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WIEN/ Staatsoper: DIE WEIDEN. Uraufführung

Von der „Verkarpfung“ der Menschen

08.12.2018 | Oper


Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Uraufführung „DIE WEIDEN“ von Johannes Maria Staud & Durs Grünbein

Von der „Verkarpfung“ der Menschen

8.12. 2018 – Karl Masek

Nach 8 Jahren gab es wieder eine Uraufführung an der Wiener Staatsoper, sofern man Kinderopern im Opernzelt und der Dependance in der Walfischgasse nicht berücksichtigt. Am 28.2. 2010 war das zuletzt (noch in der Direktion Joan Holender) mit Aribert Reimanns Medea der Fall. Ein Publikumserfolg – und ein Triumph für den Komponisten.

Im Vorfeld dieser UA war heftiges Rascheln im Medienwald. Das Klischee der „Alten Tante Oper“ mit einer Programm- und Werkwahl,  die voller Zuversicht in museale Vergangenheit blickt, konnte diesmal nicht strapaziert werden. In wirksamer Öffentlichkeitsarbeit gab man sich alle Mühe „in Sachen PR“. Man rückte diese Auftragsarbeit der Wiener Staatsoper samt einem beinahe vierjährigen Vorlauf (der Kompositionsauftrag erfolgte 2014) gekonnt in den medialen Fokus. Gesellschaftspolitisch aufgeladen.  Ist es doch ein gegenwarts- und zukunftsbezogenes Sujet vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise 2015 und eines europaweiten (nein, weltweiten!)  Rechtsrucks in Politik und Gesellschaft. Befeuert von Demagogen und Populisten, die sich am Pulsschlag der Zeit wähnen und sich mit einfachen Slogans, simplen Botschaften, hetzerischen Reden „volksnah“ und „patriotisch“ gerieren. Sie treffen damit einen Nerv von Menschen mit Zukunftsangst, von vermeintlich und realiter Zu-kurz-Gekommenen, von allen, die Sündenböcke dafür suchen. Und es ist ein Sujet vor dem Hintergrund, dass Geschichte sich immer wieder zu wiederholen scheint – und die Menschen aus ihr offenkundig nichts lernen. Der Librettist Durs Grünbein lässt im 6. Bild der Oper („Die Weideninsel“) den Chor der Deportierten sagen: „Das ist er nun also,  der entfesselte Strom:  Das große Vergessen … Wenn schon die Wassermassen nichts im Gedächtnis behalten  –  Warum nicht zumindest die Menschen an ihren Ufern…?

Dass derlei geeignet ist, Erregungspotenzial zu schaffen, wissen wir spätestens seit Thomas Bernhards „Heldenplatz“ mit dem künstlich hochgepuschten Premierenskandal im „Bedenkjahr“ 1988.  Aber der „Wutbürger“ Bernhard war da schimpftechnisch ein ganz anderes Kaliber! Der  „Nestbeschmutzer“  von damals ist heute (witzigerweise gerade auch bei Konservativen!) ein Kultautor geworden! Wie sagte der weise Nestroy: „Die Zeit ändert viel!“ Oder der geniale Qualtinger: „Bei uns musst erst  g’storben sein – dann  lassens   dich hochleben!“

Johannes Maria Staud, der 1974 in Innsbruck geborene Komponist:  Er hatte in etlichen Interviews nicht nur als Verantwortlicher zeitgenössischen Musiktheaters gesprochen, sondern auch als hellwacher, kosmopolitischer Staatsbürger, der sich zu politischen Entwicklungen  äußert, klare Worte findet, Partei ergreift,  gegen neue Fremdenfeindlichkeit, neuen (alten!) Antisemitismus und global gegen eine Entwicklung voller Nationalismen, „die uns allen an den Kragen geht“, verbal ankämpft. Naturgemäß löst das Diskussionen aus, sollte es wohl auch. Warum soll sich ein Künstler eskapistisch in ein Neo-Biedermeier zurückziehen und gefälligst  „Erbauliches“ schreiben  bzw. sagen?

