Wien: „DON CARLO“ – Staatsoper, 20.3.
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Eigentlich wollte ich mir nach der Premiere diese Produktion nie wieder anschauen. Da aber in dieser zweiten Aufführungsserie Elīna Garanča als Eboli angesetzt war, und ich natürlich diese Sängerin in dieser Partie erleben wollte, brach ich zähneknirschend meinen Schwur.
Für alle, die nicht wissen, um was es in Kirill Serebrennikovs DON CARLO geht, hier eine kurze Inhaltsangabe: Die Handlung der Oper spielt in der Gegenwart in einem Institut für Kostümkunde in Spanien, in dem u.a. historische Kostüme des spanischen Königshofes aufbewahrt werden. Der Leiter dieses Instituts, ein gewisser Herr König, macht das, was heutzutage schon fast alle an den Schalthebeln der Macht sitzenden Personen tun: er hat in diesem Institut nicht nur seine Ehefrau Elisabeth, sondern auch seinen untalentierten Sohn Karl angestellt, ja der Herr König schreckt nicht einmal davor zurück sogar seiner Geliebten, der Blondine Eboli, dort einen Job zu verschaffen. Alle erscheinen zwar an ihrem Arbeitsplatz und ziehen ihre Arbeitsmäntel an, Arbeiten verrichten sie allesamt jedoch dort nicht, nur Geld kassieren. Typisch Vetternwirtschaft, aber der Trump macht es heute genauso. Damit handelt sich Herr König aber auch jede Menge Probleme ein, weil dadurch die ganzen privaten Probleme nicht im trauten Heim, sondern in der Arbeitsstätte ausgetragen werden. Obwohl die Blondine ein Pantscherl mit dem Chef hat, ist sie scharf auf dessen Sohn, der wiederum auf die Frau seines Vaters (also seine Stiefmutter) steht, die die Gefühle zu ihrem Stiefsohn erwidert. (Also Zustände sind das! Fast so schlimm wie am spanischen Königshof des 16. Jahrhunderts.) Dann gibt es noch einen weiteren Angestellten, den Ökö-Terroristen Rodrigo. Warum der Herr König gerade diesem vertraut, der die Angestellten in diesem Institut zu einer Fetzenrevolution aufstachelt (es gibt ja wirklich kein größeres Verbrechen als die Verschwendung von Kleidungsstücken, und bis Spanien hat es sich wohl noch nicht herumgesprochen, dass man sich deshalb auf die Straßen kleben muss), bleibt ebenso unklar wie die zwielichtige Figur eines Oberpräparators (oder was auch immer der für eine Funktion in diesem Institut hat). Dieser ebenfalls im Arbeitsmantel herumlaufende Typ muss irgendetwas gegen den Herrn Direktor in der Hand haben, denn er verlangt von diesem, dass der Ökö-Terrorist genauso weg muss wie der missratene Sohn des Herrn Direktor. Als wenn das nicht schon alles genug wäre, taucht dann noch der aus dem Pensionistenheim entsprungene Opa auf und verkündet allen – ob sie es hören wollen oder nicht -, dass der Frieden, den unser Herz erhofft, nur bei Gott zu finden ist. Zur Veranschaulichung der Vergänglichkeit des Lebens wird dann noch gezeigt, wie die alte Pluderhose Karls V. zu Staub zerfällt. Das kommt davon, wenn am Arbeitsplatz nur private Probleme gewälzt werden und nicht gearbeitet wird… Am Ende wird der Öko-Fuzzi ruhiggestellt, der Karli rennt davon und die Stiefmama stößt einen Schrei aus. Ende der Handlung.
Man verlässt tief erschüttert das Haus. Aber nicht wegen der zu Staub verfallenen Pluderhose, sondern wegen einer dilettantischen Inszenierung, die für dreieinhalb Stunden unerträgliche Langeweile sorgt. Eine Personenführung gibt es so gut wie überhaupt nicht. Der Regisseur hat sich viel mehr mit den Statisten befasst. Da wurden extra für ihn einige Nacktmodels engagiert, die den ganzen Abend ihre mehr oder weniger attraktiven Ärsche dem Publikum präsentieren (also für Po-Fetischisten zahlt sich dieser Abend sicher aus!). Den ganzen Abend über werden diesen nackten Statisten historische Gewänder an- und ausgezogen. Das Ganze ist ungefähr so spannend als würde man Nacktschnecken beim Marathonlauf zuschauen.
