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WIEN / Staatsoper: DIE WALKÜRE

Giorgio Berrugis Siegmund eine Überaschung, gute Bewährungsprobe für Eric Owens


Ricarda Merbeth (Brünnhilde) im Feuerkreis. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Ashley Taylor

WIEN / Staatsoper: DIE WALKÜRE – Erster Tag des Bühnenfestspiels

32. Aufführung in dieser Inszenierung

4. Juni 2023

Von Manfred A. Schmid

Die Walküre, für viele Opernliebhaber der beliebteste Teil von Wagners dreiteiligem, mit einem „Vorabend“ genannten Vorspiel versehenen Bühnenfestspiel, beginnt nicht in Walhall, der Heimat der Götter, sondern vor der Hütte des Jägers Hunding, der gerade unterwegs ist und seine Frau Sieglinde allein zurückgelassen hat. Als dort ein Fremder Zuflucht sucht, wird das zum Auslöser einer intensiven, inzestuösen Liebesbeziehung zwischen Sieglinde und ihrem verschollen geglaubten Bruder Siegmund.

Gespannt durfte man auf Giorgio Berrugi sein, der im Vorjahr an der Volksoper als Rodolfo in der Wiederaufnahme von Harry Kupfers La Bohéme erstmals in Österreich mit dem „Honig-Timbre“ eines Puccini-Tenor auf sich aufmerksam gemacht hatte. Dass dieser lyrische Tenor auch das Zeug zu einem mehr heldisch angelegten Tenor hat, hätte man ihm damals nicht unbedingt zugetraut. Berrugi macht seine Sache allerdings gut und entpuppt sich in den Dialogen und Auseinandersetzungen mit Sieglinde und Hunding als durchaus belastbarer Tenor mit einem markigen Kern. Dass dann ausgerechnet das lyrische Punkstück dieser Partie, „Winterstürme wichen dem Wonnemond“, nicht so überzeugend klingt, mag dem Druck unter den großen Erwartungen eines Hausdebüts geschuldet sein. Insgesamt aber eine achtbare, mehr als solide Leistung. Es gelingt ihm, der anspruchsvollen Rolle beeindruckende Stärke und lyrische Kraft zu verleihen, die Verzweiflung eines gehetzten Mannes und die Liebe zu seiner Schwester glaubhaft zu machen. Berührend ist, wie er Brünnhilde innig anfleht, Sieglinde doch zu retten.

Simone Schneider erweist sich wieder einmal als eine der derzeit besten Besetzungen für die Rolle der Sieglinde, die in ihrer erzwungenen Ehe zutiefst unglücklich ist und in der kurzen Begegnung mit Siegmund richtig aufblüht. Sie singt ihre Partie mit leuchtender Sopranstimme und hellklaren Spitzentönen.

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Simone Schneider (Sieglinde), Giorgio Berrugi (Siegmund) und Ricarda Merbeth (Brünnhilde). Foto: Ashley Taylor/ Wiener Staatsoper

Ain Anger, der sich als Fafner in Rheingold noch etwas zurückgehalten hat, bewährt sich einmal mehr als starker, entschlossener Hunding, dem er dank seiner imposanten Präsenz mit seinem tiefschwarzen Bass eine gefährliche, bösartige Aura verleiht. Ein Hunding, der es wirklich ernst meint, als er dem Eindringling in seine Privat- und Machtsphäre zwar das Hausrecht gewährt, ihn aber zum Duell in den Morgenstunden fordert.

