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WIEN / Staatsoper: Donizettis ANNA BOLENA – Wiederaufnahme

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Szilvia Vöros (Smeton) und Diana Demrau (Anna). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: ANNA BOLENA von Gaetano Donizetti – Wiederaufnahme

19. Aufführung in dieser Inszenierung

12. Feber 2022

Von Manfred A. Schmid

 Über die bIsherigen Neuproduktionen der noch jungen, von der Pandemie in ihren Möglichkeite gewiss arg eingeschränkten Direktionszeit von Bogdan Roscic kann man geteilter Meinung sein. Geboten werden in erster Linie eingekaufte Inszenierungen aus dem Fundus des europäischen Regietheaters, die zum Teil schon recht museal wirken. Was vor 25 Jahren „modern“ und revolutionär war, ist heute oft schon überholt, wie man es etwa bei Die Entführung aus dem Serail des verdienten, jüngst verstorbenen Hans Neuenfels konstatieren konnte. Zu den Pluspunkten zählt hingegen die eindrucksvolle Zahl an Wiederaufnahmen in meist adäquaten bis hervorragenden Besetzungen: In letzter Zeit wurden u.a.  Pique Dame, Die Tote Stadt, Peter Grimes, Der Fliegende Holländer, Manon Lescaut aus ihrem Dornröschenschlaf wachgeküsst: Erfreuliche bis hinreißende, dankbar erlebte Wiederbegegnungen.

Nun kommt Donizettis Tragedia lirica Anna Bolena an die Reihe, die zuletzt, wenn die Erinnerung nicht trügt, 2015 an der Staatsoper zu sehen war – mit Anna Netrebko und dann auch mit Gruberova in der Titelpartie. Damit liegt die Latte bei einer Wiederaufnahme schon sehr hoch.  Diana Damrau, die in dieser Rolle im Dezember 2021 in Zürich erstmals zu bewundern war, ist eine hochgeschätzte Sopranistin für das Belcanto-Fach, kann aber auch als Mozart- und Strauss-Sängerin auf eine erfolgreiche Karriere verweisen. Ihre Gestaltung der unglücklichen Königin, die zugunsten der Krone auf ihre große Liebe verzichtet hat und dafür mit dem Tod am Schafott bezahlen muss, ist darstellerisch packend und gesanglich in vielen Details fein ausgearbeitet, fällt aber insgesamt nicht so überwältigend aus, wie erwartet. Die Koloraturen in der Kavatine „Come, innocente giovane“ gelingen perfekt, ihr für den Belcanto so prägende mezza di voce, das An- und Abschwellen der Stimme, ist ein Genuss. Es sind tatsächlich die lyrischen, leisen Momente, die zarten Zwischentöne im Auf- und Ab ihres Seelenlebens, die einen am stärksten in ihren Bann zieht. Wenn Annas Lage ausweglos wird und sie zwischen zwei verlorenen Lieben zerrissen und aufgerieben wird, rücken dramatische Elemente in den Vordergrund. Erschütternde Spitzentöne, vokal makellos dargeboten, cantabile und stets auf Fassung und Würde bis in den Tod bedacht. Auch die Wahnsinnsarie berührt und verstört vor allem durch die hintergründig leisen Töne. Üblicherweise erzählt die Oper vom Weg einer selbstbewussten Frau über Enttäuschung und falschen Verdächtigungen zur verzweifelten, in ihrer Ehre gebrochenen Existenz. Dass hier Anna von Anfang verloren wirkt, kann als Manko empfunden werden.

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Ekaterina Semenchuk (Giovanna Seymour) und Nicholas Brownlee (Enrico VIII.)

Ekaterina Semenchuk als Hofdame Annas auch deren Rivalin im Werben um die Gunst des Königs, hat diese Rolle im Haus am Ring bereits 2015 verkörpert. Von Donizetti ursprünglich – trotz der ebenfalls geforderten tiefen Töne  – für eine Sopranistin komponiert, wird die Partie der Giovanna Seymour heutzutage – wie auch hier – meist mit einem Mezzosopran besetzt. Nicht immer klappt das klaglos, denn der Großteil ihrer Musik ist in der Sopranlage komponiert und wird – im Duett mit Anna im 2. Akt – streckenweise sogar höher geführt als diese. Der stimmsicheren, ausdruckstarken Semenchuck bereitet der anspruchsvolle, bis zum zweigestrichenen b reichenden Stimmumfang aber keinerlei Probleme. Allerdings braucht Semchuk auch diesmal – wie man es von ihr schon gwohnt ist – eine etwas längere Anlaufszeit. Im 2. Akt, in ihrer Konfrontation mit Anna im Gefängnis, blüht ihre Stimme erst voll auf. Ihre Giovanna ist keine femme fatale, sondern vielmehr eine Seelenverwandte von Anna. Wie diese ist sie dem Reiz der Krone erlegen und bereut ihren Verrat zutiefst.

