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WIEN / Staatsoper: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

Verachtet mir diese Meister und Meisterinnen nicht!

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Georg Zeppenfeld (Hans Sachs) und Ensemble. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn.

WIEN / Staatsoper: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG

6. Aufführung in dieser Inszenierung

19. Mai 2024

Von Manfred A. Schmid

„Glaubt mir, des Menschen wahrster Wahn wird ihm im Traume aufgetan: all Dichtkunst und Poeterei ist nichts als Wahrtraumdeuterei,“ behauptet Hans Sachs im 3. Aufzug der Oper. Keith Warner machte diese Einsicht zum Schlüssel seiner Inszenierung, in der Wahrheit und Wahn, Traum und Realität ineinander übergehen, ohne dass es jemals zu einer eindeutigen Festlegung kommt, ob sich das Ganze tatsächlich als Traum des Hans Sachs deuten ließe: „Je älter ich werde“, so der Regisseur, „desto weniger möchte ich eine konzeptionelle Sichtweise entwickeln, die nur einen Weg, nur eine Interpretation zulässt. Ich mag es, wenn es Unklarheiten gibt.“ Bei der Premiere seiner Inszenierung vor eineinhalb Jahren fand dieser Ansatz und dessen Umsetzung zwar keine einhellige, aber immerhin weitgehende Zustimmung bei Kritik und Publikum. Die Handlung der Oper hält sich an die Vorlage, und die Personenführung Warners ist sowohl nachvollziehbar wie auch hilfreich, die Bühne (Boris Kudlicka) erweist sich als mehr als praktikabel und die Kostüme von Kaspar Glarner sind bunt und abwechslungsreich.

Dass sich Meisterwerke der Kunst weder eindeutig noch endgültig enträtseln lassen, macht ihren wesentlichen Reiz aus. Das Geheimnisvolle zieht uns an und schlägt uns in seinen Bann. So auch bei der eben anlaufenden zweiten Aufführungsserie dieser gelungenen Produktion, die besetzungsmäßig mit einer Reihe neuer Namen aufwarten kann. Georg Zeppenfeld, bei der Premiere noch als Veit Pogner eingesetzt, kommt diesmal als der im Zentrum stehende Hans Sachs zum Zug. Seine in Wien bereits hochgeschätzte erzählerische Art und die Textdeutlichkeit, die ihm u.a. in der Gestaltung der Rolle des Gurnemanz in Parsifal zugutekamen, machen den profunden Bass auch zu einem hervorragenden Interpreten der Rolle des angesehenen Meistersingers, der kurz daran denkt, sich am ausgeschriebenen Gesangswettbewerbs zu beteiligen, dann aber doch zugunsten eines jüngeren Bewerbers darauf verzichtet, sich stattdessen für diesen einsetzt und damit das Glück der von ihm heimlich begehrten Eva sichern kann. Ein unaufdringlicher, liedhaft singender, nuancenreicher Wagner-Bass, voll von Weisheit und Witz, der aber gegenüber Beckmesser auch recht stichelnd agieren kann und nicht davor zurückschreckt, diesen ins Verderben – in die selbstverschuldete Lächerlichkeit – laufen zu lassen. Dass er von inneren Dämonen heimgesucht wird und mit dem Trauma, Frau und Kinder verloren zu haben, zu kämpfen hat, wird in Keith Warners Regie angedeutet, aber nicht weiter expliziert. Zeppenfelds Sachs wirkt noch relativ jung. Die väterliche Ausstrahlung, die etwa Michael Volle, seinen Vorgänger, ausgezeichnet hat, wird man bei ihm nicht finden, was seinen Verzicht auf Eva dafür aber umso schmerzlicher erscheinen lässt.

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Günther Groissböck (Veit Pogner) und Ensemble.

Günther Groissböck ist in Bayreuth schon 2017 als vitaler Veit Pogner, der längerfristig einen Nachfolger in seiner Goldschmiedewerkstatt sucht, der aber auch ein guter Meistersinger wie auch sein Schwiegersohn werden soll, auf der Bühne gestanden. Da er der Bass mit Weltruf seit rund zwei Jahren wieder enger die Staatsoper verbunden ist, bekommt man ihn nun auch in Wien in dieser nicht zu unterschätzenden Rolle zu sehen und zu hören. Beides ist, wie bei diesem begnadeten Sänger/Darsteller gewohnt, ein Genuss. Was Pogner mit Sachs verbindet, ist die Liebe und Wertschätzung der Tradition des Meistergesangs, weshalb er auch seine Tochter dem Sieger im Wettsingen als Preis zu übergeben bereit ist – vorausgesetzt, dass sie damit einverstanden ist. Väterlicher Stolz und väterliche Fürsorge zeichnen Groissböcks Gestaltung aus. Glänzend dazu passt seine prächtige Stimme, die auch in der Höhe substanziell ist, vor allem aber in der tiefen Lage und im mittleren Stimmbereich mustergültig stark und ausdrucksmächtig nuancierend ist.

