WIEN/Staatsoper: Die tote Stadt (3. Vorstellung)
15. Jänner 2017
Klaus Florian Vogt als „Paul“. Copyright: Wiener Staatsoper/ Axel Zeininger
Vor restlos ausverkauftem Haus (die Stehplätze nicht eingerechnet) ging am Sonntag die dritte Vorstellung aus der Reihe der selten gespielten Kostbarkeit in drei Bildern aus dem Hause Korngold (Text: Vater Julius, Musik: Sohn Erich Wolfgang) über die Bühne. Und man ist nach dieser überaus lohnenden Wiederbegegnung nach längerer Abstinenz in Wien durchaus dankbar und erwartungsvoll gespannt im Hinblick auf die bevorstehende Premiere vom „Wunder der Heliane“ im Haus am Gürtel.
Dabei musste man einiges an musikalischer Phantasie entwickeln, um angesichts des recht plumpen Dirigats von Mikko Franck, das sogar mit einem vereinzelten Buh quittiert wurde, das musikalische und dramatische Potential der Partitur zu erahnen. Unausgeschöpft blieben die reichlich vorhandenen Möglichkeiten eines Spannungsaufbaus, blass die lyrischen Passagen, den letzten in der Operngeschichte, denen lt. Prawy sel. noch das Attribut echter „Opernschlager“ gebührt, und auch zur Dynamikfiel dem finnischen Maestro nicht viel ein – häufig tönte es aus dem Graben zu laut und wenig sängerfreundlich. So blieb von dem reichhaltigenspätromantischen Gewebe nur, was die wohl disponierten Philharmoniker aus eigenem zu produzieren in der Lage waren, und das mochte durchaus in Erinnerung bleiben, wie das von den Streichern dominierte nachdenklich-friedvolle Finale des 3. Bildes.
Weniger unangefochten agierte unter diesen Rahmenbedingungen Klaus Florian Vogt als in seiner Trauer verhafteter Paul, dem die grobe Lautstärke und die teilweise gnadenlos zerdehnten Tempi hörbar zusetzten. Nach einem bereits etwas heiseren Start, der wohl auf eine noch nicht ganz überstandene Erkältung zurückzuführen war, rissen zwischendurch immer wieder Phrasen ab, bis man am Beginn des letzten Bildes fürchten musste, dass es nicht bis zum Ende reichen würde. Dabei gelangen ihm andererseits viele Passagen dieser überaus fordernden Partie kraftvoll und klangschön, und für den Schluss hatte er sich überhaupt so weit erfangen, dass die (er)lösende dritte Strophe des „Glücks, das mir verblieb“ als sprichwörtliches „gutes Ende“ den Gesamteindruck positiv abrunden konnte. Sein Spiel war in den ersten beiden Bildern doch sehr psychopathologisch angelegt, zeichnete einen in seiner selbstgewählten Enge neurotisch erstarrten Sonderling, wobei auf diese Weise nicht ganz plausibel bliebt, warum sich die lebenslustige Tänzerin auch nur auf eine Bekanntschaft mit ihm einlassen sollte. Aus seinem Traum erwacht, war dann ein „normaler“ Mann zu sehen, dem man abnehmen wollte, dass er mit der toten Stadt auch die Schatten der Vergangenheit hinter sich lassen kann.
An seiner Seite und zugleich gewissermaßen als sein Widerpart gestaltete die wie der Dirigent aus Finnland stammende Camilla Nylund die Doppelpartie der Tänzerin Marietta bzw. der Marie, Pauls verstorbener Frau. Die attraktive Skandinavierin bewältigte die halsbrecherische Partie mit Bravour, spielte das ganze Spektrum der Rolle von der kokett-mondänen Künstlerin bis zur ätherischen Erscheinung der Toten aus, berührte in den lyrischen Abschnitten in dem gleichen Maß, mit dem sie mit hörbarer Freude an der Herausforderung mühelos die von der Partitur reichlich vorgegebenen dramatischen Akzente setzte, die ihr hinreichend Gelegenheit gaben, ihre schier unerschöpfliche Höhe auszuspielen – von dieser Künstlerin würde man sich auch eine ägyptische Helena oder eine Kaiserin wünschen. Dabei wird ihr als Traumfigur mit Glatze ein wenig attraktives (und von der Rolle her nicht unbedingt motiviertes) äußeres Erscheinungsbild zugemutet, für das sich natürlich wohl tiefenpsychologisch Argumente finden lassen – das aber dem sich aufschaukelnden erotischen Taumel doch die Substanz nimmt.
Als Frank, Pauls Freund – und zugleich als Fritz, der Pierrot aus der Theater-Gruppe Mariettas, war Adrian Eröd zu sehen und zu hören. Wortdeutlich bis ins kleinste Detail, bestens disponiert und präzise, wie man es von ihm gewohnt ist, hinterlässt er nachhaltigen Eindruck. Die dramaturgisch geschickte Einführung in die Situation der Handlung zu Beginn der Oper oblag Monika Bohinec, die für die erkrankte Janina Baechle die Rolle der Haushälterin Brigitta übernommen hatte – auch sie gefiel mit klarer Diktion und warm strömendem Timbre.
Als die übrigen Mitglieder des Ensembles Mariettas, das bei Korngold nicht eine wüste Insel, sondern Pauls Traum bevölkert, waren Simina Ivan (Juliette), Miriam Albano (Lucienne), Lukas Gaudernak (Gaston), Joseph Dennis (Victorin) und Thomas Ebenstein (Graf Albert) besetzt und entledigten sich ihrer Aufgabe tadellos.
Das szenische Konzept von Willi Decker bleibt über weite Strecken gut nachvollziehbar und schlüsselt gerade die Traumszenen durch die Doppelung von Bühnenraum und Darsteller geschickt auf – vielleicht manchmal ein wenig zu geschickt, da die so geschaffene Klarheit auf Kosten des Neurotischen und Surrealen in Pauls Vorstellungswelt geht. Ähnliches gilt für die Entscheidung, die Handlung ausschließlich in Pauls „Kirche des Gewesenen“, einem Raum der Jahrhundertwende, anzusiedeln, wodurch seine emotionale und psychische Unbeweglichkeit sehr anschaulich gemacht werden können. Andererseits geht natürlich all das verloren, weswegen das Werk von seinem Autor bewusst in Brügge angesiedelt worden ist, einer Stadt, die der Oper schließlich auch den Namen gegeben hat. So würde den strikt in schwarz-weiß gehaltenen Szenen des Theaterensembles im 2. Akt ein wenig Abwechslung – und eben auch die Einbettung in ein wenig mittelalterlich-mystische Aura – gut tun.
Summa summarum eine gelungene und auch reichlich mit Beifall bedachte Aufführung eines Werks, das man gern als fixen Bestandteil des Repertoires verankert wissen würde – verbunden mit der Hoffnung, dass seine musikalische Leitung dann in berufenere Hände gelegt würde.
Valentino Hribernig-Körber