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WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN – Vor solchen Tönen „liegen Cherubim auf ihrem Angesicht!“

Vor solchen Tönen „liegen Cherubim auf ihrem Angesicht!“ – Die Frau ohne Schatten an der Wiener Staatsoper, 1. Aufführung der Wiederaufnahme Seria am 14.10.2023

 Als Richard Strauss 1919 gemeinsam mit Franz Schalk die Leitung der Wiener Hofoper übernahm, wusste er nicht nur, daß es eine Art GMD, künstlerischen Leiter oder ähnliches am Haus am Ring bedurfte (das Verhältnis zwischen beiden war keinesfalls immer einfach, es führte aber zu einer erneuten Blüte des Hauses). Mehr noch, zum Einstand schenkte er der Staatsoper, gemeinsam mit seinem kongenialen Librettisten Hugo von Hofmannsthal, eine Oper: Die Frau ohne Schatten. Das Märchen von 3 1/4 Stunden Spiellänge gehört nicht nur zur wahrscheinlich letzten Oper der Romantik und ist eines der wirklich wenigen bedeutenden Werke, die am Opernring 2 zur Uraufführung kamen. So überrascht es nicht, daß Dominique Mayer zum 150 jährigen Bestehen der Staatsoper im Jahr 2019 eben jene Frau ohne Schatten in einer aufsehenerregenden Produktion auf die Bühne brachte: Es sangen Camilla Nylund als Kaiserin, Evelyn Herlitzius als Amme, Nina Stemme als Färberin, Stephen Gould als Kaiser und Wolfgang Koch als Barak – das alles unter dem Baton von Christian Thielemann. Das Resultat war ein epochales Ereignis, das Maßstäbe setzte. Wenn es einen Opernhimmel gibt, so konnte ihn das Publikum an diesen Abenden in vollen Zügen genießen.

Dies gilt auch für die zweite Seria im Oktober desselben Jahres, wiederum unter der Leitung Herrn Thielemanns und nur in einigen Besetzungen verändert: Hier sangen und spielten nun Mihoko Fujimura die Amme, Tomasz Konieczny den Barak, sowie Andreas Schager den Kaiser. Dies tat der Qualität des Abends kaum Abbruch, nach wie vor handelte es sich um einen herausragenden Abend der Extraklasse, insbesondere Camilla Nylund konnte als Kaiserin brillieren, beide Dirigate Maestro Thielemanns gehörten zu seinen wohl besten, die wir bislang gehört haben. Dann wurde es an der Ringstraße still in Bezug auf Thielemann, zwar dirigierte dieser häufig die Philharmoniker im Musikverein, ebenso die Wunderharfe aus Dresden. Doch an der Staatsoper? Fehlanzeige!

Nun endlich ist der Kapellmeister zurück, mit einer erneuten Seria der Frau ohne Schatten wurde die drei Jahre währende Durststrecke nun beendet. So brandet bereits unmittelbarer Jubel auf, als Herr Thielemann den Orchestergraben betritt. Gleichzeitig liegt unbändige Spannung auf, denn die lange Abstinenz Thielemanns führte durchaus auch zu kritischen Stimmen, die meinten, er sei überbewertet und habe lange nicht mehr überzeugen können. Hinzu kommt das permanente Krakeelen all jener, denen Christian Thielemanns Verständnis von Musik und Oper ein Dorn im Auge ist, da sie es als „konservativ“ und „ewig gestrig“ brandmarken. Würde der Abend jene Stimmen widerlegen? Oder würde der Abend enttäuschen und das Ende einer Ära besiegeln?

