Fabio Sartori (Don Carlo). Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
9.9. 2018– DON CARLO: eine Rehabilitation
Mit Verdi, aus dem Graben lieblos interpretiert, von Sängern getragen, größtenteils entweder gänzlich überfordert oder bestenfalls als Kompromiss akzeptabel: solche reichlich unbefriedigenden Eindrücke von der ersten Reprise nach der Premiere von „Otello“ hatte der Rezensent aus Österreichs erstem Haus in die Sommerpause mitgenommen. Nun galt es, sich in der ersten Wieder-Begegnung in der neuen Saison, wieder mit Verdi, sozusagen zu rehabilitieren, was dem Institut an diesem, einem „gewöhnlichen“ Repertoire-Abend (fast) ohne Einschränkung gelungen ist.
So stand mit Fabio Sartori ein Interpret der Titelfigur mit einer relativ dunkel timbrierten, in allen Lagen souverän geführten Stimme zur Verfügung, mit der er, je länger der Abend, je mehr gefühlvolle Italianità ebenso zeigen kann wie kraftvolle Präsenz in den großen Ensembles. Ein Held, auf den die gemarterten Untertanen in Flandern ihre Hoffnungen setzen, dem die heimliche Liebe der Königin gilt und der zugleich der Hofdame eine gefährliche Intrige wert ist, ist er nicht, zu verhalten ist seine Bühnenerscheinung, zu unvorteilhaft sein Kostüm. Womit vielleicht die einzige Schwäche in der Konstellation des Abends aufgezeigt sei – die dadurch noch unterstrichen wird, dass Rene Pape als König Philipp zu sympathisch, auch zu vital wirkt, als dass sich der Grundkonflikt, in dem sich die Königin (und eigentlich das ganze Reich) befindet, in letzter Schärfe zuspitzen könnte. Musikalisch lässt Pape keine Wünsche offen (wenn man bereit ist, sein vergleichsweise helles Timbre in dieser Rolle zu akzeptieren). Seine große Szene am Beginn des dritten Aktes, ebenbürtig sekundiert vom Solo-Cello, sorgt für Gänsehaut-Effekt, auch ist seine Wortdeutlichkeit eigens hervorzuheben. Zwischen diesen beiden, Vater und Sohn, steht Anja Harteros, viel zu seltener Gast in Wien, die sich mit der Elisabeth zwar an die Grenzen ihres Fachs begibt, dies aber mit großer Intelligenz und technischer Sicherheit tut. Auf großem Atem spannt sie ihre Bögen, vermag mit zarten Piani zu berühren und dann wieder (vor allem in der Höhe) groß „aufzumachen“, ohne je zu forcieren. Zudem ist sie ohne viel Drumherum eine vornehme Erscheinung, sich stets ihrer Position bei Hofe bewusst, und doch ein menschliches, verletzliches Wesen, sodass die beiden Male, wo ihr die Kräfte schwinden (als sie vom zweifachen Verrat der Eboli erfährt, und angesichts des endgültigen Abschieds von Carlos), besonders nahe gehen.
Simon Keenlyside (Posa), Rene Pape (Philipp II.). Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Als das Geschehen mit diplomatischem Geschick vorantreibender Rodrigo war Simon Keenlyside zu erleben, von dem man zunächst den Eindruck hatte, dass ihm die Vorlagen des Dirigenten nicht sonderlich entgegen kamen, an einigen exponierten Stellen stieß er anscheinend auch an die oberen Schranken seiner Möglichkeiten. Davon abgesehen gestaltete er einenkraftvoll-virilen Granden, dem man gern abnehmen wollte, dass er das Vertrauen der verschiedenen Mitglieder der königlichen Familie auf sich zieht. Kraftvoll auch seine Sterbeszene, seiner Interpretation von „Per megiunto“ und „Iomorro“ war deutlich anzuhören, dass hier ein Großer zu Tode gebracht wird, der in die Mühlen rivalisierender politischer Interessen geraten ist. Elena Zhidkova war wie in der jüngeren Vergangenheit mehrmals wieder die Eboli, und wie man es von ihr gewohnt ist, spann sie ihre Intrigen mit bruchlosem, satt strömendem Mezzo. Auch ihre optische Erscheinung prädestiniert sie ja geradezu für die Rolle der an ihrer vermeintlich unwiderstehlichen Schönheit scheiternden Prinzessin. Im sarazenischen Lied klingt unterdessen etwas mehr Metall mit, was dem Gesamteindruck keinen Abbruch tut, das tückische „O don fatale“ wird sich der eine oder andere Opernfreund vielleicht ein bisschen weniger kontrolliert und vor allem in der Schlussphrase etwas mehr „gepfeffert“ wünschen – doch das ist dann wohl Geschmackssache. Neu in dieser Serie war Dmitry Ulyanov, an sich wohl eher ein heldischer Bassbariton, der es als Großinquisitor in der Auseinandersetzung mit dem König imposant donnern ließ.
Jongmin Park kann alles und war daher erwartungsgemäß ein würdig orgelnder Frate bzw. Carlo V., wenngleich man ihn sich in diesem Werk durchaus auch an prominenterer Stelle wünschen würde. Margarita Gritskova blieb als Tebaldo eher unauffällig, während Jinxu Xiahou als luxuriöse Doppelbesetzung Conte di Lerma/königlicher Herold positiv aufhorchen ließ. Diana Nurmukhametova erklang makellos als Stimme vom Himmel, Elisabeth Pelz gab die Gräfin von Aremberg.
Bestens disponiert agierte das Orchester (und die Bühnenmusik) der Wiener Staatsoper, dessen Solisten jede noch so kleine Passage nutzten, um die Singularität dieses Klangkörpers unter Beweis zu stellen – was gar nicht so einfach war, da Jonathan Darlington am Pult zwar durchaus die Potentiale des außergewöhnlichen, in vielem schon in die Altersreife des Meisters vorausweisenden Werks zum Klingen bringen konnte, andererseits aber sowohl in der Wahl der Lautstärke als auch bei seinen Tempi keine Rücksicht auf die Sängerinnen und Sänger nahm, als auch reichlich oft die koordinative Kontrolle über das Gesamtgeschehen verlor. Unter diesen Umständen hatte Mario Pasquariello aus dem Kasten des Maestro Suggeritore zeitweise buchstäblich alle Hände voll zu tun. Chor und Extrachor des Hauses unter Thomas Lang erfüllten ihre Aufgabe engagiert. Über die Statisterie sollte man bei Gelegenheit einmal drüber schauen, namentlich das Autodafe bewegt sich riskant in Richtung unfreiwilliger Komik. Aber das sind Details…
Valentino Hribernig-Körber