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WIEN/ Staatsoper: EUGEN ONEGIN

Warm anziehen!

11.10.2018 | Oper

Debütant Alexej Markov (C) M.Pöhn

 

WIEN / Staatsoper: EUGEN ONEGIN

Warm anziehen!

10.10. 2018 – Karl Masek

Man kann sich über alles ärgern – aber man ist nicht dazu verpflichtet. Auch nicht über den Inszenierungs-Unfug des Falk Richter aus dem Jahr 2009 (mit den Eisblöcken von Katrin Hoffmann auf der Bühne), der auch nach der 49. Aufführung in dieser Inszenierung zu Kalauern wie „Warm anziehen!“, „Anhaltender Schneefall“ oder „Keine Wetterbesserung in Sicht“ reizt. W a s Richter hier inszeniert hat, weiß ich nicht. „Eugen Onegin“ war es jedenfalls nicht. Das Libretto kann Richter nicht gelesen haben (oder er hat es ignoriert), nimmt man nur eine Textstelle aus der Szene der Tatjana mit der alten Filipjewna her. Tatjana bittet Filipjewna, das Fenster im Schlafgemach (eine Art angedeuteter Tiefkühltruhe) zu öffnen, es sei so stickig und schwül. Glücklicherweise tut die sorgliche Njanja das nicht (auch in Ermangelung eines Fensters), sie ist ja auch nicht die böse Großmutter aus Ödön von Horváths ‚Geschichten aus dem Wiener Wald‘, die ‚das Kind absichtlich dem kalten Zug aussetzt‘! Wer weiß, ob da Tatjana nicht gesundheitlich Schaden nehmen würde, und das unmittelbar vor der zentralen Briefszene!  Was Katrin Hoffmann da auf die Bühne gestellt hat, bleibt ebenfalls unerfindlich. Das kann die Probebühne mit Versatzstücken für alle möglichen Werke sein…

Also wieder einmal: Augen zu, Ohren auf. Konzentration auf das Musikalische, auf Tschaikowskys „Lyrische Szenen“.

Das Orchester der Wiener Staatsoper versuchte, angeführt vom sich zerfransenden Konzertmeister Volkhard Steude, das eiskalte Bühnenambiente mit der nötigen Poesie, Dramatik, Empfindungstiefe, Wärme aus dem Orchestergraben zu konterkarieren. Dies gelang – vielfach durch Eigeninitiative – mit einigem Erfolg. Wo sonst hört man so wunderschöne, elegische, edel intonierte Soli der Oboe, der Klarinette, des bei Tschaikowsky immer besonders beschäftigten Fagotts? Herrlich die Kantilenen der Soloflötistin dieses Abends! Selbst die Hörner bewältigten ihre heiklen Parts kantabel, tonschön – und beinahe unfallfrei.

Dirigent Louis Langrée war gut beraten, das „Angebot“, welches vom diesmal wirklich philharmonischen Orchester kam, dankend anzunehmen. Über weite Strecken daher eine musikalisch sehr gute Grundlage für den Abend. Noch mehr wäre möglich gewesen, hätte der Dirigent auch von sich aus „etwas verlangt“ und nicht (vor allem im 3. Akt) seinem Hang zum Schleppen immer wieder nachgegeben, was z.B. die Gremin-Arie durch eine völlig unmotivierte Fermate vor den letzten Worten des Fürsten beinahe zum Stillstand gebracht hätte, weil frühzeitig tröpfelnder  Applaus einsetzen wollte.

Zur Abendbesetzung (in der Reihenfolge des Programmzettels):

 Monika Bohinec war eine optisch wie stimmlich gleichermaßen attraktive Larina, der man nur ungern glaubte, dass sie sich resignativ in ein Hausfrauen-Gastgeberinnen-Dasein unter dem Motto: „Der Himmel lässt oft für das Glück Gewöhnung als Ersatz zurück“ zurückzieht. Sie wirkte kaum älter als ihre Bühnentochter Tatjana.

