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WIEN/ Staatsoper: DON GIOVANNI. So lala! Wenig Mozart, viel Kokolores, nachrangiger Gesang! Mehr semikonzertant als differenzierte szenische Einlassung!“. Premiere (Live-Stream)

Stream-Premiere Staatsoper Wien W. A. Mozart Don Giovanni 5.12.2021

 Tim Theo Tinn’s erste Eindrücke: „So lala! Wenig Mozart, viel Kokolores, nachrangiger Gesang! Mehr semikonzertant als differenzierte szenische Einlassung!“

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Kyle Ketelsen, Philippe Sly. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

 Die Texte sind in Rezitativen und Gesang außerordentlich differenziert, aussagekräftig gearbeitet. Das ist ein Vergnügen.

 Singende sind überwiegend falsch besetzt. Unterschiedliche Stimmfarben sind offensichtlich obsolet. Alle Männer im unteren Register klingen ähnlich. Üblich war mal, den Leporello mit einem Spiel-Bass, den Komtur mit einem „schwarzen “, Masetto mit einem „leichten“ Bass zu besetzen, den Don Giovanni mit einem Bariton, der Dramatik und auch Kavalier-Bariton – Qualitäten hatte. In Wien nimmt man nun nahezu „spiegelungsgleiche“ Stimmfarben Bariton und einen Bass, der leider ein Ausfall ist ( z. B. letztes Bild, wo er beschwörend „Don Giovanni“ im oberen Register singen müsste, röchelt er nur noch).

 Besonders fiel der Tenor des Don Ottavio als völlig deplatziert auf. Der junge Mann trainiert offensichtlich mächtig auf jugendliche Wagner Helden ( Siegmund etc.). Was drängenden und mächtigen lyrisch determinierten Mozartgesang ausmacht, scheint ihm unbekannt. In den Piano-Lyrismen geht die Stimme unter, klingt verhaucht, verhangen.

  Auch die Damen waren mal differenziert in den Stimmfächern angelegt. Gehört habe ich stereotype ähnliche Stimmen, alle schieben die Stimme horizontal in die Kopfresonanzen und es entstehen unschöne Schärfen, die mich ins Ohr kneifen. Die Sängerinnen kommen ordentlich durch alle nötigen Register. Bis auf Donna Elvira singen alle zu mächtig. Warum streben alle „Elvira Niveau“ an? Mozart hat nur diese sehr dramatisch angelegt. So erlebt man einen „wir wollen alle Elvira sein“ Abend. Der musikalische Kosmos von Donna Anna und Zerlina bleibt verschlossen.

 Alle können laut und tragfähig singen, aber unausgeglichen. Im wohl angestrebten kräftezehrenden dramatischen Fach kann man wohl auch mit solch glatten technischen Möglichkeiten in dieser Variante reüssieren. Aber Mozart’s Legato und Seele (eine sängerische Lyrik, Seelenruhe, ein Fließen, das ein ganz anderes Vermögen verlangt) wird wohl weniger angestrebt. Wie von „wilden Affen gebissen“ geht es  hier z. B. um Kraftmeierei und Stemmen, wenn es mit maximalen Dezibel in die hohen Register geht. Es gab mal klassischen Mozart mit „Seele“! Jetzt erlebt man seelenlosen „Hau-drauf-Gesang“.

 Die Regie, soll ja eigentlich auch Inszenierung sein, ist auf Einweisungsproben-Niveau. Die Bühnen ist mit nichtssagender schwarzer aufsteigender Steinwüste zugebaut, die jegliche Raumtiefe nimmt und dem Kommen und Gehen an die Rampe genügt. Aus diesen schwarzen Gestein wachsen dann auch mal Mais usw., warum … ? Zauber des Theaters ist das nicht.

 Der Regisseur Barrie Kosky findet wieder keinen dramaturgischen Zugang zur Musiktheatralik. Es bleibt beim unschlüssigen arrangierten Rampensingen, dem diesmal allerdings Kosky- immanent Spektakuläres fehlt. Eine schlüssige Geschichte wird nicht erzählt, man hangelt sich von einer szenischen Variante zur nächsten.  

 Da rennt dann z.B. Don Giovanni im goldenen Bademantel halbnackt durch das Maisfeld in schwarzer Steinwüste, plötzlich haben alle Gemüse oder Unkraut auf dem Kopf und hüpfen in schwarzer Nacht durch undefinierbare Gegend. Hab ich nicht verstanden!!!

 Und die Kostüme sind über 40 jährige Regietheater-Konvention, statt Phantasia schnödes Alltagsgeschwurbel, das sind ja nun mal ewige Plagiate. Der schwarze Straßenanzug soll also immerwährend langweilige Monotonie fortsetzen? So viel Kreativität eines weltführenden Hauses erstaunt.

 Musikalisch gab es Lichtblicke: dem Dramma giocoso, dem spielerischen schufen adäquate Tempi etc. ein gutes auditives Lager, vielleicht manchmal etwas zu zügig, zu gehetzt. Da kamen Sänger in Bedrängnis. Manches wirkte für Mozart-Feinheiten etwas zu grobschlächtig, kann aber aufgrund der Streaming-Situation nur eingeschränkt beurteilt werden.

 Tim Theo Tinn, 5.12. 2021

TTT‘s Musiktheaterverständnis ist subjektiv davon geprägt keine Reduktion auf heutige Konsens – Realitäten, Yellow -Press (Revolverpresse) – Wirklichkeiten in Auflösung aller konkreten Umstände in Ort, Zeit und Handlung zuzulassen. Es geht um Parallelwelten, die einen neuen Blick auf unserer Welt werfen, um visionäre Utopien, die über der alltäglichen Wirklichkeit stehen – also surreal (sur la réalité) sind.

Profil: 1,5 Jahrzehnte Festengagement Regie, Dramaturgie, Gesang, Schauspiel, auch international. Dann wirtsch./jurist. Tätigkeit, nun freiberuflich: Publizist, Inszenierung/Regie, Dramaturgie etc. Kernkompetenz: Eingrenzung feinstofflicher Elemente aus Archaischem, Metaphysik, Quantentheorie u. Fraktalem (Diskurs Natur/Kultur= Gegebenes/Gemachtes) für theatrale Arbeit. (Metaphysik befragt sinnlich Erfahrbares als philosophische Grundlage schlüssiger Gedanken. Quantenphysik öffnet Fakten zur Funktion des Universums, auch zu bisher Unfassbarem aus feinstofflichem Raum. Glaube, Liebe, Hoffnung könnten definiert werden). TTT kann man engagieren.

 

 

 

 

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