Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN Staatsoper: DIE TOTE STADT – Vorstellung mit diversen coronabedingten Umbesetzungen

WIEN Staatsoper: 14.02.2022: DIE TOTE STADT

tote stadt3
Adrian Eröd. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

„Ich bin wirklich nicht zu beneiden“ – lautet der Standard-Satz von Peter Weck in einer Komödie von Ulli Bree. Er wäre derzeit nur zu geeignet als Motto für Direktoren von Theatern und Opernhäusern, die schon an fast jedem Abend den berüchtigten Schritt vor den Vorhang tun müssen, um dem Publikum die aktuellen Umbesetzungen und Absagen zu kommunizieren.

Dem Herrn am Ringe hat man an diesem Abend eine gewisse Erleichterung angemerkt, war er angesichts des Ausfalls des Dirigenten und des Hauptdarstellers in einer nicht gerade häufig aufgeführten Oper wohl knapp an einer Total-Absage vorbei geschrammt. Natürlich wird auch Genugtuung dabei sein, einem Haus vorzustehen, das in der Lage ist, nicht nur diese, sondern auch noch zwei weitere Partien nach zu besetzen. Die Arbeit des Rezensenten verschiebt sich natürlich angesichts der Häufung von „Rettern“, die für das Zustandekommen einer Vorstellung aufgeboten werden, von der Kultur- zur Sensationsberichterstattung und enthält sich diesen gegenüber einer wertenden Beschreibung der künstlerischen Leistungen.

So bescherte, wie es in der Geschichte des Opern“zirkus“ nicht zum ersten Mal vorgekommen ist, das pandemische Ungemach dem jungen, israelisch-amerikanischen Hoffnungsträger Yoel Gamzou ein unverhofftes Debut am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper (ergänzt vom Bühnenorchester des Hauses). Des Werkes aufgrund seiner Tätigkeit in München nicht unkundig, riss er die Musikerinnen und Musiker mit unglaublichem Körpereinsatz und größter Geste zu einem wahren Klang-Orkan hin, der – symphonisch betrachtet – durchaus seinen Reiz haben mochte und dem Gast am Ende herzlichen Applaus von Seiten des Orchesters eintrug. Sein Potenzial als Operndirigent wird der temperamentvolle Maestro sicher noch weiter entfalten, wenn er im Umgang mit den Sängerinnen und Sängern jene Erfahrung aufgebaut haben wird, die er sich bislang etwa in der Interpretation der Werke Gustav Mahlers erworben hat, wie seine Vita ausweist.

Wenig Schwierigkeiten hatte Vida Miknevičiūté, sich mit ihrem in Mittellage und Höhe kräftigen, leuchtenden Sopran über die üppige orchestrale Grundlage zu erheben. Nach der Salome und der Chrysothemis präsentierte sie sich diesmal als quirlig-schnippische Marietta/Marie, die auch den beruflichen Hintergrund der Figur als Tänzerin mehr als glaubhaft darstellen konnte. Gegen Ende begann ihr verschwenderischer Umgang mit ihrem Material allerdings hörbar Tribut zu fordern. Das wird auch darauf zurückzuführen sein, dass sie auf einem nicht hundertprozentig- stabilen Fundament aufbaut. So neigt sie zu einer unruhigen, tendenziell flackernden Stimmführung, man vermisst die Spannung in den großen Bögen.

Hoch anzurechnen ist es ihr allerdings, dass sie namentlich ab der Hälfte das Geschehen dramatisch quasi im Alleingang zu tragen hatte, stand sie doch einem stummen, im Wesentlichen pantomimischen Paul gegenüber (Wolfgang Schilly mit eher verhaltenem gestischem Repertoire) und musste sich zugleich musikalisch mit Norbert Ernst abstimmen, der von der Seite aus an einem (wenigstens für die Galerie ist das so) akustisch benachteiligten Platz an seine Grenzen gehend den gesanglichen Part zur Hauptpartie beisteuerte und sich sowie den Abend dabei mit Anstand aus der Affäre zog.

Adrian Eröd gab einen zurückhaltenden, eleganten Frank/Fritz und agierte dabei in gewohnter Weise präzise, wenngleich man ihn schon farbiger, fülliger gehört hat. Monika Bohinec erweist sich auch als Brigitta eine verlässliche Stütze des Ensembles, obwohl ihr die Tessitura der Partie nicht besonders gut in der Kehle liegt. Die Mitglieder der mehr oder weniger heiteren Theatergruppe rekrutierten sich ebenfalls aus Kräften des Hauses – Patricia Nolz als sichere Einspringerin in der Rolle der Lucienne, Angelo Pollak anstelle von Robert Bartneck als Victorin, Anna Nekhames (Juliette), Daniel Jenz (Graf Albert) und Lukas Gaudernak (Gaston) – und erfüllten ihre Aufgaben unter den schwierigen Bedingungen mehr als zufriedenstellend.

Das szenische Konzept von Willy Decker und Wolfgang Gussmann (Bühne, Kostüme) ging angesichts der Doppelung der Hauptfigur nur bedingt, je weiter voranschreitend je mehr, auf. Das Publikum war trotzdem froh, dank der Einsatzbereitschaft aller nicht nach Hause geschickt worden zu sein. Doch zumindest – wie der Hausherr bei seiner Ansage launig bemerkte – „ist ja der Komponist des Werkes jedenfalls unverändert geblieben“.

Valentino Hribernig-Körber

 

Diese Seite drucken