Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN. 2. Aufführung der Neuinszenierung

Ein Zaubermärchen – lau erzählt, aber fantastisch gesungen

31.05.2019 | Oper

Bildergebnis für wiener staatsoper die frau ohne schatten
Evelyn Herlitzius, Camilla Nylund. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: DIE FRAU OHNE SCHATTEN von Richard Strauss 2. Aufführung in dieser Inszenierung 30. Mai 2019

Ein Zaubermärchen – lau erzählt, aber fantastisch gesungen

Sie könnte, meinte Hofmannsthal in einem Brief an Richard Strauss, „die schönste aller existierenden Opern“ werden. Was die Musik betrifft, wurde diese Hoffnung des Librettisten tatsächlich nicht enttäuscht. Der Klangzauber, den Strauss in Die Frau ohne Schatten entfaltet, übertrifft an Eindringlichkeit und Kühnheit alle anderen aus ihrer kongenialen Partnerschaft hervorgegangenen Werke. Der Komponist setzt in dieser Oper nicht den mit dem Rosenkavalier eingeleiteten Weg ungebrochener Terzenseligkeit fort, sondern knüpft an seine musikdramatischen Anfänge an, an Salome und vor allem an seine Elektra, die als Weckruf der Moderne gilt und die Hörgewohnheiten des zeitgenössischen Opernpublikums vor eine große Probe stellte. Immer wieder werden die Grenzen der Tonalität ausgereizt. Natürlich fehlt es auch nicht an den für Strauss so prägenden spätromantische Passagen berückenden Wohlklangs. Es ist aber die einzigartige Mischung all dieser Ausdrucksmittel, was den magischen Reiz dieser Oper ausmacht. Das bedeutungsschwangere, hochkomplexe Libretto Hofmannsthals mag unergründlich und symbolüberfrachtet wirken; festzuhalten bleibt, dass gerade diese rätselhafte Vorlage den Komponisten zu seiner Höchstleistung auf dem Gebiet des Musikdramas getrieben hat.

Dass Christian Thielemann, der derzeit international wohl berufenste Interpret von Strauss-Opern, sich eingehend mit der Partitur und ihren Realisierungsmöglichkeiten beschäftigt und bei der intensiven Probenarbeit besonderes Augenmerk auf die Sänger- und Sängerinnenfreundlichkeit des Dirigats gelegt hat, ist die Grundlage und damit der große Gewinn des Abends. Die dynamischen Abstufungen vom zartesten Pianissimo bis hin zu entfesselt hereinbrechenden Klangwogen sind wohl gesetzt und ein einziger Genuss, die Tempi organisch und stets im „flow“, und die Farbigkeit von überwältigender Strahlkraft. Das Staatsopernorchester präsentiert sich in Bestform und geht mit gesteigerter Festlaune – und exzellenten Instrumentalsolisten, allen voran Cellist Támas Varga  – ans Werk. Das Ergebnis ist hinreißend. Aber in punkto Kritik scheiden sich bei Thielemann bekanntlich die Geister. Es sei an dieser Stelle daher die in einem anderen Zusammenhang gefallene Feststellung im heutigen Kommentar des online Merker-Chefredakteurs zitiert: „Polarisieren kann man nur, wenn man ganz vorne/oben steht. Dafür muss man manchmal auch einen Preis bezahlen – in Form von Häme.“ Der Beifall für alle Mitwirkenden an diesem Opernabend fällt aber ohnehin voll Begeisterung und überwältigend aus. Und der stärkste Applaus gilt eindeutig dem Orchester und seinem Dirigenten!

