
Pretty Yende (Adina) im Kreis der Dorfbevölkerung. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper: Gatano Donizettis L’ELISIR D’AMORE
256. Aufführung in dieser Inszenierung
17. September 2020
Von Manfred A. Schmid
So ein Opernabend mit allem, was dazu gehört, ist gerade in Corona-Zeiten etwas Besonderes. Er bietet im besten Fall, wenn sie angesichts der internationalen Einschränkungen im Reiseverkehr überhaupt anreisen dürfen, die Möglichkeit, neue Sängerinnen und Sänger aus aller Welt kennenzulernen – aktuell sind das die südafrikanische Sopranistin Pretty Yende und der aus Palermo stammenden Bariton Nicola Alaimo. Vor allem aber ermöglicht er es den Besuchern, für ein paar Stunden der gewohnten Umgebung zu entfliehen und in fremde Länder, vergangene Zeiten und den jeweils dazugehörenden Sitten und Unsitten einzutauchen, ohne dafür eigens ins Ausland reisen zu müssen, was derzeit ohnehin nicht ratsam erscheint. So war man in den beiden ersten Wochen der neuen Saison immerhin bereits zu Gast in Japan, im antiken Griechenland, im politischen Intrigantenstadel Genuas zur Zeit des 14. Jahrhundert, und ist nun – Dank des idyllischen Bühnenbilds von Jürgen Rose und der stimmungsvollen Regie von Otto Schenk, vor allem aber wegen der mitreißenden Italianità der Musik Gaetano Donizettis – in einem entzückend verschlafenen Bauerndorf irgendwo in Mittelitalien angelangt. Ein Kurzurlaub bei unseren südlichen Lieblingsnachbarn! Davon hatte man doch schon seit dem Frühjahr immer wieder geträumt. Und dann geht der Vorhang auf, und man ist mittendrin in einer sonnendurchfluteten, von fröhlichen Leuten belebten, bunten, unbeschwerten ländlichen Szene. Liebeständeleien, Eifersucht, gutes Essen und Trinken, Tanzen und Singen. Und am Schluss eine unverhoffte Erbschaft und ein Happyend. Wenigstens die Opernwelt ist noch in Ordnung.
Ist sie aber nicht. Zur Realität gehört nämlich auch, dass wiederum viele Plätze – nicht nur die ordnungsgemäß gesperrten – frei bleiben, und die Steh-Sitzplätze auf der Galerie besonders spärlich frequentiert sind. Zudem müssen auch bei der zweiten Vorstellung der derzeit laufenden Aufführungsserie erneut coronabedingte Umbesetzungen vorgenommen werden. Nach den bereits gehabten Einspringern Evelino Pidò am Dirigentenpult und Javier Camarena als Nemorino kommen diesmal Bertrand de Billy und Jinxhu Xiahou zum Einsatz, wie Staatsoperndirektor Roscic vor dem Vorhang ankündigt. Bertrand de Billy, der sich derzeit zu den letzten Proben für die Don Carlos-Premiere am 27. September aufhält, erweist sich als umsichtiger und einfühlsamer Koordinator. Man merkt ihm die Freude an, nach so langer Abwesenheit und unverhofft wieder im Haus am Ring dirigieren zu können, noch dazu mit Pretty Yende als Adina, mit der er bereits 2017 am Royal Opera House Covent Garden bei dieser Oper zusammengearbeitet hat.
Jinxhu Xiahou, in Wien von vielen Auftritten her – auch in dieser Rolle – bekannt, hat sich als tollpatschig-schüchterner Nemorino mimisch und bewegungstechnisch verbessert. Durch sein Spiel, aber auch sängerisch kann er sympathiemäßig punkten. Dennoch ist sein heller, höhensicherer Tenor weiterhin zu eindimensional, zu wenig farbenreich. Seine Umsetzung der Arie „Una furtiva lagrima“ weit davon entfernt, wiederholt werden zu müssen.
Seine Angebetete, die Gutsbesitzerin Adina, gehört zu den Paraderollen von Pretty Yende, die Partie auch schon an der MET gesungen hat. Sie setzt ihre Fähigkeiten – strahlende Phrasierung, glänzende Koloraturen – gekonnt ein und weiß auch darstellerisch mit entzückender Anmut zu überzeugen. Fein, wie sie den Übergang von Nonchalance und oberflächlicher Flirterei hin zu wahrer Liebe gestaltet und dabei an Tiefe und Wärme gewinnt. Ihr sonniges Gemüt passt zu ihrer sonnigen, nicht allzu großen Stimme, die dafür aber – in der mittleren und höheren Lage – stark erblüht, geradezu aufblüht und das vermittelt, was man in Italien unter fioritura versteht.

Nicola Alaimo (Doktor Dulcamara). Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Der umtriebiger Quacksalber Doktor Dulcamara ist in der Interpretation von Nicola Alaimo eine Wucht. Komödiantisch und ungemein wendig zieht er mit seiner gekonnten Geschäftemacherei alle Aufmerksamkeit auf sich. Ein Rattenfänger, den alle auf den Leim gehen und dem dennoch keiner böse sein kann. Auch gesanglich ist er ein Meister seines Faches, der den Vergleich mit Kollegen wie Maestri oder Terfel nicht scheuen muss.
Clemens Unterreiners ist den stimmlichen Anforderungen der Partie des Belcore spielend gewachsen und weiß auch seine darstellerischen Fähigkeiten gut einzusetzen. Dennoch wirkt er vom Typus her in dieser Umgebung etwas zu steif und fehl am Platz. Mehr Lockerheit wäre gefragt. Der Sergeant, ein unbekümmerter, lässiger Draufgänger, ist einer, der sich nicht allzu ernst nimmt und nicht zu viel investiert.
Einen vielversprechenden Auftritt als Gianetta hat Johanna Wallroth, seit Beginn dieser Saison ist die aus Stockholm gebürtige Sopranistin Mitglied des Opernstudios. Auf weitere Einsätze darf man gespannt sein. Der Staatsopernchor kostet es sichtlich wie auch hörbar aus, der fröhlich gestimmten Landbevölkerung Ausdruck zu verleihen.
Herzlicher, kurzer Applaus, vor allem auch für den Dirigenten Bertrand de Billy, und einige Blumensträuße, die gekonnt auf die Bühne segeln. Ein solider Repertoireabend in unsoliden Zeiten. Man möchte gerne hoffen, dass es so weitergeht.
18.9.2020