 Olga Bezsmertna war in jeder Faser die introvertierte, verträumte, sonderbare, lesewütige Tatjana, die Eugen Onegin in aufwallender Gefühlshitze den berühmten Brief schreibt („Und wär’s mein Untergang…“). Sie singt diesen Kulminationspunkt der ganzen Oper mit großer Bandbreite der Gefühlsskala, „in die Tiefe des Herzens“ gehend. Aber in diesem gefrorenen Ambiente war es wirklich fast unmöglich, sich als Bühnenfigur zu profilieren.

Elena Maximova tat als die fröhlichere, erdigere Olga (und Auslöserin des unfasslich tragischen Folgegeschehens) das ihr Mögliche, um etwas Leben in die triste Szenerie zu bringen.

Auf der Haben-Seite der Vorstellung war weiters die noch sehr junge Bongiwe Nakani. Sie imaginierte unbeirrt mit teilnahmsvollem Spiel und samtweicher Altstimme die fürsorgliche Njanja Filipjewna. Man wird sie künftig hoffentlich nicht nur Dienerinnen- und Großmütterrollen singen lassen – obwohl man sich als Opernstimmen-Freak natürlich glücklich schätzt, in solchen Rollen keine ausgesungenen Organe hören zu müssen. Gespannt kann man auf ihr Auftreten als Ulrica im „Maskenball“ sein…

Nun endlich zur Titelrolle.  Dem St. Petersburger Alexey Markov hätte man für sein Hausdebüt eine theatergerechtere Inszenierung gewünscht. Er wirkte auch in der dritten Vorstellung der aktuellen Serie immer noch steif und gehemmt. Was der Skizzierung der Arroganz des gelangweilten, dem Leben  überdrüssig gewordenen, Dandy ja noch eher entgegen kommen mag. Onegin als unglücklicher, und andere unglücklich machender Lebemann – das schien er weniger zu verkörpern. Die Aura des Neurotikers im Sinne des legendären Psychiaters und Opernfans mit der Lieblingsoper „Eugen Onegin“, Erwin Ringel, strahlte er nicht aus. Er führte einen ausnehmend schön timbrierten Bariton elegant spazieren, ließ aber Erschütterung nach dem sinnlosen Duell mit Lenski sowie die aufflammende Leidenschaft der Gremin-Gattin Tatjana gegenüber weitgehend vermissen. So verpuffte die Schluss-Szene immer noch seltsam unterkühlt. Um ihn gerecht beurteilen zu können, wird es Begegnungen auch in anderen Rollen brauchen…

Dmitry Korchak war hingegen der Idealtyp eines Lenski. Exaltiert, schwärmerisch, aber auch eifersüchtig, larmoyant, wegen einer „Kleinigkeit“ auszuckend und duellbereit (oder vielleicht doch nicht? Im letzten Moment legt er die Pistole beiseite, aber es ist zu spät). „Kuda, kuda“ war ein Seelenporträt, wie es bewegender kaum gestaltet werden kann. Tenorstimme: Farbig, obertonreich, technisch hervorragend geführt.

Enttäuschend leider Ferruccio Furlanetto als Gremin, der normalerweise mit der berühmten Arie „Ein jeder kennt die Lieb‘ auf Erden“ in einer Zehn-Minuten-Rolle abräumt. Verquollen diesmal die Tongebung – und auch distonierend. Hoffentlich nur eine schwächere Abenddisposition, vielleicht auch Opfer des Schneckentempos vom Pult?

Hans Peter Kammerer war als Hauptmann (und Ballordner – das war ein Ball??) sehr charmant und als „Duellordner“ Saretzky in den kurzen Momenten bühnenbeherrschend. Ein vielseitig einsetzbares, verlässliches Ensemblemitglied, der frischgebackene Herr Kammersänger. Ja, und Thomas Ebenstein sang als Monsieur Triquet auch die Karl-Lagerfeld-Parodie überzeugend.

Chor und Ballett der Wiener Staatsoper machten auch Dienst. Das jedenfalls tadellos.

Das Publikum reagierte bei Olga Bezsmertna und Dmitry Korchak mit Jubel, bei Alexey Markov, Elena Maximova und Furlanetto mit eher gedämpfter Zustimmung (Monika Bohinec und Bongiwa Nakani bekamen leider keinen Solovorhang zugestanden).  Louis Langrée musste einige schrille Buhrufe von der Galerie einstecken.

Karl Masek

 

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