Um mit dem Ende des Abends fortzusetzen: Es war schließlich keine Spur von einem Premierenskandal! Eine akklamierte Vorstellung, gut zwölf Minuten starker Beifall. Wertschätzende Anerkennung für einen Uraufführungsabend, der sichtlich und hörbar von höchstem Engagement aller geprägt war. Mit Bravorufen wurde nicht gespart. Einige wenige Buhrufe gegen den Komponisten und den Librettisten waren ein (von einigen erwarteter) akustischer Pointillismus aus dem Auditorium. Dies sei mit aller Gelassenheit gesagt.

Die 28-jährige Philosophin Lea ist Tochter von Eltern, deren Vorfahren seinerzeit aus Osteuropa vertrieben wurden. Jüdische Wurzeln. In Amerika aufgewachsen. Wohnung in einem Hochhaus in der Skyline New Yorks (alle  Bühnenbilder minutiös werkgetreu genauso,  wie es im Libretto steht, das ist fast wieder etwas Neues:  Jan Pappelbaum). Sie bricht auf zu einer Reise mit ihrem neuen Geliebten,  Peter, einem Maler, zugleich soll es eine Flussreise auf dem Großen Strom (unschwer als die Donau zu erkennen!) in die Vergangenheit, zu ihren Vorfahren,  sein. Die Eltern warnen sie vor dieser Reise. In der „Legende von den Karpfenmenschen“ sollen sich die Bewohner dort in Fischwesen verwandeln, die gegen alles Fremdartige und Andersstämmige mobilmachen.

Herbert Lippert und Monika Bohinec  (sie hat den ersten Satz in der Oper zu singen, wenn auf die zur Abreise bereite Lea gewartet wird: „Wo sie nur bleibt?“) singen und tanzen diese Ballade mit Lea so, dass man im selben Moment aufhorcht. Begleitet von einer Bühnen-Combo im Stil von lässig-schwungvoller Tanzmusik, wie aus den Dreißigern (perfekt: Das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper).  Einer von mehreren  stilistisch bewussten Ausreißern, allerdings durchaus ein Dèjá-vu,  wenn man im Vorjahr bei Wien Modern  „Die Antilopen“ gesehen hat.  Natürlich auch Grünbeins dadaistisch inspirierte Kunstsprache.

Für beide wird aus anfänglichem Liebesglück eine Reise in Alptraumhaftes, mit Halluzinatorischem angereichert. Vermengt wird das politisch Alptraumhafte mit einer Überschwemmungskatastrophe. Der Protagonist ist der Fluss. Der durch Europa geht, Länder verbindet, zugleich trennt.

Stationen dieser „Oper in sechs Bildern, vier Passagen, einem Prolog, einem Vorspiel und einem Zwischenspiel“, wie der Untertitel etwas umständlich lautet, sind u.a. „Ein Fluss, von Geschichte schwer“, „Der Rastplatz“, „Hochzeit  im Strombad“,  „Auf dem Strom“, „Die verlassene Schenke im Wald“, „Historischer Marktplatz“, „Die Weideninsel“. Schon lange habe ich keine so gelungene, pittoreske wie unheimlich-düstere Stimmungen einfangende, stilbildende Bühnenlösung gesehen wie jene von Bernd Purkrabek (Licht), dem Videodesign von Arian Andiel im Bühnenbild von Jan Pappelbaum. Aussagekräftig die Kostüme (Kathrin Platt). Suggestiver, leitmotivischer Blickfang: Peters und Leas rotes Kanu, sowie die weiße Yacht des „Zweiten Paares“. Die Drehbühne wird sinnhaftig eingesetzt.

