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WIEN / Staatsoper: EUGEN ONEGIN

Ruzan Mantashyan - ein erfreuliches Hausdebüt in der Rolle der Tatjana

WIEN / Staatsoper: EUGEN ONEGIN

13. Aufführung in dieser Inszenierung

1. März 2024

Von Manfred A. Schmid

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Boris Pinkhasovich, Ruzan Mantashyan. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 

Gegenüber der in Schnee und Eis erstarrenden Vorgängerinszenierung ist Dmitri Tcherniakovs Eugen Onegin eine deutliche Verbesserung, auch wenn der russische Regisseur die zentralen Figuren vor allem viel herumstehen und die Nebenfiguren die meiste Zeit ziemlich starr rund um einen riesengroßen ovalen Tisch herumsitzen lässt. Dass dieser Tisch in allen drei Akten im Mittelpunkt der Bühne steht, ist eine fixe Idee, die spätestens in der Duellszene ihre Wirkkraft verliert, was letztlich dazu geführt haben mag, dass es diesmal gar nicht zu einem richtigen Duell kommt, sondern nur zu einer Rangelei, bei der sich ungewollt ein Schuss löst und Lenski tot umfällt. Gut möglich, dass Tcherniakov damit den sich als Mann von Welt gerierende Eugen Onegin als Memme entlarven will, was sich  im letzten Akt ein weiteres Mal bestätigt, wenn er, von Tatjana aus dem Haus verwiesen, eine Pistole zieht, sie zunächst auf die nunmehr angebetete, einst von oben herab verschmähte Tatjana richtet und dann an die eigene Schläfe hält. Wieder drückt er nicht ab. Der zuvor vor Selbstmitleid triefende, sich in seiner gesellschaftlichen Wichtigkeit heillos überschätzende Landadelige, der von den geladenen Gästen am Hof von Fürst Gremin gnadenlos ignoriert wird, lacht am Schluss selbst darüber, sich so drastisch und peinlich der Lächerlichkeit preisgegeben zu haben: Die späte Erkenntnis eines durch herablassende Arroganz und Hochstapelei verpfuschten Lebens. Eines Mannes, der im entscheidenden Moment aus Überheblichkeit die falsche Entscheidung getroffen hat. Boris Pinkhasovich gelingt es gut, das Dilemma dieses narzisstischen Mannes darzustellen, Der aus St. Petersburg stammende Bariton hat seit seinem Debüt in dieser Rolle vor allem schauspielerisch viel dazugelernt, was auch seiner stimmlichen Ausdruckskraft zu größerem Farbenreichtum verholfen hat, was sich vor allem in „Kogda bi zhizn domashnim krugom“, seiner Arie im ersten Akt, hörbar niederschlägt. Eine Gratwanderung zwischen warmer Phrasierung und eleganter Distanz.

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Bogdan Volkov, Daria Suskhova. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Es sind überhaupt die russischen Sängerinnen und Sänger, die dieser Aufführung ihren Stempel aufdrücken. Dazu gilt auch für die Mezzospranistin Elena Maninista, Ihre Larina ist die etwas geschwätzige Gastgeberin, die im ersten Akt zu einem großen Fest einlädt und von der überhitzten emotionalen Gefühllage ihrer Tochter Tatjana und der Gefühlskälte ihrer im Gegensatz dazu leichtfertig mit Eugen Onegin flirtenden Tochter Olga wenig Notiz nimmt. Wie übel Letztere damit ihren Verlobten Lenski in die Bredouille bringt, bekommt sie erst spät mit und glaubt dann, mit einer Ohrfeige die gefährliche Eskalation entschärfen zu können. Mehr Anteil am Geschehen nimmt da schon die alte Amme Filipjewna (Elena Zaremba), die aber schon eher in der Vergangenheit lebt.

