WIEN / Staatsoper: Wiederaufnahme von Erich Wolfgang Korngolds DIE TOTE STADT
24. Aufführung in dieser Inszenierung
6. Feber 2022
Von Manfred A. Schmid
Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt, ein etwas verspätetes fin-de-siècle-Werk, ist ein packender Psychothriller, der Alfred Hitchcocks Film Vertigo vorwegnimmt und übertrifft, weil er die bessere Filmmusik hat. In der Tat ist darin schon der spätere erfolgreiche Filmkomponist zu erahnen, der – von den politischen Verhältnissen und rassistischer Verfolgung erzwungen – nach Hollywood emigrieren musste, wo er mit Max Steiner die sinfonische Filmmusik begründete. Außerhalb dieses Genres hatte Korngold – das Schicksal vieler vertriebener Künstler – leider keine Bedingungen vorgefunden, um seine so rasant begonnene Karriere als Opernkomponist und als Verfasser anderer Werke der „ernsten Musk“, wie man es damals noch nannte, fortsetzen zu können.
Willy Decker stellt in seiner Inszenierung der 1920 uraufgeführter Oper Die tote Stadt zwei Parallelwelten auf die Bühne, um das Grenzen überschreitende Verhältnis von Realität und albtraumhafter Wahnvorstellungen im Leben eines Mannes sichtbar zu machen, der sich, vom frühen Tode seiner Frau traumatisiert, in eine beklemmende Traumwelt flüchtet, bis er schließlich die Kraft aufbringt, sich davon zu befreien. Grund dafür, warum es diese Produktion aus dem Jahr 2004 bisher nur auf 24 Aufführungen gebracht hat, ist – neben dem hohen szenischen Aufwand (Bühne, Kostüme und Licht stammen von Wolfgang Gassmann) – vor allem die stimmlich und darstellerisch herausfordernde Rolle des vom Tod seiner Frau Maria traumatisch betroffenen Paul. Wenn für diese Partie allerdings ein Klaus Florian Vogt zur Verfügung steht, der als derzeit wohl bester Sänger in dieser Partie gilt, sollte einem aufwühlend intensiven, expressiven Opernabend nichts mehr im Wege stehen.
In Korngolds erfolgreichem Erstling finden sich jede Menge Wagner, Mahler, Strauss und Puccini, effektvoll und mit einem ausgeprägten musikdramatischen Gespür orchestriert. Der junge Dirigent Thomas Guggeis, der an großen deutschen Bühnen als sensationeller Einspringer für große Kollegen auf sich aufmerksam gemacht hat und demnächst Generalmusikdirektor an der Oper Frankfurt wird, ist bei seinem Staatsopern-Debüt ein aufmerksamer musikalischer Leiter der Aufführung, der das Abgleiten in Schwülstigkeit vermeidet, ohne dabei die großartigen Spannungsbögen in ihrer Wirksamkeit einzuschränken. Dass er eine gute Hand für dramatische Zuspitzungen hat, wurde von ihm schon am Theater an der Wien, u.a. bei Benjamin Brittens Peter Grimes, unter Beweis gestellt. Auch bei Korngold lässt er die Musik anschwellen und aufbrausend donnern, Schlagwerk und tiefes Blech sind im Dauereinsatz, aber Guggeis ist stets darauf bedacht, die Stimmen auf der Bühne nicht zu überdecken. Die wehmutsvollen, melodieseligen Momente werden zu Oasen des Innehaltens.
Klaus Florian Vogts strahlend-warmer, heller Tenor passt mit seinem einzigartigen Timbre perfekt in das in dieser Oper heraufbeschworene hektisch-nervöse, schwüle, morbide Ambiente üppig aufblühender Neurosen und sorgsam gepflegter Hysterien, wie sie zeitgleich von Sigmund Freud beschrieben wurden. Schauplatz ist aber nicht Wien, sondern Brügge, und damit um einiges düsterer und schwerer. Vogt, in der Regel als Held auf der Bühne stehend, gestaltet hier eine zerrüttete, gebrochene Figur, die zu starken emotionalen Ausbrüchen neigt, um dann immer wieder in regunglose Apathie zu fallen.
Die litauische Sopranistin Vida Mikneviciute steht bei ihrem Rollendebüt als Marietta, die Paul mit seiner Frau Maria vergleicht und die er zeitweise für Maria hält, Klaus Florian Vogt um nichts nach, sondern trifft sich mit ihm auf Augenhöhe. Ungemein beweglich und tänzerisch dahingleitend, ist sie auch darstellerisch eine kokett-bezaubernde Erscheinung, verwandlungsfähig und ihre Reize bis an das Maximum auskostend. Eben eine versierte Tänzerin, wie sie im Libretto steht, und stimmlich stets höchst präsent. Mariettas Lied „Glück, das mir verblieb“, das Korngold unsterblich gemacht hat, erklingt anmutig voll zarter Inbrunst.
Den Part des besorgten Freundes obliegt Adrian Eröd, der in dieser Rolle des behutsamen Warners bereits Erfahrung hat. Tritt er als Frank als besonnener, ruhiger, beruhigender Mann auf, übernimmt Eröd im 2. Bild, als Marietta mit ihrer Theatergruppe die „Totenerweckung von Helene“ aus der Oper Robert der Teufel von Giacomo Meyerbeer probt, auch den Part des Pierrot. Dessen schwärmerische, traurige Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“ gibt dem Bariton die Gelegenheit, seine gesangliche Meisterschaft auszuspielen.
Musikalisch, aber auch szenisch erinnert dieser dramaturgische Einfall an die gut zehn Jahre früher uraufgeführte Oper Ariadne auf Naxos von Richard Strauss , in der die tragischen Handlung der Oper immer wieder durch die Auftritte der Komödianten unterbrochen wird. Die gesanglichen und darstellerischen Leistungen der in dieser turbulenten Szene an der Seite von Eröd als Pierrot und Mikneviciute als Marietta auftretenden Kollegen sind beachtlich. Es handelt sich dabei ausschließlich um Hausbesetzungen. Anna Nekhames (Julietta) und Isabel Signoret (Lucienne) kommen aus dem Opernstudio, Robert Bartneck (Victorin) und Daniel Jenz (Graf Albert) sind junge Ensemblemitglieder. Es ist erfreulich, dass in der Direktion von Bogdan Roscic der Nachwuchs sorgsam gepflegt und bei Besetzungen immer wieder berücksichtig wird. Das ist nachhaltige, unerlässliche, wertvolle Aufbauarbeit, die über kurz oder lang Früchte tragen sollte. Der freudige, von echter Ergriffenheit zeugende Schussapplaus gilt gewiss auch diesen hoch begabten jungen Kräften.
Schon seit 1987 ist Lukas Gaudernak ist der Wiener Staatsoper verbunden – zunächst als Tänzer, heute als Produktionsleiter und Ballettmeister des Staatsballetts. Als Gaston gibt es mit ihm, beim Auftritt der Theatertruppe, wieder einmal ein Wiedersehen als Tänzer.
Gäbe es einen Opern-Oscar für die beste Nebenrolle, dann wäre Ensemblemitglied Monika Bohinec, wann immer sie in Erscheinung tritt, bei allfälligen Nominierungen mit Sicherheit dabei. Zuletzt für ihre Leistung als Polina in Pique Dame, numehr als Brigitta, Pauls Haushälterin. Sie ist die erste, die in dieser Oper zu singen beginnt. Und man kann sicher sein: Mit ihrer fein geführten Altstimme zieht sie die Aufmerksamkeit auf sich. Die Ohren sind gespitzt, der Fokus auf die Bühne gelenkt. Was für ein Entree!