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WIEN/ Staatsoper: DON GIOVANNI – 2. Vorstellung der Serie

Wiener Staatsoper: „DON GIOVANNI“ am 8.6.2022

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Der neue „Staatsopern“-Don Giovanni“ erlebt gerade seine erste Aufführungsserie im Repertoire. Die  Premiere der Neuproduktion fand noch im Dezember-Lockdown statt und wurde gestreamt. Dann folgten ein paar Aufführungen vor Publikum. Ein halbes Jahr später hat sich am Gesamteindruck wenig geändert: gesangliches Mittelmaß belebt hübsch kostümiert eine karges Felsplateau.

Philippe Sly (Leporello) und Kyle Ketelsen (Don Giovanni) dominieren darstellerisch den Abend, treiben die Inszenierung von Barry Kosky mit blutiger Burleske voran. Ab dem Friedhofsbild gerät ihr Spiel sogar zum übertriebenen, womöglich rauschmittelverursachten „Happening“, bei dem sich zwei Männer wie pubertäre Jugendliche zum Beispiel über einen kleinen Felsklumpen amüsieren, den sie zum „Komtur“ erklären. Dass dieser Felsklumpen zum Abendessen kommen will, scheint ihr Amüsement nur noch mehr anzustacheln.

Szenisch ist das ziemlich nervend, aber sehr gut umgesetzt: Ein schlankgewachsenes Brüderpaar könnte man meinen, bei dem sich das Treiben des einen im anderen widerspiegelt und das sich wie zwei emotionale „Synchronschwimmer“ durch diese Inszenierung bewegt. Don Giovanni ist der dominantere Teil, wird von Leporello bewundert wie von einem ihm ergebenen Schoßhündchen. Das Problem dabei: Man glaubt diesem Leporello nicht, dass er auch „den Herrn spielen möchte“.

Gesanglich sind sich die beiden aber zu ähnlich, mehr Bariton als basslastig, verleihen sie ihrem Gesang zu wenig Gewicht. Dem Auditorium begegnen zwei eher nüchtern timbrierte, helle Stimmen, deren Besitzer mit darstellerisch überzogener Eloquenz vor allem für körperliche Bewegung sorgen, weniger für mitreißenden Gesang. Dabei macht es die Inszenierung von Barrie Kosky dem Sänger des Don Giovanni nicht so schwer, weil sie die Erwartungshaltungen des Publikums unterminiert und den Verführer aller Verführer in eine wüstenhafte Felslandschaft verbannt. Angesichts dieses kargen Bühnenbildes ist man als Zuschauer schon froh, wenn die Kostüme bunt sind und es „Action“ gibt (Bühne & Kostüm: Katrin Lea).

Kyle Ketelsen passt als Typ gut in dieses „Don Giovanni“-Konzept. Stimmlich ist sein Verführungscharme allerdings begrenzt: Das Zerlina-Anschmachten klang wie sein Ständchen rau und spröde. Ketelsens Don Giovanni schmierte dem hochzeitenden Bauernmädel keinen Honig ums Maul, war kein aus Liebe gurrender Täuberich, sondern mehr ein kühler, berechnender Kerl. Sogar in der Höllenfahrt (in dieser Produktion schlecht gelöst, der Komtur geht einfach ab, als wäre nichts geschehen) schwingt sich sein Don Giovanni zu keinem raumfüllenden, packenden Widerstreben auf. In einem kleineren Haus wäre der Eindruck womöglich fesselnder gewesen.

Sein Widerpart, der Leporello von Philippe Sly, entwickelte kaum verschmitzte Selbständigkeit. Die Registerarie wurde zur gleichförmigen „Vorlesung“ Don Giovannesker Eroberungen, ohne ihren hintergründigen Witz und ihre anrüchige Erotik bloßzulegen, an der sich Leporello angesichts der verstörten Donna Elvira zu delektieren hätte. Aber diese Flachheit im Ausdruck, diese Abwesenheit ironisch-subtiler Nuancengebung (beginnend bei den viel zu einförmig-flott vorgetragenen Rezitativen), hat den ganzen Abend wie einen roten Faden durchzogen.