Daria Sushkova aus dem Opernstudio hat bereits in vielen Nebenrollen auf ihren hellen, ausdrucksstarken Mezzosopran und ihre darstellerischen Fähigkeiten aufmerksam gemacht. In der Rolle der Olga kommt sie in der tiefen Lage diesmal aber an ihre stimmlichen Grenzen und kann in den Duetten mit deren Schwester (noch) nicht immer mithalten. Das liegt freilich auch am stimmlichen Kaliber von Ruzan Mantashiyan, die bei ihrem Hausdebüt als Tatjana einen sehr erfreulichen Eindruck hinterlässt. In der Briefszene, die emotionale Berg- und Talfahrt einer jungen Frau, die zum ersten Mal in Liebe entbrennt, ringt sich dazu durch, ihre Gefühle in einem Brief an den Mann ihrer Träume offenzulegen. Mit klarer, klangvoller Stimme fasst sie sich, nach langem Abwägen, ein Herz und tanzt beseelt auf dem Tisch durch die Nacht. Packende 12 Minuten eines inneren Triumphs, der Sieges über alle Bedenken und Ängste

Tcherniakovs Deutung der Oper beraubt nicht nur Eugen Onegin seiner angeblichen Souveränität und entlarvt ihn als einen Blender, der die einzige Chance in seinem Leben nicht genützt hat. Auch Lenski, Eugens Nachbar und Freund, bekommt sein Fett ab. Einerseits ist er ein empfindsamer, zart besaiteter Poet, andererseits macht er sich, wie Eugen, ebenfalls in aller Öffentlichkeit lächerlich, als er die im Libretto ursprünglich einem Mann namens Triquet anvertraute Arie, eine Art Mitternachts-Einlage eines spät eintreffenden französischen Gasts, zu übernehmen hat und sich als Spaßmacher ins Zeug legt. Damit kaschiert er für kurze Zeit seine innere Verzweiflung ob der ungebührlichen Behandlung durch seine Braut Olga, unterstreicht damit aber auch, dass sie ihn vor aller Welt zum Narren gemacht hat. Der russische Tenor Bogdan Volkov erbringt in der Arie „Ja lyublyu vas“ eine solide Leistung, steigert sich dann in „Kuda, kuda vïudalilis“, wenn er vor dem anberaumten Duell über die Welt und das Leben, wie es hätte sein können, nachdenkt, beachtlich und begeistert mit einer in zartestem Pianissimo dargebotenen letzten Strophe. Die triste Erkenntnis, das Leben verpasst zu haben, teilt er mit Eugen Onegin.

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Ruzan Mantashyan, Ain Anger. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Ain Anger hat als Fürst Gremin nur einen kurzen Auftritt, bringt in seiner Bass-Arie „Lyubvi vse vozrasti pokorni“ aber eine von Zärtlichkeit und Dankbarkeit geprägte Hymne auf die späte Liebe an der Seite der zu vollen Schönheit erblühten Tatjana dar. Ein geglücktes Leben als Gegenstück zu Eugen Onegins elender Trümmer-Existenz. Dan Paul Dumitrescu ist eine verlässliche Hausbesetzung für den als Duell-Sekundant auftretenden Saretzki.

Trotz beachtlicher Leistungen des Ensembles auf der Bühne zieht sich der Opernabend ziemlich in die Länge, woran nicht nur die gut halbstündige Pause vor dem dritten Akt, die die angegebene Aufführungsdauer von drei Stunden auf dreieinhalb steigert, schuld ist, sondern auch das behäbige Dirigat von Lothar Koenig. Den charakteristischen Kommentaren der Bläser in der zentralen Arie der Briefszene fehlt es an Prägnanz und auch ansonsten ist das, was diesmal aus dem Orchestergraben zu hören ist, nicht das Beste von Brei. Dass von den – oft leise und zart ausklingenden – instrumentalen Nachspielen kaum mehr etwas zu vernehmen ist, liegt aber eindeutig an den Zuhörern, die gleich nach dem Ende eines Gesangs zu klatschen beginnen. Ärgerlich, aber man ist ja schon froh, dass sie nicht, wie bei Popkonzerten üblich, schon am Beginn eines Liedes zu klatschen beginnen, aus Freude, weil sie die Melodie erkannt haben.

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Boris Pinkhasovich

Der Schlussapplaus im zunächst gut gefüllten Haus, das nach der Pause merkbare Lücken auf der Galerie aufzuweisen hat – die Touristen konnten ob der Länge der ersten beiden Akte ohnehin erst spät die Flucht ergreifen – , ist beachtlich. Übersteigt die üblichen fünf Minuten aber kaum.

 

 

 

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