Irina Lungu (Norina). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper: „DON PASQUALE“
Vorletzter Meilenstein der italienischen Opera buffa
11.6. 2019 – Karl Masek
Die Uraufführung war am 5. Jänner 1843 im Théâtre-Italien in Paris. Donizettis drittletzte seiner insgesamt 73 Opern. Ein letzter großer Höhepunkt im musikdramatischen Schaffen des Viel- und Schnellschreibers (ein Jahr vor seinem geistigen Zusammenbruch). Dann war bei italienischen musikalischen Komödien ziemliche Flaute für ein halbes Jahrhundert – bis Giuseppe Verdi 1893 mit dem „Falstaff“ einen vielleicht letzten Meilenstein setzte.
Verdienstvoll, dass Dominique Meyer in der Saison 2014/15 dieses Meisterwerk nach dreißigjähriger Pause wieder ins Repertoire der Wiener Staatsoper geholt hat. Schon vom ersten Takt der Ouvertüre an erkennt man die besondere Raffinesse und Dichte der Orchestrierung, die Donizetti seinem Spätwerk – fünf Jahre vor seinem Tod – verleiht. Er erhebt damit die Geschichte vom düpierten alten Junggesellen in einen Rang, den erst wieder Richard Strauss mit der „Schweigsamen Frau“ annähernd erreichen sollte. Commedia-dell‘-arte-Typen bekommen menschliche Dimension.
„Pasquale“ ist (in dieser Inszenierung) nicht wirklich fies, sondern hat auch durchaus sympathische Züge, hat schrullige Komik, die schwergewichtige, immer ein bisschen lächerliche Eleganz, wie sie in einem ganz anderen Genre z.B. Oliver Hardy ausstrahlte Man lacht über diese Schrullen. Aber er hat auch die tragischen Momente (so wie mit ihm bei dem ganzen Ränkespiel umgegangen wird!). Spätestens nach der Ohrfeige, die ihm „Sofronia“ verpasst und der allgemeinen schockartigen Stille danach hat man Mitleid mit ihm.
Roberto de Candiahat mit dem heiratslustigen „Don Pasquale“ eine Glanzrolle gefunden. Er findet perfekt in die witzige und spritzige Inszenierung der Irina Brook hinein, ist eine tolle Alternative zur Premierenbesetzung Michele Pertusi. Ein Singdarsteller von natürlicher Komik, welcheÜberdrehtheiten nicht nötig hat – der auch runninggags wie den mit der Perücke nicht über Gebühr auswalzt. Er hat die „reife“ Stimmfarbe, aber auch die stimmliche Beweglichkeit und die sprachliche Virtuosität für die zungenbrecherischen Stellen im Duett mit Malatesta (das den größten Jubel des Abends auslöst).
Orhan Yildiz macht als intriganter Drahtzieher DottoreMalatesta gute Figur, hinter einschmeichelnden Tönen eines Kavliersbaritons verbirgt sich ein fieserer Charakter als Don Pasquale. Mit Fortdauer des Abends wird er immer gelöster im Zusammenspiel. Gerne attestiere ich ihm (im „André Chénier“ schrieb ich noch von stimmlicher Stagnation) eine gute Abendleistung, stimmlich erfreulich, auch darstellerisch beginnt er nun, mehr aus sich herauszugehen.
Irina Lungu überrascht nach Donna Anna, der Elettra aus dem Idomeneo und der Violetta als Norina/“Sofronia“. Das ist eine herrlich buffoneske Furie mit stimmlicher und darstellerischer Schlagkräftigkeit! Spritzig die Koloraturengirlanden, aber auch die lyrischen Stellen kommen zu ihrem Recht.
Schließlich Dmitry Korchakals Ernesto im Schnulzensänger-Outfit mit Geschmeidigkeit, Schmelz und auch der nötigen „Träne“ in der Stimme („Povero Ernesto“ gelingt z.B. exemplarisch, sehr gut das melancholische Trompetensolo von Gerhard Berndl). Vor kleinen Kratzern in der Stimme (leider ausgerechnet in der Serenata des 3. Aktes) ist er nicht ganz gefeit, fängt sich aber rasch beim Duett mit Norina, setzt das Kopfregister gekonnt ein.
Das Komödienkarussell dreht sich, der Dirigent Enrique Mazzolaträgt seinen Teil dazu bei. Oben angedeutete musikalische Feinheiten kommen wunderbar zum Tragen, das Orchester der Wiener Staatsoper bietet besten Donizetti-Sound. Der Chor singt und spielt mit Animo.
Ein gut gelauntes Publikum genoss die Komödie mit Tiefgang und belohnte die animierte Aufführung mit Bravi für alle.
Karl Masek