Stanislas de Barbeyrac ließ als Don Ottavio einen kräftigen lyrischen Tenor hören, der sich mit dem „Il mio tesoro“ leichter tat. Sein eigenartiges, leicht verhangenes Timbre beförderte nicht unbedingt die Strahlkraft der Stimme, die immer wieder durch einen unebenen und zu schwerfälligen Vortrag auffiel. Szenisch ist der Don Ottavio ohnehin das Stiefkind nahezu jeder „Don Giovanni“-Aufführung, daran hat auch Barrie Kosky wenig geändert. Masettos Aufwieglertum wurde schon „griffiger“ in Noten gegossen als von Martin Häßler und Ain Anger hat als Komtur schon überzeugendere Staatsopernabende gesungen.

Bei den Damen hat die Zerlina der Patricia Nolz den besten Eindruck hinterlassen. Aber wenn sie ein wenig forcieren muss, dann verlässt ihr lyrischer Sopran zu rasch die Wohlfühllage. Für das Spiel brachte Nolz die notwendige Frische mit, um Unschuld und erotisches Liebeserwachen zu vereinen. Kate Lindsyes Donna Elvira trug mit einer kantigen Stimme ihre angespannte seelische Verfassung auf den Lippen. Dass es auch anders geht, bewies sie am Beginn des „Mi tradi quell‘alma igrata“ mit lyrischer Verhaltenheit, aber was dann folgte, klang sehr unausgewogen und wurde im ernüchternden Gesamteindruck von einer seltsamen Temposteigerung nicht gerade gemildert.

Donna Annas Rondo „Non mi dir“ wurde für Hanna-Elisabeth Müller zur Herausforderung, vor allem der technisch anspruchsvolle Schlussteil sollte einer Premierenbesetzung leichter von der Kehle gehen. Auch bei ihr fielen immer wieder Unebenheiten in der Gesangslinie auf. Donna Anna hat in dieser Produktion darunter zu leiden, dass ihr Charakter nicht gut herausgearbeitet ist, dass es nicht gelingt, ein Gegengewicht zu Don Giovanni herzustellen. Am Beginn scheint sie nicht zu wissen, ob sie Don Giovanni festhalten oder davon jagen oder ob sie fliehen soll. Auch das nachfolgende Trauern um den toten Komtur wird szenisch durch unmotiviertes Herumgehen auf der Bühne gestört (der Komtur steht derweil auf und macht sich davon).

Philippe Jordan ließ am Beginn der Ouvertüre das Schicksal zweimal mächtig „anklopfen“, entwickelte aber keine spezielle „Don Giovanni“-Metaphysik. Er steuerte selbst vom Hammerklavier zu den Rezitativen ein paar Pointen bei – etwa am Anfang des zweiten Aktes, wenn Don Giovanni Leporello Goldmünzen zuwirft. Aber insgesamt hielt sich der musikalische Witz in Grenzen, und es regierte eine dahineilende, von einem etwas forschen Klangbild begleitete Oberflächlichkeit, die bei zügigem Vortrag zumindest keine Langeweile aufkommen ließ. Der Stehplatz war schlecht besucht, das Stammpublikum hatte sich rar gemacht. Der Szenenapplaus hielt sich in Grenzen, der Schlussapplaus war überraschend stark, aber nach fünf Minuten vorbei.

Dass diesem „Don Giovanni” noch ein „Figaro“ und eine „Cosi“ folgen sollen, erweckt bei mir mehr Befürchtungen als Freude. Offenbar träumt jede neue Staatsoperndirektion von einem Da-Ponte-Zyklus und einem „Mozartensemble“. Nachdem Barrie Kosky unlängst in einem Interview für das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ gemeint hat, Oper solle ein „safe space“ für Träume sein, wird das schon seine Berechtigung haben. Nächste Saison ist der „Don Giovanni“ sogar zehnmal angesetzt.

Dominik Troger/ www.operinwien.at

 

 

 

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