Bereits in der zweiten Seria sang Andreas Schager den Kaiser und legte weiland eine zumindest akzeptable Leistung vor, von der am heutigen Abend jedoch nicht einmal ansatzweise die Rede sein konnte. Bereits im ersten Akt lässt Herr Schager jedwedes Legato vermissen, er klingt wie nach Luft schnappend, fast röchelnd, wurde dann stellenweise viel zu laut, ja schreit fast die Töne heraus, um damit die stimmlichen Mängel zu verdecken. Laut kann er, der Rest ist fast schon erschreckend. Dies zieht sich im zweiten Akt weiter durch, Herr Schager singt zerstückelt, nahezu schon stakkatoartig. Oftmals geht seine Stimme vollkommen im Klang des Orchesters verloren und dass, obschon Maestro Thielemann die Philharmoniker bewusst in Zaum hält, alles versucht, um Herrn Schagers Stimme ausreichend Raum zu geben – vergeblich. Die Stimme des Tenors klingt zunehmend belegt, daß sonst so oft an ihm gepriesene Strahlen seiner Stimme fehlt, vielmehr wirkt sie wie angerostetes Blech, ja scheint regelrecht auseinander zu fallen. Allgemein wirkt Schager auch auf der Bühne sehr gealtert und teilweise fast kraftlos, obschon er versucht, die gesanglichen Defizite durch Agitation auf der Bühne wieder wettzumachen. Dies gipfelt im finales des dritten Akts in eine fast schon beschämende Situation: Denn Schager wird von Michael Volle stimmlich regelrecht platt gemacht, ist sogar gar nicht mehr hörbar als er vor dem Schlusschor gemeinsam neben diesem stehend singt, verpasst das Hohe C zum Schluss der Partie, und verkommt somit zum akustischen Zwerg.

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Michael Volle (Mitte) mit seinen (Bühnen)Brüdern Martin Hässler, Evgenij Solodnikov und Thomas Ebenstein. Foto: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Und Michael Volle ist an diesem Abend gewaltig! Akustisch hält er locker mit dem Orchester selbst bei den Forti mit, wirkt dabei nicht einmal ansatzweise angestrengt und ist jederzeit stimmlich klar als auch inhaltlich verständlich. Einen ersten Höhepunkt setzt er bereits im ersten Akt in der Auseinandersetzung mit der Färberin: „Ich zürne Dir nicht und bin freudigen Herzens, und ich harre und erwarte die Gepriesenen, die da kommen.“ – die Kraft seiner Stimmer verleiht Herrn Volles Charakter die gefestigte Bestimmtheit die diesen Barak fast nie aus der Ruhe kommen lässt, er bleibt freundlich, aber bestimmt und erzeugt mit dem mächtigen Volumen seines massiven Baritons einen magischen Gegensatz zwischen dem Aufbrausen des Orchesters, welches hier den Widerstand der Färberin aber auch seine eigene Gefühlswelt symbolisiert und seiner Gefasstheit und seinem Wertekanon, mit dem es ihm gelingt die täglichen Strapazen seines Lebens überhaupt stemmbar zu machen. Gleichzeitig zeigt er die Empathie dieses Mannes in berührender Art und Weise auf. Und es ist jene Empathie, die ihn verletzlich macht, weshalb er eine Gefasstheit und Selbstkontrolle braucht, um in der harschen Umgebung seines Alltags auch emotional überleben zu können. Und genau jene Schwachstelle bringt ihn dazu, ihm 2. Akt auf seine Frau loszugehen, als sie – fälschlicherweise – behauptet, ihren Schatten bereits verkauft zu haben. Die Raserei in die Herr Volle dann verfällt zeugt von einem Künstler von absolutem Weltrang – uns stockt der Atem bei den Worten „das Weib ist irre“ und in der folgenden Szene legt Herr Volle gesanglich wie auch spielerisch eine Emotionalität an den Tag die ihresgleichen sucht. Auch die Sühne, die Barak dann im 3. Akt zeigt, ist, genau wie die Herzlichkeit und die Nachsicht, die er gegenüber seiner Frau und sich selbst an den Tag legt, unglaublich lebensnah und berührend – bravo, bravissimo für diesen Ausnahmekünstler!

