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WIEN/ Staatsoper: DIE TOTE STADT (3. Vorstellung in der Serie)

WIEN / Staatsoper: „DIE TOTE STADT“ –   11.02.2022 

(3. Vorstellung in dieser Serie)

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Adrian Eröd, Klaus Florian Vogt. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Der Roman „Bruges-la-Morte“ von Georges Rodenbach (1855-1898) gehörte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu den meistgelesenen Büchern. Rodenbach arbeitete die Handlung des Romans später zu einem Drama um. Der Übersetzer Siegfried Trebitsch, der das Stück für die deutsche Erstaufführung ins Deutsche übertrug, machte den erst 22-jährigen Erich Wolfgang Korngold auf den Stoff aufmerksam, der sich begeistert mit seinem Librettisten Hans Müller an die Ausarbeitung zu einer Oper machte. Nachdem im Laufe der Arbeit Müller von der Arbeit zurücktrat, sprang der Vater des Komponisten, Julius Korngold, unter dem Pseudonym Paul Schott ein. (Übrigens verarbeitete auch Arthur Schnitzler diesen Stoff in seiner Erzählung „Die Nächste“.)

Die Musik knüpft an die spätromantischen Musiktraditionen eines Richard Strauss oder Giacomo Puccini an, ist brillant instrumentiert und verwendet auch die Leitmotivtechnik Richard Wagners. Im zweiten Bild ereignen sich Pauls Halluzinationen zu der Musik der Nonnenerweckung aus Meyerbeers Oper „Robert der Teufel“.

Nach der erfolgreichen Uraufführung am 4. Dezember 1920 (gleichzeitig in Hamburg und in Köln), war die Oper in den zwanziger Jahren an allen große Bühnen der Welt präsent. Am 19. November 1921 hatte sie (als erste deutsche Oper nach dem Ersten Weltkrieg!) ihre amerikanische Erstaufführung an der Metropolitan Opera in New York. Maria Jeritza glänzte dort als Marietta/Marie ebenso wie bereits am 10. Jänner 1921 bei der Erstaufführung an der Wiener Staatsoper. In dieser Premiere sang der norwegische Tenor Karl Aagard Østvig den Paul, später alternierten oft Richard Schubert und Richard Tauber als Paul und Lotte Lehmann und Maria Jeritza als Marietta/Marie. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das Werk wegen der jüdischen Herkunft des Komponisten vom Spielplan verbannt. Nach Korngolds Tod geriet das Stück weitgehend in Vergessenheit.

Dass „Die tote Stadt“ heute wieder zu einem festen Bestandteil des Opernrepertoires zählt, ist gewiss ein großer Verdienst von Marcel Prawy. Die Oper zählte zu seinen Lieblingswerken, er hat auch immer behauptet dass Mariettas Lied („Glück, das mir verblieb“) und das Lied des Pierrot („Mein Sehnen, mein Wähnen“) die letzten Opernschlager waren, die komponiert worden sind. Als Prawy Chefdramaturg an der Wiener Volksoper war, setzte er dort eine Produktion im Jahr 1967 durch (mit Marilyn Zschau, John Alexander und George London – bei seinen letzten Bühnenauftritten in Wien – als Pierrot). Als Marcel Prawy dann an die Wiener Staatsoper wechselte, gelang es ihm auch dort das Werk herauszubringen: 1985 wurde die Inszenierung von Götz Friedrich von der Deutschen Oper Berlin übernommen (mit Karan Armstrong und James King). Leider wurde diese grandiose Produktion in Wien nur 10 Mal gespielt.

