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WIEN/ Staatsoper: DIE WEIDEN vom Johannes Maria Staud. Wiederaufnahme

Eine Flussreise – auch für den Komponisten

08.11.2019 | Oper

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Rachel Frenkel, Tomasz Konieczny. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN/Staatsoper: Wiederaufnahme „DIE WEIDEN“

Eine Flussreise – auch für den Komponisten

7.11. 2019 – Karl Masek

Das Auftragswerk der Wiener Staatsoper, „Die Weiden“, ist – nach „Berenice“ mit  Edgar Allen Poe als Inspirationsquelle, 2004, und „Die Antilope“, 2014 – der „dritte Opern-Streich“ des Autorenduos Durs Grünbein (Libretto) und Johannes Maria Staud (Komposition). Die Uraufführung im Haus am Ring war am 8. Dezember 2018. Bei der Wiederaufnahme handelt es sich um die 6. Aufführung in der bildmächtigen Inszenierung von Andrea Moses in der vielfältigen Bühnenlandschaft von Jan Pappelbaum, den opulenten Kostümen von Kathrin Platt und dem suggestiven Lichtdesign von Bernd Purkrabek. Die Live-Elektronische Realisation lag in den bewährten Händen von Michael Acker und Maurice Oeser. Von eindringlicher Ästhetik die Videozuspielungen von Arian Andiel.

Inspirationsquelle war für Durs Grünbein hier eine Horrorgeschichte aus dem Jahr 1907: „Die Weiden“ aus dem Band „The Listenerand Other Stories“von Algernon Blackwood. Für die Oper wurde die Handlung in die Gegenwart verlegt.

„Eine junge Frau (Lea) in einer amerikanischen Großstadt nimmt Abschied von ihren Eltern. Sie hat sich in einen jungen Mann (Peter) aus dem Land am Strom verliebt, aus dem ihre Familie einst fliehen musste. Die beiden begeben sich auf eine Flussreise,den Großen Strom hinab. Peter präsentiert Lea seine Heimat, die sich anfangs von der freundlich-pittoresken Seite zeigt, aber ein von Hass und Ressentiments zerfressenes Land ist. Es ist eine Reise ins Herz der Finsternis…“, so Staud über „Die Weiden“.

In den „Anmerkungen über die Musik der Weiden“ begab sich Staud gemeinsam mit seinem Librettisten selber auf eine Flussreise, in gewisser Weise auf eine „Fahrt ins Unbekannte“. Die einzelnen Bilder taten sich erst nach und nach auf. Die Kompositionsweise Stauds, die nicht chronologisch nach den Handlungssträngen erfolgte, war überdies auf rein praktische Gründe zurückzuführen. Die zentrale Chorszene im 6. Bild wurde beispielsweise bewusst vorgezogen. Der Chor wollte möglichst früh mit dem Studium beginnen …

Es ist nach der Generalprobe und der Premiere des Vorjahres meine Dritt-Begegnung mit dem Werk. Es kippt von fotografischer Realistik in surreale, halluzinatorische Bereiche, man einigte sich auf die Bezeichnung „Oper“ und nicht auf das Wort „Musiktheater“, „ … wie es sich in Kreisen der Neuen Musik eigentlich gehört…“, so Dürnbeinironisch im Interview. Protagonist ist der Fluss. Als Metapher für Naturschönheit und Naturkatastrophen in Form von Überschwemmungen.

Lea, die kühle, beherrschte Intellektuelle,  erlebt, frisch verliebt in den kraftvollen, aber vergleichsweise einfach gestrickten Peter, die Flussreise anfangs als pittoreskes Abenteuer in idyllischer Landschaft. Aber diese Reise in die Vergangenheit ihrer Familie gerät immer mehr in den Sog der „Karpfenmenschen-Legende“, die sie vor ihrer Abreise von den Eltern erzählt bekommen hat. Die Parabel von den Anwohnern, die sich in Fischköpfe verwandeln und gegen alles Fremde, Andersstämmige und Nicht-Zugehörige mobilisieren. Sie erlebt das Beziehungsende mit Peter. Schließlich das 6. Bild, das „unter die Haut“ geht, die „Weideninsel“ mit dem Chor der Deportierten (gemeint sind die Zwangsdeportationen ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter von 1944/45 im österreichisch-slowakisch-ungarischen Grenzgebiet von Engerau). Lea trifft hier (Peter ist inzwischen „verkarpft“) auf ihre hier ermordeten Ahnen und erfährt dadurch eine Identitätsfindung.         