Ebenfalls charakterlich tiefgehend und sauber gezeichnet ist die Färberin die Elena Pankratova an diesem Abend verkörpert, Sie lässt eine verbitterte, egoistische Frau, zu der wir am beginn des Abends wenig Sympathie empfinden im Laufe des Stückes auftauen, sich besinnen und den richtigen Weg an der Seite ihres Mannes einschlagen. Dies bedeutet keinesfalls, daß es sich bei der Frau ohne Schatten um eine anti-emanzipatorische Oper handelt, im Gegenteil. Denn hier werden eben keine Femizide durchgeführt, Frauen eben nicht gemaßregelt, obschon sie ihren Ehepartnern fremdgehen oder sehr akut mit dem Gedanken dazu spielen. Frau Pankratova zeigt dies sehr deutlich auf, indem sie den Zwiespalt der Färberin anschaulich werden lässt: Sind es die Versuchungen des süßen Lebens ohne Verpflichtungen und Bindung denen sie nachgeben soll, oder doch die Erfüllung im Familienleben gemeinsam in Geborgenheit, Sicherheit und dem nachhaltigen Aufbau einer Familie? Zu der für sie passenden Antwort findet sie selbst, eben ohne dazu genötigt zu werden – bleibt sie doch lange bei der Ablehnung gegenüber Barak und lässt sich hier nicht nur nicht drängen, sondern leistet sogar sehr erfolgreichen Widerstand gegen den Wunsch ihres Mannes. Frau Pankratova bringt dabei auffallend oft Passagen in gesprochenem Text – was bei dem Anspruch an die Rolle der Färberin mehr als verständlich und ihr keinesfalls anzukreiden ist. Denn damit vermeidet sie unangenehme Kratzer oder gar schrille Töne an diesem Abend und setzt tadellos ihre Rolle sauber und mit sehr soliden Höhepunkten um.

Anders verhält es sich mit der Amme, einer Frau, der eben nicht jene Wende der Färberin gelingt. Von Einsamkeit getrieben versucht sie alles, um der Kaiserin nahe zu sein und ist ohne jedwede Skrupel dazu bereit, selbst Barak und seine Frau dafür ins Verderben zu stürzen. Es ist dann entsprechend ironisch, dass sie am ende des Stücks durch den geisterboten verdammt wird, für immer in Einsamkeit unter den Menschen zu weile. Die Verzweiflung, die an diesem Punkt aus der Amme spricht, meistert Tanja Ariane Baumgartner meisterlich, die sich sukzessive in diesen Höhepunkt des dritten Aktes vorarbeitet: „Ich will zu ihr!“ wird somit zu einem Schrei der Verzweiflung und der Angst vor Einsamkeit. Frau Baumgartner bedient sich bei der Darstellung dieses schwierigen Charakters dabei mitnichten irgendwelchen Klischees, sondern lässt schrittweise die Motive der Amme klarer werden und schafft ein bemitleidenswertes Geschöpf, welches sich von lebensbejahenden Werten abgewandt hat, ohne es zu merken. Die Amme Frau Baumgartners wird damit zu einem eindringlichen Mahnmal das vor der Abwendung von Liebe, Herzlichkeit, Anstand und gegenseitigem Respekt warnt: Achte die anderen in ihrem Sein und hüte Dich davor, sie aus Selbstsucht übervorteilen zu wollen. Auch gesanglich legt sie wirklich Beachtliches vor und lässt mit ihrem Mezzo die niederen Motive der Amme dröhnend bewusst werden. Die feine Zeichnung und die musikalische Kraft, die sie an diesem Abend beweist, ebenso wie der Facettenreichtum im Ausdruck ihres Klangs, eine tadellose Empfehlung für eine hoffentlich bald wieder anstehende Kundry – Brava!

Und dann ist da eben noch Elza van den Heever. Bereits in Baden Baden wurde sie in diesem Jahr für die Kaiserin gefeiert und sie setzt diesem Abend auch heute wieder gesanglich die Krone auf: Kristallklar und funkelnd, wie ein Gebirgsquell funkelt ihr Sopran den ganzen Abend du gleicht der Unschuld jener weißen Gazelle, die die Kaiserin einst war. Mit den Erlebnissen der Kaiserin, die letztlich zur Fähigkeit führen, selber Mitgefühl zu empfinden, steigert sie sich stimmlich von Note zu Note weiter in ungeahnte Höhen empor, die tatsächlich unglaublich sauber und strahlend singt. Frau van den Heever gelingt dabei ein unglaublich diamantener Klang dann im zweiten Akt mit den Worten „Dir – Barak – bin ich mich schuldig!“ zu einem ersten Höhepunkt des Abends führt. Wahrlich, vor solchen Tönen „liegen Cherubim auf ihrem Angesicht“! Und dies bleibt nicht der einzige sensationelle Moment der Frau van den Heever an diesem Abend gelingt: Die gesamte Passage vor der Verwandlung im dritten Akt gerät zu einer Demonstration eines Könnens, das nur als sphärisch in seinem Klang und ergreifend in seinem Spiel bezeichnet werden kann „Er will heraus und kann nicht mehr. Ihm stockt der Fuss, sein Lieb erstarrt. Die Stimme erstickt, Sein Aug nur schreit um Hilfe!“ – wir bekommen Gänsehaut vor der Intensität, in der diese Zeilen gesungen werden und fühlen uns in anderen Welten, hineingesogen in jene Märchenzeit, die als Ort der Frau ohne Schatten angegeben ist, entgleiten in den Strudel der Klänge, verlieren uns in der Stimme von Elza van den Heever, deren Stimme aus anderen Dimensionen zu kommen scheint! Bravissima!