Anfang des 21. Jahrhunderts bemühte sich Peter Ruzicka als Intendant der Salzburger Festspiele wichtige Werke der von den politischen Irrungen des 20. Jahrhunderts geschädigten österreichischen Komponisten durch exponierte Aufführungen wichtiger Werke vor dem Vergessen zu bewahren. 2002 brachte man Zemlinskys „Der König Kandaules“ heraus, 2003 (leider nur konzertant) „Die Bakchantinnen“ von Egon Wellesz, 2005 Franz Schrekers „Die Gezeichneten“ und ein Jahr zuvor – als Koproduktion mit der Wiener Staatsoper – „Die tote Stadt“ in der Inszenierung von Willy Decker. Diese Inszenierung, die noch im gleichen Jahr an der Staatsoper Premiere hatte, wirkt auch nach 18 Jahren noch immer als packend lebendiges Musiktheater.

Ein Zimmer, zwei Sessel, das allgegenwärtige Porträt der Verstorbenen sowie deren in einem Heiligenschrein gehütetes Goldhaar –  mehr braucht der Bühnenbildner Wolfgang Gussmann nicht, um einen Ort der Seele im Niemandsland des Traumes anzudeuten. In diesem Raum lebt, zurückgezogen von der Welt, der um seine verstorbene Frau Marie trauernde Paul. Für die Traumsequenzen erweitert sich die Bühne nach hinten, wo sich Räume und Wände verschieben, Häuser herumtanzen und sich Traumgestalten tummeln. Und immer mehr verschmelzen die Realität und die Traumebenen, spannend wie ein Hitchcock-Krimi.  

Ich war bereits in der ersten Vorstellung der laufenden Serie. Da man aber von der Galerie aus leider von den Vorgängen im Bühnenhintergrund (fast) nichts sieht, habe ich beschlossen noch eine Aufführung, diesmal vom Parkett aus, zu verfolgen.

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Klaus Florian Vogt, Vida Miknevičiūtė. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Der unglückliche Paul, der in Trauer um seine verstorben Frau Marie wie versteinert ist und durch die Begegnung mit der seiner Frau ähnlich sehenden Tänzerin Marietta zu neuem Lebensmut findet, ist bei Klaus Florian Vogt in besten Händen. Sein hell timbrierter und höhensicherer Tenor ist ideal für diese schwere Partie. Marietta und in den Traumsequenzen Marie ist die litauische Sopranistin Vida Miknevičiūtė. Mit Hingabe und all ihren Verführungskünsten spielt sie die Tänzerin und die verstorbene Ehefrau. Strahlend in den Höhen, dramatisch in den Ausbrüchen, aber auch wunderbar lyrisch in ihrem Lied im ersten Bild, ist auch sie eine Idealbesetzung. In dieser Produktion werden Frank und Fritz von einem Sänger verkörpert. Adrian Eröd ist sehr präsent als Pauls treu sorgender Freund Frank und singt als Fritz im zweiten Bild mit nobler Stimmführung das schwärmerisch-melancholische Lied des Pierrot. (Dass die Sänger in der dritten Vorstellung fast alle etwas müder klangen als in der ersten Vorstellung mag vielleicht auch daran gelegen sein, dass zwischen der zweiten und der dritten Vorstellung nur ein Tag Pause war.) Monika Bohinec als wohltönende Haushälterin Brigitta und das Ensemble in der Traumsequenz (Anna Nekhames als Juliette, Stephanie Houtzeel als Lucienne, Robert Bartneck als Victorin, Daniel Jenz als Graf Albert und Lukas Gaudernak als Gaston) ergänzen zufriedenstellend.

Welches andere Orchester könnte die in tausend Farben schillernde und glitzernde Partitur auf so vollendete Weise wiedergeben als das Orchester der Wiener Staatsoper unter der ausgezeichneten Leitung des jungen Dirigenten Thomas Guggeis? Die Orchestermusiker sind hörbar mit Lust bei der Sache.

Eine gelungene Wiederaufnahme, die Lust erweckt mehr von Korngold („Das Wunder der Heliane“?) oder seiner Zeitgenossen (Franz Schreker, Alexander Zemlinsky und anderen) auf der Bühne der Wiener Staatsoper sehen zu wollen.

 Walter Nowotny

 

 

 

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