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WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN

Symphonisch gedachte Orchesteroper (mit Sängern), oder: Lautstärkerekorde in der Jubiläumswoche?

03.06.2019 | Oper


Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: „DIE FRAU OHNE SCHATTEN“

Symphonisch gedachte Orchesteroper (mit Sängern), oder: Lautstärkerekorde in der Jubiläumswoche?

2.6. 2019, 3. Aufführung in dieser Inszenierung – Karl Masek

Richard Strauss‘ siebente Opernpartitur stellt ein Kompendium seiner bisher vertretenen Stilrichtungen dar. Es ist eine raffiniert und, sagen wir vorsichtig, besonders opulent instrumentierte Partitur. Mit dominant symphonischen Teilen, also eine echte Orchesteroper (mit Sängern, die gefordert sind wie kaum sonst). Wie das die Wiener Philharmoniker, hier als Orchester der Wiener Staatsoper, besonders lieben. Und Christian Thielemann fühlt sich da sowieso in seinem Element! Passend zum überladenen, bombastisch-verrätselten Märchen des Hugo von Hofmannsthal mit zeitweilig ziemlich „verschwurbelter“ Sprache.

Auch die Zahlenmystiker und Jubiläumsfreaks und „Runde-Jahre-Feierer“ kommen zu ihrem Recht! Uraufführung des Werkes 1919 in Wien (100 Jahre); 1869 Gründung der Wiener Staatsoper  (150-Jahr-Jubiläum); 1999 (80-Jahr-Jubiläum der UA; Vorgänger-Inszenierung von Robert Carsen mit Giuseppe Sinopoli; und eben jetzt zum 150er: erraten, wieder „Die Frau ohne Schatten“ …

Ja, die Vorgänger-Inszenierung! Hier wurde die gesamte Handlung in das aufgewühlte Seelenleben einer schwer (frühkindlich) verstörten Frau verlegt. Die „Suche nach dem Schatten“, als Metapher für den Wunsch nach Fruchtbarkeit, wird zur Verbildlichung des dornigen Wegs der Prüfungen, welche die Kaiserin in vielen (Angst)träumen durchläuft, bis zur psychischen Genesung. Also eine „Psychotherapie-Oper“, wie das seinerzeit Erwin Ringel in seinem Buch „Oper – Spiegel des Lebens“ in der ihm eigenen Plastizität bezeichnet hat. Diese Inszenierung (sie polarisierte, wenn ich mich recht erinnere!) bot jede Menge Gedankenfutter fürs Opernpublikum, Stoff für eigene Gedanken, für eigene Assoziationen – und war mit dem tiefenpsychologischen Zugang für mich sehr überzeugend. Giuseppe Sinopoli, der Mediziner und Psychologe, dirigierte tiefschürfend, sprich: geradezu tiefenpsychologisch – was viele begeisterte, anderseits aber eben auch polarisierte. Ich erinnere mich, dass damals Wolfgang Bankl als „Geisterbote“ wie Siegmund Freud höchstpersönlich ausgesehen hat. Und dass Marjana Lipovšek als „Amme“ eine dämonische Krankenschwester war, die die Kaiserin tendenziös-manipulativ beeinflusst hat. Zuletzt konnte man sich von dieser Inszenierung 2012 überzeugen, damals dirigierte Franz Welser-Möst, seine vielleicht beste Dirigierleistung im Haus am Ring …

Dagegen jetzt? Vincent Huguet gelingt kaum mehr als eine harmlose Bebilderung der Geschichte, die nicht stört, auch das Auge nicht verstört (Bühnenbild: Aurélie Maestre, Kostüme: Clémence Pernoud, mit auffallender Blau-Tendenz; Barak hätte sicher mehr Farbpaletten; – aber das ist ja immerhin ein bisschen was!), die aber auch bedeutungslos, uninteressant, und damit eigentlich entbehrlich bleibt. Von einem, der mit Patrice Chéreau (Stichwort: Jahrhundert-Ring in Bayreuth!) zusammengearbeitet hat, hätte man sich doch mehr „Triftigkeit“, neue und stilbildende Sichtweisen, mehr Originalität, erwarten können! Dem Verdikt vom „Szenischen Flop“ kann ich nichts entgegensetzen. Ich weiß nicht, ob Christian Thielemann eine musikalische Neueinstudierung der Vorgänger-Inszenierung akzeptiert hätte (bei „Ariadne“ war das vor wenigen Jahren ja der Fall!): aber, wenn nicht, wäre Dominique Meyer für dieses Jubiläums-Jahr in akuten Argumentationsnotstand gekommen. Und den Shitstorm von Opernfans, wenn Thielemann deswegen nicht gekommen wäre, möchte ich mir lieber nicht vorstellen …

Die musikalische Umsetzung wurde jedenfalls bisher offenbar von fast allen umjubelt. Für mich wird’s jetzt nachdenklich nach dem Ersteindruck der „3. Aufführung dieser Inszenierung“! Thielemann hat schließlich (in der Traditionslinie des im Opernalltag ganz pragmatischen „Richardl“!) dafür plädiert, „ … das Orchester stets zu dämpfen, zurückzunehmen, …, abschattieren, die fantastische Instrumentationskunst von Strauss durchsichtig und durchhörbar … zu machen“, wie er auch im Interview im Programmheft besonders betonte. Textverständlichkeit über alles!