Der amerikanische Bass-Bariton Nicholas Brownlee hat eine kernige, ausdrucksstarke Stimme und ist als herausragend präsenter König Heinrich (Enrique) VIII. gesanglich das Highlight des Abends: Ein Mann, der zielorientiert und rücksichtslos seinen Willen durchsetzt und dabei geschickt gesponnene Intrigen taktisch gewieft einsetzt. Die Königswürde sieht man ihm, wenn er mehrmals leichtfüßig die Bühne verlässt und den angerichteten Schaden bedenkenlos zurücklässt, nicht unbedingt an. Aber das passt zu diesem König, der sechsmal verheiratet war und sich seiner überdrüssig gewordenen Ehefrauen durch Hinrichtungen und Scheidungen am laufenden Band entledigte. Da bleibt von Würde naturgemäß wenig übrig.

Eine erfreuliche Entdeckung ist der junge aus Samoa stammende, in unseren Breitengraden noch völlig unbekannte Tenor Pene Pati als Lord Riccardo Percy. Annas große Jugendliebe, die sie aufgab, als die Chance witterte, Königin zu werden. Ein heller, metallisch klingender, recht höhensicherer Tenor, der über den Belcanto bereits hinausweist, aber wohl noch einiges an sich zu feilen hat. Mal sehen, wohin sich dieser Sänger bewegen wird.

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Pene Pati (Lord Riccardo Percy).

Direktor Roscic bringt neue Stimmen und neue Dirigenten nach Wien, aber er legt, wann immer es geht, auch Wert auf gute Einsätze für sein Ensemble. Szilvia Vöros ist eine starke Besetzung für den Pagen Smeton, der heimlich in Anna verliebt ist und sie vor Gericht durch falsche Aussage retten will, aber das Gegenteil bewirkt. Ihre Vielseitigkeit hat die ungarische Mezzosopranistin schon in vielen Rollen ihres Fachs unter Beweis gestellt. Diesmal zeigt sie: Man muss kein Koloratur-Alt sein, um in dieser Rolle gute Figur zu machen.

Eine meist sichere Hausbesetzung ist Carlos Osuna, der mit seinem wohl geführten Tenor einen tadellosen Hervey abgibt. Dan Paul Dumitrescu, ein Urgestein im Ensemble, fehlt kaum in einer Aufführung, in der in einer Nebenrolle ein tiefer Bass verlangt ist. Diesmal ist es Lord Rochefort, der seine Schwester Anna unfreiwillig mit ins Verderben stürzt, der aber auch als ihr Vater oder Großvater durchgehen könnte. Mit polternder, mächtiger Stimme geht ans Werk, als ob er den Inquisitor zu spielen hätte. Etwas mehr Finesse wäre durchaus angebracht.

Der Dirigent Giacomo Sagripanti wird in Wien von der Kritik noch nicht so geschätzt, wie es ihm zustehen könnte, hat aber durchaus das Zeug, im italienischen Fach zu einer wichtigen Stütze zu werden. In Donizettis großer Oper zeigt er vor allem in den genial komponierten Gesangsensembles – es gibt drei Duette, ein Terzett, ein Quintett sowie ein kurzes Sextett  im ersten Finale –  seine Fähigkeit, den Überblick zu bewahren und ein Maximum an individueller Seelenzeichnung und dramatischer Gruppendynamik herauszuarbeiten.

Ein jüngerer Mann auf der linken Galerie quittierte den Aufmarsch des Chors beim Schlussapplaus mit einem schüchternen, zwiefachen Buhruf. Dem Mann sei ein Besuch bei einem HNO-Spezialisten dringend angeraten. Vielleicht aber hat er sich auch nur für eine Stelle im Staatsopernchor beworben und wurde abgelehnt. Denn die Leistung des Frauenchors, dem die schönsten Melodien in dieser Oper anvertraut sind, trägt viel zum Gelingen dieses Abends bei.

 

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