WIEN / Staatsoper: „ELEKTRA“ – 05.01.2023
Violeta Urmana. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
2015 brachte der damalige Operndirektor Dominique Meyer eine völlig unnötige Neuproduktion der „Elektra“ von Richard Strauss heraus. Als Regisseur hatte er Uwe Eric Laufenberg verpflichtet, der die vom Komponisten vorgegebene Werkbezeichnung (Tragödie in einem Aufzug) irgendwie falsch verstanden haben muss und die Oper in einem Kohlenkeller mit Paternosteraufzug angesiedelt hat. Eine der ersten (und bisher auch besten) Entscheidungen des derzeit amtierenden Operndirektors Bogdan Roščić war es, diese absolut überflüssige Neuinszenierung nach nur 24 Aufführungen entsorgen zu lassen und die bereits legendäre Inszenierung von Harry Kupfer aus der Ära von Claus Helmut Drese in den Spielplan zurückzuholen.
Nina Stemme. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
So sang Nina Stemme, die Premierenbesetzung der Titelrolle im Jahr 2015, die Atridentochter nun zum ersten Mal in der Kupfer-Inszenierung. Auch in dieser Produktion ist ihre Interpretation atemberaubend. Ihre Stimme ist mit den Jahren etwas dunkler geworden, ohne jedoch dabei die Höhe zu verlieren. Gewiss, manche Höhen, vor allem jene im Pianobereich, setzt sie heute etwas vorsichtiger an als früher, aber ihre Forte-Höhen sind nach wie vor kraftvoll und strahlend, und dabei ist sie auch immer textverständlich. Wie eine Trompete überstrahlt ihre durchschlagskräftige Stimme mit schier endlosen Kraftreserven das gesamte Riesenorchester. Aber dazwischen ist sie nach wie vor fähig auch zarte Piano-Passagen zu singen. Wenn sie in der Erkennungsszene mit Orest zarte Töne zu anschmiegsam weich modellierten Phrasen bindet und gleich darauf die Streicher im Orchester diese Zärtlichkeit übernehmen, dann sind das jene magischen Momente in einer Opernaufführung, die einmalig und unwiederbringlich sind.
Besonders intensiv geriet die Konfrontation zwischen Elektra und ihrer Mutter Klytämnestra. Als diese kehrte nun Violeta Urmana nach mehr als sechs Jahren Abwesenheit an die Wiener Staatsoper zurück. Von hier aus startete sie 1996 als Mezzosopran ihre Weltkarriere. Nachdem sie dann jahrelang im hochdramatischen Sopranfach reüssiert hatte, ging sie nun vor ein paar Jahren wieder in das Mezzosopranfach zurück. Stimmlich findet sie nun als traumgeplagte Gattenmörderin die richtige Balance zwischen schönen Gesangslinien und scharfer Deklamation. Mit Nina Stemme und Violeta Urmana standen sich nun zwei hochdramatische Persönlichkeiten auf Augenhöhe gegenüber.
In den letzten Aufführungen der bereits erwähnten Unglücksproduktion von Laufenberg im Februar 2020 (kurz vor dem 1. Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie) sang bereits Simone Schneider die Chrysothemis. Nun stand auch sie erstmals in der Kupfer-Inszenierung auf der Bühne der Staatsoper. Auch sie besitzt genügend Stimmvolumen um sich nicht vom Orchester zudecken zu lassen. Sie überzeugte wortdeutlich und mit in allen Lagen runder Stimme als weiblichere der beiden Schwestern, die noch Kinder bekommen und „leben“ möchte, bevor sie stirbt.
Neben so viel überragender Frauenpower hatten es die Männer da schwer. Christof Fischesser gefiel mit seiner schöntimbrierten Bassstimme als Orest. Darstellerisch konnte er die Premierenbesetzung des Jahres 1989 (Franz Grundheber) nicht ganz vergessen machen.
Für Jörg Schneider, der gerade eine Meniskus-Operation hinter sich gebracht hat, sprang Thomas Ebenstein als Aegisth, der „Heldentaten nur im Bett vollführt“, ein und er machte seine Sache gut.
Mit Zoryana Kushpler, Szilvia Vörös, Daria Sushkova, Regine Hangler und Aurora Marthens (Fünf Mägde), Stephanie Houtzeel (Aufseherin), Miriam Kutrowatz (Vertraute), Alma Neuhaus (Schleppträgerin), Robert Bartneck (Junger Diener), Dan Paul Dumitrescu (Alter Diener) und Marcus Pelz (Pfleger des Orest) waren auch die Nebenrollen zufriedenstellend besetzt.
Wenn man die Biographie des britischen Dirigenten Alexander Soddy liest, fällt sofort auf, dass er seine Karriere als Korrepetitor am Nationalen Opernstudio in London und an der Hamburgischen Staatsoper begonnen hat. Das erklärt vielleicht auch die Tatsache, dass er sehr wohl weiß, wann er das Orchester laut spielen lassen kann und wann er es ein wenig einbremsen muss. Jedenfalls wurden an diesem Abend die Sänger nicht gnadenlos zugedeckt, so wie in vielen Aufführungen der letzten Zeit. Er versteht es die Partitur breit aufzufächern, viele instrumentale Details herauszuheben, wundervolle Nuancen zu finden und aus dem Orchester ein Maximum an Klangqualität herauszuholen. Bis auf eine kleine Irritation zu Beginn hatte er das Orchester fest im Griff, das sich an diesem Abend in Bestform befand. Nur vier Tage nach dem Neujahrskonzert bewies das Orchester der Wiener Staatsoper, dass es auch den „anderen“ Strauss kann und liebt. Das Einzige, das ich bei Alexander Soddy noch vermisse, ist das Genießen von musikalischen Momenten, jene schleichenden und weit geatmeten Übergänge, die die „Elektra“-Dirigate von Christian Thielemann oder Daniel Barenboim so unvergleichlich machen.
Den lang anhaltenden Jubel am Ende haben der Dirigent und das Orchester sowie die Sänger völlig zu Recht verdient.
Am 8. und am 11. Jänner hat man noch Gelegenheit, „Elektra“ in dieser Besetzung sehen zu können, es gibt noch Karten in allen Preiskategorien. Das sollte man sich nicht entgehen lassen!
Walter Nowotny