Der aktuelle Bezug zum politischen Rechtsruck in Europa und den fortgeschrittenen Entwicklungen in Ungarn, Polen, Italien, mithin zum  Jahr 2015 mit den Folgen der Flüchtlingskrise,   ist bewusst hergestellt und hat im Vorfeld der Premiere auch zu kontroversiellen Diskussionen mit großem Erregungspotenzial geführt. Ein Opernwerk als besorgte Bestandsaufnahme am „Pulsschlag der Zeit“ also, vergegenwärtigt man sich in den Weltnachrichten schockierende  Bedrohungsszenarien und die Klimaentwicklung samt weltweiten Naturkatastrohen. Man signalisiert deutlich, dass die Hervorbringung des Dreierteams Staud/Grünbein/Moses (die Regisseurin war in die Entstehung des Stücks mit einbezogen und hat dramaturgisch beraten)  nichts mit Eskapismus zu tun haben will. Das Werk hat aktuelle Relevanz!

Mit jeder Hörerfahrung gelingt es, tiefer in die Schichten und Verästelungen der Partitur einzudringen. Im Elternhaus Leas zeigt sich das Geschehen elektronisch grundiert, das Ticken der Pendeluhr steht für das Warten auf das Kommende ebenso wie für das „Zurücklassen eines liebgewordenen Stücks Vergangenheit“. Amerikanismen und angedeutete Klezmerklänge mischen sich dazu, hier haben Saxophone, Celesta und Glocken das Sagen. In der „Legende von den Karpfenmenschen“ tritt eine Bühnenmusik-Combo dazu. Gekonnt instrumentiert und von eminentem Klangsinn die orchestralen Zwischenspiele, hier „Passagen“ genannt. Mit Ausführlichkeit und Sorgfalt  ausgebreitete Klangteppiche mit gekonnter Poly-Stilistik. Ein Popsong in Karaoke-Manier während der Hochzeitsszene des „Zweiten Paares“, Edgar und Kitty. Mit Lust an subtiler Provokation die Wagner-Anleihen aus den „Meistersingern“ und dem 3. Akt „Tristan und Isolde bei den pompösen Auftritten des reaktionären und ständig daher schwadronierenden Komponisten Krach(!)meyer.

 Für mich ist der Höhepunkt des Werkes das eindringliche und packende Schlussbild mit gespenstisch entrückter Musik für den Chor, wenn auch Tuba, Orgel, Gongs sich zu den Streichern mischen („…verscharrt unter Birken in Gruben und Gräben, unter Buchen verscharrt, hier war es, hier und hier! Das Gefühl, wir durchstreifen ein altes Mörderrevier. Vergessliche Wasser, aber warum die Menschen schneller als alle Wasser vergessen und hassen, weiß keiner zu sagen …“)  und dem ariosen Abgesang Leas („...den Weg des Wassers gehen, den Weg der Winde … Ich kam wie der Wind, ich kam  wie das Wasser, und so werde ich gehen…“).