Evelyn Herlitzius. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Nun schien  tatsächlich der 1. Akt so, als wollte Thielemann dies in besonderer Weise beherzigen. Die Szene der Amme mit dem Geisterboten (ausgezeichnet: Sebastian Holecek), die Falkner-Szene des Kaisers („Kann sein, drei Tage komm ich nicht heim…“, Stephen Gould begann hervorragend), da war viel vom Flirren; aber auch  von der gläsernen Kühle der Kaiserin („Ist mein Liebster dahin, was weckst du mich früh …“, idealtypisch hier die Stimme der Camilla Nylund). Sehr rücksichtsvoll wurde orchestral die Amme gestützt, sodass auch die extremen Tiefen hörbar blieben. Eyelyn Herlitzius (vor kurzem noch „Färberin“) war als Amme jeder Zoll die menschenhasserische, dämonische Kupplerin, in dieser Aufführung großartig die schwierigen Lagenwechsel ihrer Rolle bis zu hochdramatischen Sopranlagen, immer noch ihre Domäne, imponierend durchmessend.

Da dämpfte, tarierte Thielemann, all dies verdeutlichte er dadurch, dass er geradezu aus „halb liegender“ Position dirigierte. Ganz klein die Gesten.

Ab dem 2. Akt jedoch nahmen die Trommelfellattacken mehr und mehr zu. Da gingen die Gäule durch. So, als wollte man in der Jubiläumswoche Lautstärkerekorde brechen. Klangliche Sturzfluten, Übermächte-Krach brach sich da Bahn. Dazwischen die wundersamen Inseln des Cellosolos (Tamás Varga, viele werden ihm das nicht so innig nachspielen können) und der große Auftritt des Konzertmeisters (Volkhard Steude mit aller Süße des Geigentons!). Augenblicklich verfällt man wieder dem Klanggenie des „Richardl“.

Sonst jedoch: Ich ertappe mich bei den Gedanken: Wieviel Dezibel erreichen die gerade? Hochdramatisches Singen geht durch die Lautstärkeexzesse fließend in Schreien über! Geht das tatsächlich noch lauter? Gibt’s welche im Orchester (und auch im Auditorium?), die Ohrstöpsel dabei haben? Die Ohren sind bald nicht mehr aufnahmefähig, die Trommelfelle packen’s bald nicht mehr, bis hin zur Bewunderung, mit welcher Kraft die Protagonist/innen derlei bewältigen.

Nach dem Programmzettel: Stephen Gould meistert die mörderische Partie des Kaisers mit enormer Kraft, aber auch viel Überdruck. Singen ist Schwerathletik, signalisierten seine Szenen im 2. Und 3. Akt.

Camilla Nylund: Eine Weltklasse-Kaiserin, da wird’s aktuellerweise nicht viel Konkurrenz geben. Sie durchlebt charakterlich und stimmlich eine große Entwicklung, hat am Schluss den „Jubelsopran“, den der Stimmenexperte Erich Seitter im Programmheft einfordert.

Evelyn Herlitzius: Stimmlich lodernd – und die wohl beste Darstellerin des Abends. Respekt und Anerkennung, dass sie sich diese Mörderpartie zumutet. Mir fällt im Wiener Erinnerungsblatt fast nur Ruth Hesse ein, die das ähnlich eindrucksvoll hingekriegt hat!

Wolfgang Koch: Er lässt sich am wenigsten zum Forcieren, als ob es kein Morgen gäbe, hinreißen. Er singt lange balsamisch und lyrisch auf Linie („Mir anvertraut…“), es verlassen ihn nur bei der Schlüsselstelle „Nun will ich jubeln…“ ein bisschen die Kräfte.

Nina Stemme, auf jeden Fall eine „Färberin“ unserer Tage. Sie mit unendlich robusten Stimmbändern! Selbst wenn es ans Schreien geht, erstaunlicherweise mit wenig Schärfen. Wer singt ihr diese Rolle mit diesen Kraftreserven nach? Auch das zänkische, ewig unzufriedene, den geduldigen Färber demütigende Wesen erspielt sie überzeugend („… denn ihre Reden sind gesegnet mit dem Segen der Widerruflichkeit…“).

Maria Nazarova (Hüter der Schwelle/Stimme des Falken), Benjamin Bruns (Stimme des Jünglings), Samuel Hasselhorn, Ryan Speedo Green, Thomas Ebenstein (die Brüder Baraks), die Stimmen der Ungeborenen,  Chor & Opernschule der Wiener Staatsoper –  sie alle sind einer Jubiläumspremiere würdig. Monika Bohinec tönt pastos als „Stimme von oben“.

Besondere Erwähnung verdient das über 200 Seiten starke Programmbuch. Hier bekommt man spannenden Lesestoff mit hochinteressanten, interdiszilinären Essays und Anregungen sonder Zahl – weit mehr als ein „Ersatz“ für eine dürftige szenische Realisation. Großartig, wie das die „Dramaturgenfirma Láng & Láng“ immer wieder macht – und wo bekommt man solches um diesen Preis?

Das Publikum war zum Feiern aufgelegt und wollte sich dezibelmäßig beim Jubeln nicht lumpen lassen. Der Rezensent hält es für diesmal – während der Arbeit an dem Bericht auf der vormittäglich stillen burgenländischen Gartenterrasse – mit dem „Sir Morosus“ aus einer ganz anderen Richard-Strauss-Oper: „Wie schön ist doch die Musik, aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist…!“

Karl Masek

 

 

 

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