenige, die ihrem grundlos eifersüchtigen Gatten eine harte Lektion erteilt. Die italienische Sopranistin Roberta Mantegna fühlt sich bei ihrem Debüt sichtlich wohl in dieser Rolle und bezaubert mit ihrer silbrig klingenden Stimme und resolutem Spiel.

Die eigentliche Kraftquelle und Mastermind hinter den Aktionen der Frauen ist allerdings die erfindungsreiche Mrs. Quickly, die in den beiden verschwörerisch ausgeheckten Straf-Aktionen souverän die Fäden zieht und es nicht nur Falstaff, sondern der ganzen hier versammelten Männerwelt gebührend heimzahlt. Eine ideale Rolle für Monika Bohinec, die ihren Sinn für Humor und perfekte Verwandlungskunst voll auszuspielen weiß.

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Die listigen Weiber von Windsor; Slávka Zamecnikova (Nannetta), Isabel Signoret (Meg Page), Roberta Mantegna (Alice Ford) und Monika Bohinec (Mrs. Quickly.

Die Mezzosopranistin Isabel Signoret ist Meg Page eine lebhaft anteilnehmende Mitverschwörerin. Der strahlend-frische Mittelpunkt der Frauenwelt ist aber Slávka Zamencnikova als Nanetta, die junge, unbändige Tochter der Fords, die mit ihrem kristallklaren Sopran und leichtfüßigem Spiel höchst präsent über die Bühne schwebt und alle – auch das Publikum – in ihren Bann zieht. Mit ihrem Lied von der Feenkönigin „Sul fil d’un soffio etesio“ bezaubert sie nicht nur ihren Geliebten Fenton, sondern das – Fußball-EM! – nicht ganz gefüllte Haus.

An ihrer Seite hat es der junge japanische Tenor Hiroshi Amako nicht leicht, sich zu behaupten. Innig und einschmeichelnd beteuert er seine Liebe, wirkt aber doch eher wie ein schüchterner, aber durchaus sympathischer Bursche. Der russisch-österreichische Bariton Boris Pinkhasovich, oft eher in ernsten bis Rollen von Onegin bis Giorgio Gemont eingesetzt, kann auch komödiantisch eine Wucht sein, was er u.a. als Figaro in Rossinis Barbiere gezeigt hat. Als der sich in Eifersuchtsvorstellungen immer mehr hineinsteigernder Ford überzeugt er stimmlich mit kraftvoller Virilität, die er in seiner Mini-Arie „E‘ Sogno, o réalita („Ist es ein Traum“) zur Schau stellen kann, wenn er mit dem Gedanken spielt, eine untreue Frau zu haben.

Norbert Ernst absolviert ein stimmiges Rollendebüt als Dr. Cajus, und liefert die Karikatur eines schmierigen Anwalts, während der Tenor Andrea Giovannini und der Bass Ilja Kazakov als Bardolfo und Pistola die beiden Handlanger von Falstaff pointiert und lustvoll auf die Bühne von Marco Arturo Marelli stellen, von dem auch die Inszenierung stammt, die von Operndirektor Roscic wieder eingeführt wurde und die Mc Vicar-Inszenierung aus dem Jahr 2016 ersetzt.

Musikalischer Leiter des gesanglich guten und überaus spielfreudigen Opernabends ist der der junge Frankfurter Generalmusikdirektor Thomas Guggeis, der u.a. in Mailand ausgebildete Dirigent bestätigt, dass er auch für  Verdi ein gutes Händchen hat.

 

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