Kein Wunder, dass in diesem Ambiente die Sänger keine Höchstleistungen erbringen können. Wenn ich daran denke, wie gut ich Étienne Dupuis als Posa an der Deutschen Oper Berlin erlebt habe, und wie schwach seine Leistung nun in dieser Produktion ist… Roberto Tagliavini könnte vielleicht in einer brauchbaren Inszenierung ein guter König Philipp sein, aber hier ist er auf verlorenem Posten. Joshua Guerrero müht sich wie bereits in der Premiere mit den Schwierigkeiten der Tenorpartie ab. Vitalij Kowaljow war als Großinquisitor leider nicht optimal besetzt, dazu fehlt es an gut fundierter Tiefe. (Vor wenigen Tagen erst hat der in Wien lebende Ferruccio Furlanetto, der immerhin Österreichischer Kammersänger und Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ist, einen grandiosen und zu Recht umjubelten Lieder- und Arienabend im Konzerthaus gegeben. Was wäre der für eine großartige Besetzung des Großinquisitors! Aber seit Amtsantritt von Bogdan Roščić durfte Furlanetto nicht mehr an der Staatsoper auftreten.)
Der einzige Grund, warum ich mir diese grottenschlechte Produktion noch ein zweites Mal angetan habe, war Elīna Garanča, die erstmals in Wien die Eboli sang. Hatte man vor der Aufführung gehofft, dass wenigstens sie den Besuch der Aufführung rechtfertigen würde, wurde man schnell enttäuscht. Sie hatte hörbar größte Probleme mit den Schwierigkeiten des Schleierliedes zurechtzukommen. Sie wirkte auf der Bühne übrigens genauso unmotiviert wie alle ihre Partner, also diese Inszenierung dürfte auch bei den Sängern nicht gerade Euphorie ausgelöst haben. Nun hoffte man also wenigstens mit einem fulminanten “O don fatale“ entschädigt zu werden. Aber weit gefehlt. Die Schlussarie gelang Garanča zwar wesentlich besser als das Schleierlied, aber von fulminant war man meilenweit entfernt. Wenn ich daran denke, wie große Interpretinnen der Eboli spätestens mit dem Schlussteil der Arie emotional explodiert sind und die letzten Töne wirkungsvoll hinausgeschleudert haben, verpuffte bei Garanča auch diese Arie wirkungslos. Mag sein, dass die Inszenierung sich da negativ auf die Interpretation ausgewirkt hat, es mag auch sein, dass die offene Bühne natürlich nicht den richtigen akustischen Rahmen für eine Bestleistung geboten hat, jedenfalls war das Endergebnis eine große Enttäuschung. Man wird Garančas Eboli wohl in einer anderen – besseren – Inszenierung neu zu überprüfen und neu zu bewerten haben.
Die einzige wirklich zufriedenstellende stimmliche Leistung erbrachte an diesem Abend Nicole Car als Elisabeth. Trotz aller widrigen Umstände auf der Bühne gelangen ihr viele schöne vokale Momente, wie der Abschied von der Gräfin Aremberg (die hier natürlich nur eine Arbeitskollegin ist) oder ihre große Arie im Schlussakt.
Auch das sauber und schön spielende Orchester der Wiener Staatsoper konnte unter der musikalischen Leitung von Philippe Jordan den Karren nicht aus dem Dreck ziehen. Bei dieser Produktion ist wirklich Hopfen und Malz verloren.
Das war die langweiligste (und schlechteste) Aufführung von Verdis DON CARLO, die ich je erlebt habe. Unglaublich, dass so etwas an der Wiener Staatsoper passieren kann.
Walter Nowotny