Im regielich leider missglückten neuen Lohengrin hat der deutsche Bariton Martin Gantner als Telramund erst vor kurzen an der Wiener Staatsoper auf sich aufmerksam gemacht und sowohl darstellerisch als von seiner Frau Ortrud an den Rande des Nervenzusammenbruchs gebrachter Mann wie auch als markanter Wagner-Sänger mit seiner Leistung punkten können. Auch als Beckmesser erweist sich Gantner als schauspielerisch wendiger Bariton, der der eitlen Figur des Rechthabers und Nörglers komplexe, ebenso irritierende wie lächerliche und bemitleidenswerte Züge verleiht. Wie er am Schluss deprimiert und verlacht auf der untersten Stufe des Podests kauert, auf dem er eben eine bittere Niederlage erlitten hat, mag auch dem als Merker-Schreiber ausgewiesenen Rezensenten wieder einmal eine Ermahnung zu Demut und Bescheidenheit aussenden.

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David Butt Philip (Walther Stoltzing), Hanna-Elisabeth Mükker (Eva)

Hanna-Elisabeth Müller und David Butt Philip waren schon bei der Premiere das junge Paar, das von Hans Sachs protegiert wird. Müller beeindruckt mit ungekünstelt natürlicher, anmutiger Erscheinung und einem jugendlich frischen, lyrischen Sopran, der sich durchaus auch dramatisch zu entfalten weiß. David Butt Philipp ist stimmlich ebenfalls ein jugendlich frischer Tenor, allerdings mit einem heldischen Kern, der die Gestaltung des Preislied, von den ersten Versuchen, mit Ratschlägen vom Meister ermuntert und ermutigt, bis zum großen Auftritt vor den Meistersingern und dem Volk, von Mal zu Mal zu steigern vermag und schließlich als der unbestrittene Sieger dasteht. Der Brite hat einen klaren Sympathiebonus, wie groß und tragfähig seine Stimme wirklich ist, wird sich noch zeigen. Doch die Anzeichen sind gut.

Christina Bock als Magdalena, Michael Laurenz als David sowie Martin Hässler als Fritz Kothner sind in dieser Inszenierung schon bewährte Kräfte mit überzeugenden Rollenprofilen, was auch für die Darstellung des Nachtwächters von Peter Kellner gilt, den der Regisseur am Ende des 2. Aufzugs als schaurigen Sensenmann auftreten lässt.

Jörg Schneider setzt sich erneut trefflich als Kunz Vogelgesang in Szene. In weiteren Nebenrollen in der Gilde der Meistersinger debütiert eine Reihe von Kräften aus dem Haus, Ensemble- wie auch Opernstudiomitglieder, darunter Jack Lee, Lukas Schmidt, Agustin Gomez, Nikita Ivasechko, Simonas Strazdas und Stephano Park.

Nicht zu vergessen der hervorragende Chor, Extrachor und die Chorakademie der Staatsoper sowie das Europaballett St. Pölten, das allerdings nur einen kurzen, wohl eher entbehrlichen Auftritt zu absolvieren hat. Maßgeblich am Erfolg beteiligt und deshalb beim überschwänglichen Schussapplaus, der die ansonsten üblichen fünf Minute bei weitem übertrifft, besonders gefeiert, ist das vorzügliche Orchester unter der umsichtigen Leitung von Philippe Jordan. Bei der Premiere im Dezember 2022 standen viele Opernliebhaber noch unter dem Schock, den die Ankündigung von Staatsoperndirektor Roscic ausgelöst hatte, dass Jordan 2025 als muskalischer Chef abtreten werde. Seit damals wird Jordan immer schon heftig gefeiert, noch bevor der erste Ton erklingt. Das ist wohl ein Signal. An wen wohl? – Tatsache jedenfalls, dass Jordan immer besser wird. Nur zu hoffen, dass er dann weiterhin möglichst oft als Gastdirigent zu erleben sein wird.

 

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