WIEN / Staatsoper: „DIE ZAUBERFLÖTE“ – 22.06.2022
Ileana Tonca, Georg Nigl. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Was täte die Wiener Staatsoper wohl ohne Touristen? An diesem Abend war das Haus zum Großteil mit Touristen gefüllt. Als vor Beginn der Vorstellung die Durchsage, dass das Fotografieren verboten sei, in englischer Sprache erklang, lachte das halbe Haus laut auf und sogar Applaus setzte ein. Das habe ich bis jetzt wirklich noch nie erlebt.
Und hier muss ich einen kleinen Einwurf hinsichtlich der Inszenierung machen. Während die Produktion von Moshe Leiser & Patrice Caurier aus dem Jahr 2013 vom Stammpublikum (und auch von mir) kaum geschätzt wird, finden die Auftritte der lustigen Tiere und der Polizisten, die im Tutu abtanzen, bei den Touristen großen Anklang.
Am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper stand ausnahmsweise mal wieder ein Mozart-Experte. Ivor Bolton eröffnete den Abend mit einer lebendig gestalteten Ouvertüre und fand auch später immer eine solide Balance zwischen den verschiedenen Orchestergruppen. Er zählt zu den wenigen Dirigenten, die mit den Sängern atmen können und dadurch auch gemäßigte Tempi wählen. Somit konnte man nach dem großartigen „Figaro“-Dirigat von Ádám Fischer noch einmal ein beglückendes Mozart-Dirigat an der Staatsoper erleben.
Star der Aufführung war Georg Nigl als Papageno. In den letzten Jahren hat er seine großen Erfolge vor allem in Deutschland, Belgien und Frankreich gefeiert. Lange hat es gedauert, bis sich der Wiener Bariton auch endlich in seiner Heimat etablieren konnte. Gerade eben hatte er einen großen Erfolg als Orfeo von Monteverdi errungen, nun steht er als echt wienerischer und volkstümlicher Papageno auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Er ist so umwerfend natürlich, sympathisch und liebenswert, dass ihm die Herzen der Zuschauer nur so zufliegen. Und auch stimmlich lässt er keine Wünsche offen. Er sang so volksliedhaft, wie es sich wohl Emanuel Schikaneder und Wolfgang Amadeus Mozart erträumt haben. Der Riesenjubel am Schluss sprach für sich.
Der kroatische Bassist Ante Jerkunica war ein ungewöhnlich jugendlicher Sarastro, sang diese Partie dennoch souverän und vor allem mit voller, gut fundierter Tiefe.
Hanna-Elisabeth Müller, Pavel Petrov, Angelo Pollack. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Statt dem albanischen Tenor Saimir Pirgu sang Pavel Petrov den Tamino. Der aus Weißrussland stammende junge Sänger war 2016-2020 Ensemblemitglied der Oper Graz und hat sich dort in einem breiten Repertoire (Alfredo in „La Traviata“, Prunier in „La Rondine“, Rodolfo in „La Bohème“, Lenski in „Eugen Onegin“, Cavaliere Belfiore in Rossinis „Il Viaggio a Reims“, Narraboth in „Salome“, Edgardo in „Lucia di Lammermoor“, Don Ottavio in „Don Giovanni“) glanzvoll bewährt. An der Wiener Staatsoper debütierte er bereits 2019 als Nemorino. Petrov besitzt einen warm timbrierten, lyrischen Tenor mit glänzendem Klang, der aber für die Wiener Staatsoper (noch) zu klein ist. Er sollte im Moment doch eher noch an mittleren und kleineren Häusern singen und seine Stimme langsam wachsen lassen.
Federica Guida (Königin der Nacht). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Federica Guida als dünnstimmige Königin der Nacht kann man bestenfalls als passabel bezeichnen. Wenn die Sängerin der Pamina eine gefühlt etwa dreimal so große Stimme hat wie die Königin der Nacht, dann stimmt besetzungsmäßig einfach etwas nicht. Außerdem lässt die Diktion (nicht nur) der jungen italienischen Sängerin sehr zu wünschen übrig. Was an diesem Abend für ein Kauderwelsch vor allem in den Dialogen geboten wurde, spottet jeder Beschreibung. Findet sich in der Wiener Staatsoper wirklich niemand, der sich um die Aussprache der Sänger kümmert?
Die vielen Donna Annas, die Hanna-Elisabeth Müller in den letzten Jahren an der Wiener Staatsoper und an der Mailänder Scala gesungen hat, haben leider ihre Spuren hinterlassen. Ihre Stimme ist größer, aber auch härter geworden und klingt vor allem in den Höhen nicht mehr rund. Wenn ich daran denke wie schön noch vor wenigen Jahren ihre Pamina an der Bayerischen Staatsoper geklungen hat …
Beinahe alle übrigen Partien konnten aus dem Ensemble der Staatsoper gut besetzt werden: Clemens Unterreiner als Sprecher und als 2. Priester, Ileana Tonca als bezaubernde Papagena, Szilvia Vörös als 2. Dame und Noa Beinart als 3. Dame (verstärkt durch das ehemalige Ensemblemitglied Caroline Wenborne als 1. Dame), Carlos Osuna und Dan Paul Dumitrescu als Geharnischte Männer und Robert Bartneck als Monostatos, der in dieser Produktion kein Mohr sein darf (obwohl das im Text sehr wohl vorkommt). Dazu kommen noch drei glockenrein singende Solisten der Wiener Sängerknaben und der Chor der Wiener Staatsoper. Und in der kleinen Partie des 1. Priesters konnte Angelo Pollak vom Opernstudio noch einmal auf sein schönes Tenormaterial aufmerksam machen.
Apropos 1. Priester. An dieser Stelle möchte ich an KS Kurt Equiluz erinnern, der am Montag, nur wenige Tage nach seinem 93. Geburtstag, starb. Nachdem er zuvor einige Jahre im Chor der Wiener Staatsoper gesungen hatte, war er dann 1957-1983 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, an der er in rund 2000 Vorstellungen aufgetreten ist. Allein in der „Zauberflöte“ ist er 94 Mal als 1. Priester, 57 Mal als Monostatos und 3 Mal als 1. Geharnischter aufgetreten. Er war aber auch ein großartiger Oratoriensänger (unvergesslich sein Evangelist in der Matthäuspassion), Liedersänger und Professor an der Grazer bzw. Wiener Musikhochschule. Er war das, was man ein unverzichtbares Ensemblemitglied nennt. Möge er in Frieden ruhen.
Walter Nowotny