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WIEN / Staatsoper: DON GIOVANNI

Barrie Koskys Don Giovanni - im Repertoire gelandet. Aber wie?

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Kyle Ketelsen (Don Giovanni) und Philippe Sly (Leporello). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: DON GIOVANNI

6. Aufführung in dieser Inszenierung

3. Juni 2022

Von Manfred A. Schmid

Nach der wegen Corona per livestream übertragenen Premiere vor einer Handvoll eingeladener Journalisten und Hofberichterstatter am 5. Dezember 2021 und der Premiere vor Publikum einige Tage später ist nun, ein halbes Jahr später, Barrie Koskys Don Giovanni im Repertoire angekommen.

Angekommen? Kaiser Joseph II. meinte bei der Wiener Erstaufführung zu Mozart, so die überlieferte Anekdote: „Die Oper ist göttlich, aber keine Kost für die Zähne meiner Wiener.“ „Geben Sie ihnen nur Zeit, es zu kauen,“ lautete die Antwort des schlagfertigen Komponisten.

Zu kauen gibt es tatsächlich noch genügend. Unverdaulich und vermutlich weiterhin nicht zu knacken ist vor allem das Bühnenbild von Katrin Lea Tag, das aus vier Variationen besteht: Da ist einmal die anthrazitfarbene Mondlandschaft, die im zweiten Bild unvermutet üppig zu blühen beginnt, im dritten steht ein riesengroßer,  zerborstener, schwarzer Bergkristall als mehrfach aufgesuchter Begegnungsort im Mittelpunkt. Im vierten Bild ist das Geschehen in und rund um eine Wasserlacke – des gegenwärtigen Regietheaters vorletzter Schrei – angesiedelt. Das Ausgangsbild der verkarsteten, öden Umgebung bleibt dabei immer der bestimmende Hintergrund. Das Ganze ergibt keinen Sinn. Versuche einer Annäherung – die versteinerte Landschaft als Metapher für versteinerte Herzen und für die erkaltete Lava der Leidenschaften – führen zu nichts, geht es in dieser Oper doch vor allem um heftige, übermächtige, überwältigende und verletzte Gefühle, die immer wieder hervorbrechen.  Bevor man sich also beim mühsamen Kauen die Zähne ausbeißt, gibt man besser auf, denn auch die Regiearbeit Barrie Koskys erweist sich – auch bei der dritten Begegnung-  als zu eindimensional und viel zu einfältig, um den vielfältigen, zwiespältigen, widersprüchlichen seelischen Befindlichkeiten der handelnden Personen gerecht zu werden. Die Titelfigur einfach als zynischen, amoralischen, gewalttätigen Schurken zu charakterisieren, mag auf den Wüstling in Strawinskys Oper The Rake`s Progress passen, nicht aber auf den komplexen Charakter Don Giovannis, dessen rätselhaften Motive und dessen faszinierend gefährliche Aura seit Jahrhunderten zu Deutungen und Interpretationen vielfältigster Art – literarisch wie auch psychologisch – inspiriert hat. Gerade im Lichte der derzeit diskutierten Me-too-Diskussion wären neue Ansätze von Bedeutung. Koskys platte Reduktion liefert jedenfalls keinen ernstzunehmenden Beitrag dazu. Auch die Hinterfragung der Beteuerungen Zerlinas gegenüber ihrem Bräutigam – „Komm her, schilt mich nur, und schlage mich, Ja mach‘ mit mir alles, was du willst´…“ – bleibt aus, dabei tragen alle Protagonisten Kleider, die sie in der Gegenwart verorten. Koskys Deutung – falls es so eine überhaupt gibt, ist eine der vergeigten Möglichkeiten.

Auf ärgerliche Schwachpunkte der Regie einzugehen, erübrigt sich ebenfalls, all das wurde bereits zur Genüge abgehandelt. Neue Gesichtspunkte ergeben sich beim besten Willen nicht. Die Personenführung ist ebenso flach wie die Personendeutung. Viel hängt vom Engagement der involvierten Sängerinnen und Sänger ab, denen Kosky offenbar viel Freiraum bei der Gestaltung der jeweiligen Rollen eingeräumt hat. Wie das sein wird, wenn neue Besetzungen zum Einsatz kommen und vermutlich viel weniger Probenzeit zur Verfügung haben werden, bleibt abzuwarten. Ein Ersatz für Philippe Sly, der als Leporello wie ein Louis de Funes in der Pubertät pausenlos herumtollt, lässt sich jedenfalls schwer vorstellen.

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Kyle Ketelsen (Don Giovanni) undPatricia Nolz (Zerlina).

