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WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN – Letzte Vorstellung dieser Aufführungsserie

WIEN / Staatsoper: „DIE FRAU OHNE SCHATTEN“ – 24.10.2023 –

Letzte Vorstellung dieser Aufführungsserie

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Tanja Ariane Baumgartner (Amme). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Es gibt sie doch noch, jene magischen Momente, die der Opernfreund gerne „Sternstunden“ nennt. Die letzte Aufführung der „Frau ohne Schatten“ am 24. Oktober war eine solche „Sternstunde“. Es ist schon sehr interessant, dass vier Aufführungen eines Werkes binnen 10 Tagen in beinahe identer Besetzung so unterschiedlich sein können. Hatten einige Sänger in den ersten beiden Vorstellungen noch mit Ermüdungserscheinungen im Laufe der Aufführung zu kämpfen, wuchsen alle Sänger in der letzten Aufführung scheinbar über sich hinaus. Und während die Vorstellung am 21. Oktober seitens des Orchesters die schwächste der Aufführungsserie war (entweder war das Orchester nach dem philharmonischen Konzert im Musikverein am Nachmittag geschwächt oder haben an diesem Abend zu viele Substituten in der Oper gespielt), präsentierte sich das Orchester nun in der letzten Aufführung in Bestform. Bereits in der Saison 2018/19 waren die Aufführungen der „Frau ohne Schatten“ unter Christian Thielemann der einsame Höhepunkt der ganzen Spielzeit, ebenso in der darauffolgenden Spielzeit. Und ich wage es zu behaupten, dass dies auch für die laufende Spielzeit gelten wird. Die hohe Qualität dieser vier Aufführungen wird in den folgenden Monaten wohl durch kaum eine andere Vorstellung zu toppen sein.

Die Neuinszenierung der „Frau ohne Schatten“ im Jahr 2019 anlässlich des 100. Jahrestages der Uraufführung dieses Meisterwerks von Richard Strauss war schon längst überfällig, wurde die Oper in den Jahren zuvor kaum noch gespielt und war die Vorgängerproduktion aus der Ära Holender ein unerträglicher Psychoschmarren. Die neue Inszenierung des französischen Regisseurs Vincent Huguet war zwar auch nicht der große Wurf, den man sich gewünscht hätte, aber es ist zumindest eine Produktion, mit der man leben kann. Wenigstens hat das Regieteam die Geschichte als Märchen für Erwachsene, wie es von Hofmannsthal und Strauss erdacht wurde, belassen. Man muss ja schon darüber froh sein. Der erste Akt ist dabei sogar sehr gut gelungen. Allerdings schlichen sich im Laufe des Abends dann doch so manche szenischen Schwächen ein. Das Herumliegen von Soldatenleichen soll wohl völlig unnötigerweise an den Ersten Weltkrieg, die Entstehungszeit des Werks, erinnern. Das Finale des 2. Aktes ist völlig missglückt. Gerade mit heutigen technischen Möglichkeiten müsste das weltuntergangsnahe Finale weitaus beeindruckender zu gestalten sein als nur mit der Einblendung einer Feuerwand. Übermächte waren da kaum im Spiel. Zu Beginn des 3. Aktes sind Barak und seine Frau keineswegs getrennt, was die Szene völlig unglaubhaft macht. Auch die Tatsache, dass es einem heutigen Regieteam noch immer nicht gelingt dafür zu sorgen, dass die Sänger einen Schatten werfen, wenn sie das tun sollen, und keinen Schatten werfen, wenn sie das nicht tun sollen, ist völlig unverständlich. Aber trotz all dieser Einwände gewährt diese Inszenierung dem Publikum doch die Gelegenheit dem Mysterium dieses Stücks nahe zu kommen (was bei der letzten Produktion von Robert Carsen ganz und gar nicht der Fall war). Die Neuinszenierung dürfte ein Work-in-progress sein, denn sowohl bei der Wiederaufnahme der Produktion im Herbst 2019 als auch nun im Oktober 2023 hat der Regisseur persönlich einige Änderungen vorgenommen. So wurde z.B. der wackelige Thron des Kaisers im 3. Akt entfernt. Der Kaiser liegt nun versteinert unter den Kriegstoten auf dem Boden. Dass die Kaiserin und der entsteinerte Kaiser dann auch die anderen Kriegstoten wieder zum Leben erwecken, erinnert etwas peinlich an „Hänsel und Gretel“, wo am Ende die Lebkuchenkinder wieder lebendig werden.   

Aber all diese Einwände werden hinweggefegt durch die musikalische Leistung unseres Staatsopernorchesters und der musikalischen Leitung von Christian Thielemann. Allein schon die ersten drei Keikobad-Schläge zu Beginn, die der Dirigent dynamisch abgestuft erklingen lässt und damit sofort eine ungeheure Spannung erzeugt, hat man vor ihm noch nie so gehört. Und wie er die vielen Orchestersoli hervorhebt, wobei die jeweiligen Solisten mit ihrem jeweiligen Instrument brillieren, ist atemberaubend. Stellvertretend für alle philharmonischen Solisten soll hier nur der Konzertmeister Rainer Honeck genannt werden, der das Violinsolo in der Szene der Kaiserin vor dem Wasser des Lebens überirdisch schön gespielt hat. Wie Thielemann instrumentale Details auskostet, wie er das Orchester in den Zwischenspielen zu einem Klangrausch aufbrausen lässt, aber im nächsten Moment den Sängern wieder einen transparenten Klangteppich unterlegt, wie er die Streicher im Orchesterzwischenspiel im 1. Akt, bevor die Färberin „Dritthalb Jahr bin ich dein Weib“ singt, mit unendlicher Zärtlichkeit spielen lässt, das muss man gehört, das muss man erlebt haben. Und davon haben die Sänger natürlich profitiert. Denn dank der dynamischen Abstufung der Lautstärke des Orchesters – obwohl auch Thielemann es gerne mal laut krachen lässt – deckt er die Sänger niemals zu. (Eigentlich hätte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić sämtliche Dirigenten der Staatsoper – vor allem jene, die das Orchester immer zu laut spielen lassen und die Sänger zudecken – zwangsverpflichten müssen sich wenigstens eine Vorstellung dieser Aufführungsserie ansehen zu müssen.)