Ganz ohne einschränkende Bemerkungen kann man Staud/Grünbein – vielleicht auch den Dirigenten Graeme Jenkins –  jedoch nicht „davonkommen“ lassen. Fiel doch bei der Wiederaufnahme auf, dass das „Timing“ nicht immer passte. Im 1. Bild, „der Rastplatz“, schien das Bühnengeschehen kaum von der Stelle zu kommen, und die eine oder andere Generalpause fand kein Ende, wenn z.B. in der „Villa auf dem Hügel“ Peters Eltern eine gefühlte Ewigkeit das „Warten auf Peter und Lea stumm zelebrieren, bis endlich die Mehlspeisenvöllerei samt grotesker Schusswaffendemonstration losgehen kann. Und szenisch-filmische Vorbilder hat sich Grünbein ausgesucht. Die Fress-Szene ist überdeutlich von Thomas Bernhard („Ritter, Dene, Voss“ und die „Brandteigkrapferln“) inspiriert, und wenn „das Volk“ auf die Demagogenhetze „karpfisch“ grölt, so hat man Ähnliches mit sinnentleerter Kunstsprache schon im Film des Charles Chaplin, „Der große Diktator“, gesehen …

Man soll jedoch dem Dirigenten gegenüber  fair bleiben. Jenkins hat den Platz am Pult vom Premierendirigenten Ingo Metzmacher  übernommen und gewiss zu wenige Proben gehabt, um dem Teil des Wiener Staatsopernorchesters, der nicht als Wiener Philharmoniker gerade auf China- und Japantournee ist, dieselbe nötige Innenspannung abzuringen, die bei der Premiere zu spüren war. So wurde es halt „nur“ eine recht ordentliche und solide Vorstellung mit einem souveränen Sachwalter am Pult.

Rachel Frenkel war mit Bühnenpräsenz, einer intelligenten Rollendarstellungund sehr guter stimmlicher Disposition eine Lea, die zur Zentralfigur in diesem Szenario wurde. Sie hat mit effektvollem Sprechgesang und sehr kantablen Passagen die dankbarste Rolle.

Tomasz Konieczny (Peter) war jeder Zoll der der physisch und stimmlich kraftstrotzende Liebhaber „aus dem Osten“, der sich aus dem Strudel der Beziehungskrise mit Lea und der Entfremdung von seiner Familie und der alten Heimat nicht retten kann und ebenfalls verkarpft. Er spielt dies packend und mit sängerischem Totaleinsatz. Das „Zweite Paar“ war mit Thomas Ebenstein und Maria Nazarova (sie mit Rollendebüt) rollendeckend und stimmlich souverän besetzt.

Die Elternpaare: Monika Bohinec und Jörg Schneider zeigten sich stimmschön, wortdeutlich und tanzfreudig im 1. Bild. Donna Ellen und noch mehr Alexandru Moisiuc plagten sich mit den tiefen Kellertönen ihrer Rollen. Wolfgang Bankl war der „Unsympath vom Dienst“ mit zwei seiner gewohnt bösen Charakterstudien (Oberförster/Demagoge).Die tumben Schwestern Peters, Fritzi und Franzi, quietschten ihre Parts ohne Rücksicht auf Verluste (Katrina Galka und Danae Kontora). Besser hörbar und in der Diktion verbessert gegenüber der Premiere: Udo Samel als rückwärtsgewandt räsonierender Schwadroneur Krachmeyer im Esoterik-weißen Outfit. Angemessen hektisch und aufgeregt – auch sie verfällt in die Karpfensprache – Sylvie Rohrer als Reporterin. Bestens einstudiert der Chor der Wiener Staatsoper (Leitung: Thomas Lang).

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Udo Samel als „Krachmeyer“. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die Wiederaufnahme war nach der eindrucksvollen Premiere ein Achtungserfolg mit freundlichem Applaus und gedämpften Bravorufen. Der Komponist war offensichtlich wieder bei den Proben dabei und kam  mit dem Ensemble vor den Vorhang.  Bei den teuren Sitzen im Parkett klafften bedenkliche Lücken, die Plätze der mittleren und preisgünstigeren Kategorien verkauften sich deutlich besser. Dem Vernehmen nach wurden „Die Weiden bisher von keinem Opernhaus nachgespielt. Was in jedem Falle schade ist! Ob das Werk im Repertoire bleibt? Da wäre ich nicht so sicher! In der laufenden Saison gibt es jedenfalls nur noch zweimal die Chance, das zeitgenössische Werk zu sehen: Am 9.11. und am 12.11.!

Karl Masek

 

 

 

 

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