Wenn man beim Kauen – was Bühne und, in abgemilderter Form, auch Regie betrifft – auf Granit beißt, ist es besser, davon abzulassen und sich der – laut Joseph II. „göttlichen“ – Musik und ihrer Umsetzung zu widmen. Musikalisch ist auch vieles durchaus gelungen. Philippe Jordan hat sich in das für die Wiener Staatsoper zentrale Mozart-Fach gut eingearbeitet. Die Tempi stimmen, so rasant wie Theodore Currentzis in Salzburg wollen es die Wiener – sowohl Musiker wie Publikum – eh nicht, und die Koordination zwischen Bühne und Orchestergraben funktioniert mehr als zufriedenstellend. Von einem sich ankündigenden, neuen „Wiener Mozart-Ensemble“ zu schwärmen, wie es in manchen Feuilletons bereits der Fall war, wäre allerdings mehr als verfrüht. Vor allem auch, weil von einem Wiener Ensemble nicht die Rede sein kann: Nur Zerlina und Masetto sind mit Kräften aus dem Haus besetzt. Diese aber fallen erfreulicherweise besonders gut auf. So gut, dass man Patricia Nolz mit Fug und Recht als die überzeugendste Sängerin des Abends bezeichnen kann. In den Mozart-Rollen des Cherubino (am Theater an der Wien und in der wiederaufgenommenen Nozze-Inszenierung von Ponnelle) und nun der Zerlina bewegt sie sich gesanglich wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser und agiert mit einnehmender Bühnenpräsenz. Die erotische Neugier und die naive Empfänglichkeit Zerlinas für die Verführungskünste und Versprechungen Don Giovannis werden deutlich sichtbar, glaubhaft ihr Entsetzen, als sie die brutale Wahrheit dahinter erfährt.

Auch Martin Hässler macht gute Figur als etwas unterbelichteter, treuherziger Masetto, dem übel mitgespielt wird. Zumindest der Leporello hätte auch mit einem Ensemblemitglied (Peter Kellner z.B.) besetzt werden können. Der Bassbariton Philippe Sly ist aber immerhin ein Kraftwerk in schauspielerischer Hinsicht, mit overacting als eine stete Herausforderung und Gefahr. Gesanglich ansprechend und – in den Rezitativen – sehr modulationsfähig. Seine Rollengestaltung – Leporello als Nerd an der Grenze zum ASHS-Syndrom – bleibt allerdings Geschmackssache.

Stanislas de Barbeyrac verfügt über einen feinen lyrischen Tenor mit spinto-Annäherungen, der sich gut für Mozartrollen eignet. Sein „Il mio tesoro“ hört sich gut an. Darstellerisch führt er einen Mann vor, der seiner Braut zwar mehrmals versichert, dass er sie sowie den Tod ihres Vaters rächen wird, aber zu zögerlich bleibt, jede Gelegenheit, den Bösewicht zu Duell zu fordern, verstreichen lässt und lieber den Behördenweg einschaltet. Diesen Don Ottavio wird Donna Anna gewiss nicht heiraten.

Hanna Elisabeth Müllers Donna Ana ist bei Kosky ganz auf Opfer getrimmt. Ihr Sopran ist kräftig, klingt aber zuweilen etwas hart und droht in manchen Ensembleszenen die anderen Stimmen zu übertönen.

Die Mezzosopranistin Kate Lindsey wagte den Schritt von der Zerlina zur Donna Elvira. Seit der Premiere ist sie in diese Rolle noch mehr hineingewachsen, die rätselhafte enge emotionale Bindung an Don Giovanni, der sie verführt, betrogen und verlassen hat, dominiert alle darauffolgenden Begegnungen. Wenn sie andere ausersehen Opfer vor ihm warnt und alles tut, damit sie ihm nicht verfallen, dann macht sie das nicht aus Solidarität oder Nächstenliebe, sondern allein um ihn ganz für sich zu haben. Ihre traumatische Erfahrung hat aus ihr eine berechnend kalkulierende Frau gemacht. Stimmlich elegant und warm timbriert, in der Höhe zuweilen etwas zu wenig durchsetzungsstark.

Ain Anger, der bei der Premiere als indisponiert angesagt worden war, ist diesmal, vor allem bei Don Giovannis Höllenfahrt – die hier allerdings ausbleibt, weil dieser stattdessen wohl an einem Herzinfarkt stirbt – ein stimmmächtiger Steinerner Gast aus dem Jenseits.

Der Bassbariton Kyle Ketelsen spielt – wie es die Regie erwünscht – den fiesen Schurken mit großer Hingabe. Er ist ein zynischer, skrupelloser Verführer mit einem Hang zur Brutalität. Leider fehlt es ihm in seinen wichtigsten Arien – „La ci darem la mano“ und in der Serenade „Deh vieni alla finstra“ an erotischer Ausstrahlung und damit seine entscheidende Stärke. Der Vergewaltiger scheint überall durch, der charmante Verführer tritt kaum in Erscheinung.

Während der Aufführung gibt es nur spärlichen Beifall. Der Schlussapplaus fällt hingegen sehr stark aus. Dass er nicht sehr lange anhält, ist angesichts einer Dauer des Opernabends von fast vier Stunden ziemlich verständlich.

Dominique Meyer ist von seinem Projekt, alle drei Da-Ponte-Opern Mozarts durch Regisseur Jean-Louis Martinoty inszenieren zu lassen, nach wütenden Protesten, u.a. auch von Franz Welser-Möst, abgerückt. Nach Figaro und Don Giovanni war Schluss. Staatsoperndirektor Roscic ist da aus anderem Holz geschnitzt und wird sein Vorhaben, mit Barrie Kosky mit der Inszenierung aller drei Opern zu betrauen, beinhart umsetzen. Mal sehen, was uns als nächstes erwartet.

 

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