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WIEN/ Staatsoper: ELEKTRA. Die dritte Vorstellung – diesmal mit Alexander Soddy

Willkommen zurück!

 


Ricarda Merbeth. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 

WIEN/Staatsoper: „ELEKTRA“ in der Inszenierung von Harry Kupfer

Willkommen zurück!

19.9. 2020 – Karl Masek

Die bildmächtige , stilbildende Inszenierung des Harry Kupfer in der eindrucksvollen Bühnenbildlösung des Hans Schavernoch mit dem gestürzten Agamemnon-Denkmal und den Schicksalsseilen, an denen sich Elektra schließlich erhängt, hatte in der Direktion Claus Helmut Drese im Juni 1989 Premiere.

(Erinnerungsblatt: Im opernkonservativen Wien der ausgehenden 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts  waren die Meinungen der schreibenden Zunft zur Premierenzeit  durchaus geteilt, wurde doch von wesentlichen Vertretern der veröffentlichten Meinung bereits heftig an den Sesseln des Operndirektors und seines Musikdirektors Claudio Abbado gesägt. Hauptgegner Franz Endler, damals im „Kurier“, titelte seine Premierenkritik verächtlich „Bandeltanz in Mykene“. Aber es gab auch andere Stimmen. So sei an den kenntnisreichen, manchmal auch polarisierenden Schreiber (damals gab es übrigens noch die „AZ“), Gerhard Rosenthaler, erinnert, der von einer gigantischen „Elektra“ in der Staatsoper schrieb: „Das eine Ereignis: Claudio Abbado, das andere: Harry Kupfer: Die vollkommene Einheit einer Produktion, die in hundert Minuten Musiktheatergeschichte geschrieben hat…“)

Dieser Eckpfeiler des Staatsopern-Repertoires wurde unter Dominique Meyer durch die unsägliche Kohlehaufen- und Paternoster-Lift-Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg ersetzt. Klar, dass in Opernwien über diese szenische Hervorbringung alsbald der Kalauer die Runde machte: „Tragödie in einem Aufzug“. Anscheinend gefiel Bogdan Roščić auch nicht, was da zu sehen war, und er holte die Kupfer-Produktion unter dem Motto „Alt, aber besonders gut“ aus dem Fundus. Kupfer sollte die Wiederaufnahme persönlich betreuen, starb aber im Dezember 2019. So übernahm seine Assistentin Angela Brandt die „Szenische Neueinstudierung“.

Willkommen zurück im Repertoire!

Auf Franz Welser-Möst, der die ersten beiden Vorstellungen dirigiert hatte (er kommt für die Juni-Serie wieder), folgt nun Alexander Soddy am Dirigentenpult. Der 38-jährige Brite, derzeit Generalmusikdirektor in Mannheim, bedient nicht die Sehnsucht nach Pultstars, erweist sich aber rasch als einer, der sein Metier souverän beherrscht. Typisch für einen, der als Korrepetitor und später als Assistent von Simone Young (in Hamburg) und Kirill Petrenko (in Bayreuth) gearbeitet und so mannigfache Erfahrung gesammelt hat, bevor er in leitender Position in Klagenfurt erstmals Furore gemacht hat.

Selten hörte man die einleitende Mägde-Szene musikalisch so aus einem Guss, wortdeutlich und nicht als Wettgeschrei, wenn sie (bis auf die 5. Magd) gehässig über Elektra herfallen (präzise Monika Bohinec, Noa Beinart, Margaret Plummer, Regine Hangler, Vera Lotte Boecker,  dazu die Aufseherin Donna Ellen, die Mischung aus „Ensemble Alt“ & „Ensemble Neu“).

Selten hörte man Straussens Partitur so transparent, bis in die kleinsten Verästelungen von so genannten Nebenstimmen aufgefächert. Mit so vielen Nuancen im Piano-Bereich, beinah‘ kammermusikalisch inspiriert. Er weiß, wo er „aufdrehen“ kann und wo es gilt, auf die SängerInnen zu achten und sie nicht zuzudecken mit einer dicken Orchestertuchent. Das Orchester der Wiener Staatsoper glänzte durch über weite Strecken feine, geradezu seidige Nuancen (die Flöten, die Oboen, die Fagotte, natürlich die Streicher) und das hier besonders wichtige „aufeinander-Hören“.