Nach seinem etwas zögerlichen Start in Rheingold liegt es nun an Eric Owens, im Streit Wotans mit Fricka endlich Profil zu zeigen. Es gelingt ihm, schon um einiges überzeugender, die Figur des widersprüchlichen Göttervaters mit Leben und Autorität zu füllen, auch wenn er schließlich gegenüber Frickas rigorosen Forderungen klein beigeben muss. Siegmund – von Wotan in einem seiner vielen Seitensprünge gezeugt – muss sterben, Hunding als Sieger hervorgehen. Als Brünnhilde, wie alle Walküren, ebenfalls ein illegitimes Kind Wotans, beim Zweikampf Siegmund-Hunding, gegen die strikten Anordnungen ihres Vaters, Partei für Siegmund ergreift, muss Wotan selbst eingreifen und dessen Schwert zerbrechen. Das hat zur Folge, dass er schließlich auch seine Lieblingstochter Brünnhilde empfindlich bestrafen muss, was ihm ungemein schwerfällt.

Wotans ausführlicher, emotional aufgeladener Abschied von Brünnhilde im Dritten Aufzug, eine der schönsten Liebesszenen der Opernliteratur, wird vom afroamerikanischen Bassbariton Owens jedenfalls fein gestaltet, mit großen Gefühlen und tief empfundenem Kummer. Das Timbre von Owens Stimme ist aber nicht jedermanns Sache. Zu rühmen sind jedenfalls seine Wortdeutlichkeit und Intensität, die er vor allem im langen erzählenden Rückblick auf das Geschehen in Rheingold – oft „Rheingold for dummies“ genannt – ausspielen kann. Sein Bericht ist durchaus fesselnd.

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Tanja Ariane Baumgartner (Fricka) und Eric Owens (Wotan). Foto: Wiener Staatsoper/Ashley Taylor

Eindrucksvoll ist Ricarda Merbeths Brünnhilde. Nur wenige Soprane sind kraftvoll und beweglich genug, um diese gewaltige Rolle so überzeugend anzugehen. Merbeth verkörpert die Titelrolle wahrhaftig und bewältigt die stimmlichen Anforderungen souverän. Dass die ersten Hojotoho-Rufe leicht distonierend klingen, fällt nicht weiter ins Gewicht. Brünnhildes Mitgefühl für die Notlage der Wälsungen, ihr Schmerz angesichts der von ihr ausgelösten Wut ihres Vaters Wotan, und die offene Akzeptanz und Vergebung in der bewegenden Schlussszene mit Owens berühren zutiefst.

Das Oktett der kraftvoll singenden, kriegerischen Walküren (Regine Hangler, Jenni Hietala, Aurora Marthens, Alma Neuhaus, Isabel Signoret, Monika Bohinec, Noa Beinart und Daria Sushkova) ist gesanglich und darstellerisch tadellos. Ihre von Hektik, Unruhe und Angst geprägte Gemütslage, als der strafende Göttervater Wotan angeritten kommt, ist nachvollziehbar. Ihre zuvor zu erlebende Jagd auf Männer – eigentlich sollten sie die gefallenen Helden nach Walhall schaffen – bleibt hingegen weiterhin eines der Rätsel der ansonsten im Haus am Ring offenbar schon recht gut angekommenen Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf.

Franz Welser-Möst arbeitet als musikalischer Leiter die überraschend vielen lyrischen Passagen der Oper fein heraus. Dynamisch präzis gestaltete dramatische Steigerungen sorgen für große Momente. Es gibt herausragende Instrumentalsoli, stellvertretend erwähnt sei das Solocello, das Sieglindes Aufritte begleitet, sowie das charaktervolle Spiel der Hörner und Holzbläser wie auch das sehr geforderte Schlagwerk.

Die fast fünf Stunden vergehen so gut wie im Flug. Der Applaus zeugt von großer Begeisterung und geht über die übliche Dauer von rund fünf Minuten, trotz der späten Stunde, weit hinaus. Der Solo-Buhrufer, der schon in Rheingold seinen Unmut angesichts des Dirigats von Welser-Möst kundgetan hat, macht sich diesmal nach dem Ersten Aufzug kurz bemerkbar, dann aber nicht mehr. Vermutlich ist er heimgegangen und hätte gar nicht kommen sollen.

 

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