Für die Regie ist Die Frau ohne Schatten eine lohnende, wenn auch nicht gerade einfache Herausforderung. Die Kernhandlung des tiefenpsychologisch angereicherten „Zaubermärchens“ klingt zwar nicht allzu kompliziert: Im Mittelpunkt stehen zwei hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Position kontrastierende Paare. Diese – Der Kaiser und Die Kaiserin sowie Barak, der Färber, und die Färberin müssen, ähnlich wie Tamino/Pamina und Papageno/Papagena in Mozarts Zauberflöte, verschiedene Prüfungen bestehen, bevor ihrem Glück nichts mehr im Wege steht. Das Ganze ist allerdings angereichert mit Machofantasien, einer guten Portion Freudscher Psychoanalyse, Geschlechterk(r)ampf, schwüler Erotik und latenten Aggressionen. Da ist bei einer gelungenen Inszenierung vor allem Interpretation und Deutung gefragt. Die sucht man hier allerdings vergeblich. Das Libretto wird von Vincent Huguet nicht hinterfragt, sondern – im archaisierenden Bühnenbild von Aurélie Maestre – nicht sehr einfallsreich bebildert und abgespielt. Und die Personen blieben alle nur Schablonen, wären sie nicht mit so herausragenden Sängerpersönlichkeiten besetzt, wie das hier glücklicherweise der Fall ist. Märchen? Tragödie? Satire? Farce? Diesen Fragen hat sich die Regie nicht gestellt. Am ehesten noch ein – allerdings eher laue erzähltes – Märchen.

Bildergebnis für wiener staatsoper die frau ohne schatten
Nina Stemme. Evelyn Herlitzius. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pölhn

Bleibt somit die musikalische Seite. Und die ist erstklassig. Dafür garantiert nicht nur das schon lobend erwähnte Orchester und sein Dirigent, sondern eine exquisite Schar von Sängerinnen und Sängern. Nina Stemme ist eine exzellente Färberin, resolut und intensiv begibt sie sich in einen Gebärstreik und wird zum Faustpfand in einem undurchsichtigen Spiel, in dem die Amme als intrigante Kupplerin und manipulative Instanz allzu lang ihre Netze auswirft und die Fäden in ihren Händen hält. Evelyn Herlitzius als Amme versprüht negative Energien und manipuliert ihre Umgebung einem fort, bis ihr am Schluss das Handwerk gelegt wird. Die paar stimmlichen Unsauberkeiten fallen da nicht weiter ins Gewicht, sondern unterstreichen eher die sinistre Rolle, die sie hat. Die Titelpartie, ein himmlisch schönes, geheimnisvolles Wesen, das wie Schnee in die Welt gefallen ist und lange braucht, um wärmende Menschlichkeit anzunehmen und zur Liebe zu reifen, ist mit Camilla Nylund ideal besetzt. Eine Augenweide und – mit ihrem wunderbar austarierten, samtig klingenden Sopran – auch ein Hörgenuss.

Bildergebnis für wiener staatsoper die frau ohne schatten
Stephen Gould. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pölhn

Der Wagnersänger Stephen Gould als Kaiser weiß seinen Heldentenor mühelos in die Höhe zu stemmen und streicht seine Virilität heraus, der (Bass-)Bariton Wolfgang Koch, auch im Wagnerfach bewährt, was für Strauss immer von Vorteil ist, verkörpert Barak, den Färber, die einzige Person, die einen Namen trägt. Ihm wird von seiner Frau ziemlich übel mitgespielt, aber mit seiner Gutmütigkeit und pragmatischen Wesensart lässt er sich nicht unterkriegen und bleibt stets verständnisvoll für die Launen seiner Frau. Wohltuende Wortdeutlichkeit zeichnet im Übrigen alle Beteiligten aus.

Stark gefragt ist in dieser Oper auch der Staatsopernchor und der Kinderchor der Opernschule, die sich ebenso bewähren wie die großen Ensembles der Dienerinnnen, und der Stimmen der Ungeborenen. Eindrucksvoll und einprägsam sind die Auftritte von Sebastian Holeceks als donnernder Götterbote.

150 Jahre Wiener Staatsoper und 100 Jahre seit der Uraufführung der Frau ohne Schatten an der Wiener Staatsoper: ein Grund zum Feiern. Das Fest ist gelungen.

30.5. Manfred A. Schmid

 

 

Diese Seite drucken