Man tut als Zuhörer gut daran, liebgewordene Erinnerungen an die so genannte gute, alte Opernzeit, auszublenden. Hochdramatische Überfrauen, Heldinnen und „Schlachtrösser“ wie die Nilsson, die Mödl, die Rysanek, die Varnay, die Resnik, das war einmal (und auch damals nicht die Regel!).Heute singt Ricarda Merbeth die Elektra. Eher noch mit „Chrysothemis“-Farben. In der dritten Vorstellung dieser Serie scheint sie die Mordsrolle aber bereits gut in der Kehle zu haben. Der Agamemnon-Monolog atmet noch vorsichtige Zurückhaltung, da stellt man sich doch mehr Attacke, stimmliches „Zupacken“, vor. Doch sie teilt sich die Partie klug ein, den Eindruck des „Sparens“, um sich Kapazitäten für Höhepunkte aufzuheben, hatte ich nicht. Die Auseinandersetzung mit der verhassten Mutter hatte Innenspannung, auch bei den leisen Tönen. Lange redet sie wirklich wie ein Arzt, bevor sich Hass und obsessive Rache doch Bahn brechen. Die Erkennungsszene mit Orest gelingt ihr mit großer Innigkeit. Die finale Vehedderung mit den Schicksalsseilen spielt sie eindringlich.

Doris Soffel war Klytämnestra. Kaum zu glauben, aber das Archiv hat immer recht. Die heute 72-Jährige hat schon 1996 bei den Salzburger Festspielen  mit Leonie Rysanek als Klytämnestra alterniert. Dirigent damals: Lorin Maazel. Sie hat ihre Stimme über all die Jahre gut konserviert und erstaunlich frisch erhalten. Naturgemäß nicht mehr ganz mit früheren Kraftreserven. Sie mimt allerdings auch keine physische und psychische Ruine, ist durchaus eine Göttin mit Vergangenheit, aber in der Gegenwart von Depression und  Alpträumen gequält. Das Kippen in das Irrsinnsgelächter gelingt ihr eindringlich.

Camilla Nylund war mit der vielleicht schönsten Stimme des Abends jeder Zoll Chrysothemis, die ständige Berichterstatterin über das was backstage vorgeht, was sie alles gehört, erlauscht, von anderen gesagt bekommen hat. Ihr Sopran ist leuchtkräftig, mit Nachdruck geht sie an ihre stimmlichen Grenzen.


Derek Welton (Orest). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Derek Welton war der außerordentlich schön singende und obendrein äußerst wortdeutliche Orest. Seine Technik erlaubt es ihm, auch mit seinem Auftritt „Ich muss hier warten…“ die heiklen Basstöne  mit tragfähigem Piano übers Orchester zu schicken. “Die Hunde auf dem Hof erkennen mich, und meine Schwester nicht?“ kulminiert in der Erkennungsszene, bei der Richard Strauss an atonale Grenzen geht, und die an diesem Abend trotz der hier überbordenden Instrumentation wundersamer Weise schlank bleibt.

Thomas Ebenstein sprang kurzfristig für Jörg Schneider als Aegisth ein und machte das Beste aus der undankbaren Rolle. „Hilfe, hört mich keiner,…Mörder…“ war auch bei ihm kaum hörbar, ertrank in den Orchesterfluten. Die wenigen Sätze des Pflegers des Orest sang Marcus Pelz  markant, die beiden Diener sowie Vertraute und Schleppträgerin ergänzten gut (Robert Bartneck, Dan Paul Dumitrescu, Anna Nekhames, Stephanie Maitland).

Eine weitgehend sehr gute, dichte Aufführung, der nur ein gewisser „sehrender“ Zug fehlte.

Im Haus  gab es über die Corona-Vorschriften hinaus auffallend viele freie Plätze. Die steigenden Fallzahlen machen die Menschen offenkundig vorsichtig…

Starke Akklamation für alle.

Karl Masek

 

 

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