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WIEN/ Staatsoper: DON PASQUALE – Wie eine Schachtel Pralinen. Vier Rollendebüts sorgen für Genuss ohne Reue

28.11.2017 | Oper

27.11.2017: „Don Pasquale“ – Wie eine Schachtel Pralinen: vier Rollendebüts sorgen für Genuss ohne Reue

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Alessandro Corbelli. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Ein Opernabend ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man kriegt“, so oder ähnlich lautet ein berühmtes Filmzitat. Bei diesem Repertoire-„Don Pasquale“ schmeckte eine Süßigkeit köstlicher als die andere. Zwei Delikatessen wurden aus Russland, dem Land mit einem anscheinend unerschöpflichen Reservoir an tollen Stimmen, geliefert: als kurzfristige Einspringerin für Daniela Fally stellte sich Anna Khristoforovna Aglatova vor. „Anna wer?“ braucht man seit dem 27.11. nicht mehr zu fragen, denn den Namen Anna Aglatova muss man sich definitiv merken. Die fesche, kurvenreiche junge Dame sieht aus wie die kleine Schwester von Cecilia Bartoli und teilt mit ihrer berühmten Kollegin das Temperament und die geläufige Gurgel. Kein zierliches Reh wie ihre Rollenvorgängerin, sondern ein selbstbewusstes Vollweib zum Anfassen: so präsentierte sich ihre Norina und ließ dabei einen schönen, erstaunlich kräftigen Sopran hören, der aber auch über die erforderliche Leichtigkeit für die Koloraturen verfügt und alle acuti treffsicher und wohlklingend landete. Die Stimme dürfte sich bereits ins Dramatische entwickeln, und ein Wiedersehen und –hören – vielleicht schon z.B. mit einer Norma oder einer der Verdi-Leonoren – ist sehr erwünscht. Bei ihrem Ernesto in Gestalt von Maxim Wjatscheslawowitsch Mironov kann man nachvollziehen, warum Frauen ständig auf charmante Hallodris hereinfallen: natürlich nur dann, wenn der Taugenichts so aussieht und solche Herzensbrecherqualitäten besitzt wie Maxim Mironov. Er wirkt sogar sympathisch, wenn er bei der Arie „Povero Ernesto“ in Selbstmitleid zerfließt, wobei ihm der exzellente Trompeter Gerhard Berndl Gesellschaft leistet – einer der vielen, originellen Regieeinfälle. Sein leichter. aber tragfähiger, angenehm timbrierter tenore di grazia verfügt über sichere Hohe Cs, mit denen er auch nicht geizte, und seine Parodie auf einen eitlen Popsänger in der „Come’è gentil“-Arie, mit sexy Hüftschwung, machte ihm und seinem Publikum richtig Spaß.

In der Pralinenschachtel fanden sich auch zwei italienische Spezialitäten: Alessandro Corbelli und Pietro Spagnoli, bei denen man vorher nie weiß, ob sie die Bariton- oder Bassrolle singen werden, weil sie als Pendler zwischen den Stimmlagen beides perfekt beherrschen, sorgten ebenfalls für exquisite Geschmackserlebnisse. Signor Corbelli erinnert in Statur, komischem Talent und fallweise aufblitzender Bosheit ein wenig an Louis de Funès und passt damit sehr gut in die Rolle des alternden Möchtegern-Bräutigams. Stimmlich war er in bester Verfassung, und das Bassbuffofach liegt ihm nun einmal besonders gut. Und Signor Spagnoli war ein hinreißender Malatesta mit dunkelsamtigem, geschmeidigem Bariton und schlitzohrigem Charme. Die parlandi gehen bei den beiden Herren wie von selbst. Alles in allem: diese vier gelungenen Rollendebüts kann man getrost als De Luxe-Bonbonniere verkaufen.
Wolfram Igor Derntls Notar beeindruckte wieder mit seinem Auftritts-Stunt, die Bauchlandung gelang wie immer perfekt. Gesanglich ist er mit „et cetera“ etwas unterfordert. Nicht zu vergessen die beiden von der Ouvertüre bis zum Finale im Volleinsatz stehenden Butler Eduard Wesener und Tobias Huemer, und natürlich Norinas Garderobiere Waltraud Barton, die im Finale den Titelhelden bemuttern darf, sowie die Damen und Herren des Chors (Leitung: Martin Schebesta), die als übermütige, schrill gekleidete Dienerschaft zum vokalen Genuss  beitrugen und dabei das eine oder andere Tänzchen wagten.

Zum gelungenen Abend trug maßgeblich die bunte, witzige und ungemein musikalische Inszenierung von Irina Brook (Regie), Noëlle Ginefri-Corbel (Bühne), Sylvie Martin-Hyszka (Kostüme), Arnaud Jung (Licht) und Martin Buczko (Choreographie) bei. Bei dieser Oper funktioniert auch die Verlegung der Handlung in die Gegenwart. Betuchte ältere Herren, die sich mit blutjungen Frauen schmücken wollen, und sich dabei in die Nesseln setzen – das ist ja ein zeitloses Sujet, man braucht sich nur im Wiener Gesellschaftsleben umzusehen. Ein Kabinettstück für sich ist schon die durchchoreografierte Ouvertüre. So gerne man sich einfach nur zurücklehnen und die Musik genießen möchte – hier würde man wirklich was verpassen. Die ausbrechende Hektik in der schläfrigen Bar, wenn die Sperrstunde naht, ist absolut sehenswert und bereits der erste Frontalangriff auf die Lachmuskeln. Mein persönlicher Favorit ist der volltrunkene Gast, der in allen möglichen und unmöglichen Körperhaltungen Mr. Bean-artig einschläft, immer im Takt zur Musik!

Und damit zur besten Praline in der Schachtel: Wenn Evelino Pidò dirigiert, ist der musikalische Luxus garantiert. Bei keinem anderen klingt Donizetti so lustvoll, so frech, so spritzig und so mitreißend, dann auch wieder lyrisch-gefühlvoll, wie es eben die Situation erfordert. Es ist schon ein Vergnügen, ihm bei seinem körperlichen Einsatz zuzusehen, der beinahe an Aerobic grenzt; kein Wunder, dass er so schlank ist. Bei einem solchen Meister am Pult bestätigt sich wieder einmal, wie genial diese Oper komponiert ist. Und doch fühlen sich zeitgenössische Musiker bemüßigt, die Musik zu „modernisieren“, „aufzupeppen“. Und wollen in ihrer Selbstgerechtigkeit nicht verstehen, dass man etwas Perfektes nicht verbessern kann! Gaetano Donizetti im Opernhimmel würde das wohl einen herzhaften Lacher kosten, wo er doch in der „Cheti, cheti“-Szene bereits den Rap erfunden hat. Und Richard Wagner würde dazu bemerken: „Wahn, Wahn, überall Wahn…

Susanne Wismühler-Glattauer

 

 

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