 Andrea Moses liefert eine theater- und werkgerechte Inszenierung mit dichter, sehr genauer Personenführung ab. Sie muss nichts gegen den Strich bürsten, sie muss nichts in eine andere Zeit oder in einen anderen Ort transferieren. Das ist ja oft die Crux, wenn der Mangel an neuen Stücken beklagt wird und man nicht mehr weiß, wie man die hundertste Zauberflöte oder den fünfzigsten „Ring“ verorten soll, damit keiner sagt: „Haben wir schon hundertmal so gesehen“…

Begegnungen gibt es mit dem zweiten Paar, Edgar und Kitty, mit Peters Eltern und den durchgeknallten Zwillingsschwestern, einer Wasserleiche, einem Oberförster, dem Demagogen, einem geheimnisvollen Angler (samt Warndreieck, wie ein Verkehrszeichen: Achtung, Karpfen, auch ihn singt Herbert Lippert), der unverständlich vor Schrecklichem warnt – und dem rückwärtsgewandten Komponisten, Krachmeyer. Und all den Menschen, die mittels suggestiver Gesichtsmasken, zusehends  verkarpfen.

Krachmeyers bombastischem Erstauftritt wird ein Ausschnitt aus Wagners Meistersingern unterlegt, wenn er, blütenweiß gekleidet, im Stile eines Sektenführers schwadroniert: „Ein Jammer, dass keiner mehr zuhört. Das Ohr geht baden, es ist überfüllt. Armes Abendland, prosit…“ Dazu Zitat: Tristan, Vorspiel, 3. Akt. Udo Samel macht aus der Sprechrolle mit heiserem Pathos ein, von der grandiosen Vergrößerungs-Videozuspielung unterstützt, ein surrealistisches Porträt. Mit aller Selbstentäußerung eines tollen Schauspielers.

Bevor es zu den beiden stücktragenden jungen Paaren geht, noch zum Oberförster, der einen Flüchtling demütigt und aus „seinem Revier“ verjagt („Das nenn ich Hygiene. Ich schütze den Wald vor fremden Kreaturen.“) und zur zentralen Szene auf dem Marktplatz mit der Rede des Demagogen an „sein Volk“. Mit jovial volks-verbundener Rhetorik, dialektgefärbt mit einer Art Vorstadtwienerisch: diese Doppelrolle gestaltet Wolfgang Bankl mit der ihm eigenen Bühnenpräsenz und der Mischung aus brutaler Gefährlichkeit, launigem Stammtischgrölen. Ein Popanz, bei dessen „Phonetisch-rhythmischer Schreikomposition“ das Lachen augenblicklich im Halse steckenbleibt …

Rachel Frenkel  gestaltet Lea, die Philosophin, als anfangs kühle, beherrschte Intellektuelle, die sehr bald sehr vieles durchschaut, nach der gescheiterten Liebesbeziehung zu Peter, nach  all den Schrecknissen die Kraft zu folgendem Schlussgesang findet: „Ins Freie treten, unter die tiefschwarzen, planetarischen Himmel. Furchterregend, das ist er: Der Strom…“. Sie lässt sich wegen Stimmbandentzündung ansagen, rettet die Uraufführung. Sie scheint gegenüber der Generalprobe etwas vorsichtiger, was aber der Ausdruckskraft ihrer Kantilenen und dem dramatischen Ausdruck in den Sprechszenen kaum Abbruch tut.

Tomasz Konieczny ist der hemdsärmeligere „furchtlose Mann“, der „coole Typ“ Peter, der Maler, welcher der reaktionären Enge seines Elternhauses vergeblich entflieht, der das Land, die Leute, seine Eltern, die Heimat, verflucht. Irgendwie ist da in der hochdramatischen Stimme auch in dieser Rolle immer wieder etwas Alberich-haftes, was zeitweilig irritiert.

Andrea Carroll (die den Freuden des Lebens zugewandte, aber auch sehr „gewöhnliche“ Kitty) schwingt sich in stratosphärische Höhen auf und ist in den Sprechszenen steigerungsfähig und glasklar zu verstehen. Ihr Partner Thomas Ebenstein  überzeugt als Hochstapler Edgar einmal mehr mit geschmeidiger Stimme (eine Charakterstimme, die auch viel Lyrisch-Dramatisches bereithält und gleicherweise mit beweglichem Spiel sowie Steigerungspotenzial in der Sprechstimme beeindruckt, wobei ihn da viele Theaterschauspieler beneiden könnten.