Andreas Schager war ein höhensicherer Kaiser mit scheinbar unversiegbaren Kraftreserven.  

Elza van den Heever singt die Kaiserin mit hellem, silber-schimmerndem Sopran und mit sicheren Koloraturen in der Auftrittsszene. Ihre große Szene im 2. Akt  mit einem strahlend hohen Des sowie die Szene vor dem Wasser des Lebens mit dem ungestrichenen Melodram gelingen ihr überzeugend und bewegend.  

Richard Strauss hat die Amme für einen dramatischen Mezzosopran geschrieben, für mich nach wie vor unerreicht ist da Brigitte Fassbaender, die die Amme leider nie in Wien gesungen hat. Christa Ludwig wollte die Partie leider nie singen, da ihr die Partie der Färberin zu sehr ans Herz gewachsen war.  In letzter Zeit wird die Amme immer öfter von (ausgesungenen) Sopranen übernommen. Umso erfreulicher ist es, dass diesmal die Amme von Tanja Ariane Baumgartner gesungen wurde, die sowohl über die vielen Höhen, aber auch über die erforderlichen Tiefen verfügt. Sie ist – wie bereits 2014 in Frankfurt in der Christof Nel-Produktion – auch darstellerisch eine faszinierende Amme.

Clemens Unterreiner war ein wortdeutlicher und beeindruckender Geisterbote. Auch die kleineren Partien (u.a. Miriam Kutrowatz als Hüter der Schwelle und Stimme des Falken, Martin Hässler als Einäugiger, Evgeny Solodovnikov als Einarmiger, Thomas Ebenstein als Buckliger) waren gut besetzt. Im Falle von Jörg Schneider (Stimme des Jünglings) kann man sogar von einer Luxusbesetzung sprechen.

Nachdem Michael Volle in den ersten beiden Vorstellungen einen warmherzigen und glaubhaften Barak gesungen hatte, wurde er krankheitsbedingt in den beiden letzten Vorstellungen durch Tomasz Konieczny ersetzt. Dieser hat seit den Vorstellungen im Herbst 2019 diese Partie nicht mehr gesungen. Die musikalischen Unsicherheiten, die noch das kurzfristige Einspringen (und Einfliegen aus Madrid, wo er am Tag davor und danach in einer konzertanten Aufführung des 3. Aktes von „Parsifal“ den Amfortas gesungen hat) am 21. Oktober geprägt haben, waren in der letzten Vorstellung ausgeräumt. Bereits 2019 hat er mit seinem kraftvollen Bariton und seiner mitreißenden Gestaltung als Barak überzeugt. Man kann ihm nicht genug danken dafür, dass er die beiden letzten Vorstellungen dieser Aufführungsserie durch sein beherztes Einspringen gerettet hat.

Ich habe Elena Pankratova als Färberin erstmals 2010 beim Maggio Musicale in Florenz unter Zubin Mehta in der schönen Produktion von Yannis Kokkos gesehen. Seither begegnete sie mir als Färberin in vielen weiteren Vorstellungen (in der Inszenierung von Claus Guth an der Mailänder Scala, an der Londoner Covent Garden Opera und an der Berliner Staatsoper sowie in der Produktion von Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper München). Ihr gelingt es ganz wunderbar die Wandlung von der verletzten und verhärmten zur liebenden und leidenschaftlichen Ehefrau darzustellen. Mit ihrer schlank geführten, dramatischen Sopranstimme ist sie auch stimmlich ideal. Wenn man daran denkt, dass die Sängerin in Graz lebt und an der dortigen Universität für Musik und darstellende Kunst Gesang unterrichtet, verwundert es schon, wie lange es gedauert hat, bis sie ihre Färberin nun auch in Wien endlich präsentieren konnte.

Nach der ersten Vorstellung dieser Aufführungsserie wurde Christian Thielemann zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt. In seiner Laudatio erwähnte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić, dass mit dem Dirigenten bereits schöne Pläne bis zum Jahr 2029 vereinbart wurden. Man kann nur hoffen, dass darunter auch eine oder mehrere Wiederaufnahmen der „Frau ohne Schatten“ sein mögen. Im nächsten Jahr soll Thielemann an der Wiener Staatsoper ja Hans Pfitzners „Palestrina“ dirigieren. Und bereits davor, bei den Salzburger Festspielen, das „Capriccio“ von Richard Strauss. Möge uns die Verbindung Christian Thielemanns zu den Wiener Philharmonikern bzw. zur Wiener Staatsoper noch möglichst viele Sternstunden bereiten wie diese letzte Aufführung der „Frau ohne Schatten“.

Walter Nowotny

 

 

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