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Christian Thielemann mit der Ehrenmitgliedschaft. Foto: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper

Als wäre das nicht genug des musikalischen Hochgenusses erzeugt Christian Thielemann den ganzen Abend lang ein musikalisches Feuerwerk, ein Dirigat, das wirklich seinesgleichen sucht. Die gesamte Bandbreite musikalischen Wirken erzeugt er an diesem Abend, es ist als entstünde ein Portrait der gesamten menschlichen Emotion, niedergemalt in Tönen und Klängen die zu Farben werden, einem nicht enden wollendem Zusammenspiel, das sich immer wieder in Crescendi zu eindringlichen Fortissimi steigert, die uns regelrecht den Atem rauben! Und selbst in diesen brausenden Wogen des Klangs hören wir noch immer jeden einzelnen Ton jedes einzelnen Instrumentes, so fein, so präzise, so genau schafft es der Maestro, jede Note von Strauss Komposition nicht nur zu verstehen, sondern regelrecht zu durchdringen. Es ist diese Phrasierung, dieses Sezieren und neu zusammensetzen der Töne, das so typisch für das Dirigat Christian Thielemanns ist und es so außerordentlich macht. Er erzeugt somit ein Wechselbad der Gefühle, welches zwischen friedlichen Harmonien und extatischen Höhen hin und her schwimmt. Der Frieden am Ende des ersten Aufzugs, der mit dem „Sei‘s denn“ eine trügerische Nachtruhe vorgaukelt, wird im zweiten Aufzug zu einem Ringen der expressiven Emotionen. Vielleicht ist es tatsächlich der Schluss des ersten Aufzuges, an dem die musikalische Romantik endet.

Denn der zweite Akt ist klar durch polyphones Spiel der Moderne geprägt, welches Herr Thielemann in gnadenloser Intensität umsetzt. Bei „Zum Lebenswasser! Zur Schwelle des Todes!“ ist der Klang so intensiv, dass es kaum vorstellbar ist, daß es etwas Eindringlicheres geben könnte, im Fortissimo überrollt uns der Klang und reißt uns davon, mit „Übermächte sind im Spiel! Herzu mir!“ endet der zweite Aufzug dann in einem monumentalen Finale, das den gesamten Saal in einem Zustand zurücklässt, der irgendwo zwischen Extase, Katharsis und Schock liegt. Dass Strauss und Hofmannsthal hier wohl auch die gesellschaftlichen Ereignisse ihrer Zeit verarbeiteten (der erste Weltkrieg war gerade zu Ende) liegt auf der Hand. Dies macht Christian Thielemann hör- und erlebbar, das Haus ist emotional aufgewühlt und bereits ganz im Strudel der Komposition versunken. Die dadurch entstehende Spannung löst Herr Thielemann bravourös im dritten Aufzug auf: Mit den Worten „ich will nicht!“ entscheidet sich die Kaiserin gegen ein Leben in Egoismus und für ein Leben, das von Mitgefühl geprägt ist. So wird das grandiose Finale des dritten Aufzugs von Herrn Thielemann als Triumphzug umgesetzt: „Nun will ich jubeln, wie keiner gejubelt!“ – Zu Recht, denn es ist der Triumph der Liebe und die Niederlage der Hartherzigkeit. Er ist – auch musikalisch – die Voraussetzung für den Frieden, der schließlich mit dem Chor der Ungeborenen intoniert wird: ein Symbol für Frieden, Versöhnung und eine strahlende Zukunft voller Hoffnung. So fällt schließlich der Vorhang nach einem sensationellen Abend und einem außerordentlichen Dirigat Christian Thielemanns. Der Kapellmeister ist zurück an der Staatsoper, was ihm diese – mehr als verdient – im Anschluss mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des Hauses dankt und uns im Publikum einen unvergesslichen, sensationellen Abend beschenkt! Bravissimi tutti, bravissimo Christian Thielemann!

E.A.L.

 

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