Alexandru Moisiuc als aufs Essen und Schießen fokussierter, ziemlich tumber Vater Edgars und seine Ehefrau (Donna Ellen) plagen sich mit der tiefen Tessitura ihrer Rollen. Sylvie Rohrer war als Gast des Burgtheaters die Fernsehreporterin, die nach der Übertragung vom Marktplatz kurzfristig selbst in die entmenschlichte Karpfensprache verfällt. Schlussendlich mit viel Beifall bedacht die beiden durchgeknallten Stiefschwestern Fritzi und Frantzi, Katrina Galka und Jeni Houser, die beim Hausdebüt schwindelerregende Hochtöne mit Todesverachtung quietschen. Bühnenpräsenz und Hang zu skurriler Komik haben sie. Wirklich beurteilen wird man die beiden wohl erst nach anderen Rollen können…

Mir persönlich wichtig, auch schon die Generalprobe besucht zu haben, um dann bis zur Premiere das Libretto und von Staud nicht nur die Interviews, sondern auch die musikalische Analyse zu lesen. Ich schreibe also über die Zweit-Begegnung. Schien mir die musikalische Suppe in der Generalprobe bis zur Pause noch etwas dünn mit dem Eindruck, die Musik (und auch die eine oder andere Szene) trete mitunter auf der Stelle, so war der zweite Eindruck sehr viel besser. Da hat sich einer in jedem Moment der Partitur etwas gedacht. Von der leitmotivischen Begleitung der Figuren durch gleich bleibende Instrumente bis hin zur Polystilistik der Musiksprache(n). Das Orchester der Wiener Staatsoper genoss hörbar die vielschichtigen Aufgaben, die anspruchsvollen Soli hielten bei Konzentration. Die Basstuba beispielsweise hat vermutlich seit dem 2. Akt Siegfried nicht mehr so viel Substanzielles zu tun, ähnliches gilt für die Posaunen, die Fagotte, die Soloklarinette, die Flöten und das vierfach geteilte (!) Schlagzeug. Vieles ist bildhaft beschreibend in Stauds Musik, die klangmächtigen Zwischenspiele, gekonnt geschriebenen Chorsätze bis hin zu Atemgeräuschen, Blubbern des Wassers, den Fluggeräuschen von Gelsen bis Moskitos. Die Mischung mit der Live-Elektronik (Realisation: Michael Acker, Sven Kestel) gelingt bestens.

Der Chor der Wiener Staatsoper  hat vom „Rrrrag dag tag“ der Verkarpfung bis zum berührenden Auftritt der Deportierten höchst dankbare Aufgaben, findet sich in den komplizierten Linien der Stimmführung sehr gut zurecht (Perfekte Einstudierung: Thomas Lang).

Dirigent Ingo Metzmacher ist der Souverän am Pult. Einmal mehr beeindruckt der Spezialist für großdimensionierte Werke und beredte Anwalt für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts mit ruhiger Autorität, die dem musikalisch höchst komplexen Geschehen Kontur und den Protagonisten auf der Bühne Sicherheit gibt. Ihm und dem Orchester gelten zu Recht die lautesten Ovationen.

Sollte sich Dominique Meyer dazu entschlossen haben, das Werk auch in der Saison 2019/20  im „Repertoire“ zu lassen: Das wäre eine gute Idee, zumal man nach einigen Monaten (politische Weiterentwicklungen mit einbezogen!) das Werk nochmals auf aktuelle Relevanz überprüfen könnte. Sonst: es ist noch viermal Gelegenheit, das noch in diesem Monat zu tun (11., 14., 16. und 20.12.).

Karl Masek

 

 

 

 

 

 

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