WIEN / Staatsoper: DIE FLEDERMAUS
179. Aufführung in dieser Inszenierung
31. Dezember 2022
Von Manfred A. Schmid
Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Die schon zur Tradition gewordene Aufführung von Wagners Parsifal am Gründonnerstag hat Staatsoperndirektor Roscic bekanntlich für das Jahr 2022 schon abgeschafft (zum Glück ist dafür heuer Linz mit einer respektablen Produktion eingesprungen). Die ebenfalls schon seit langem fest in der Spielplangestaltung verankerte Paarung Silvester und Fledermaus bleibt glücklicherweise weiterhin (noch?) unangetastet. Die vortreffliche Besetzung, die heuer aufgeboten wird, ist der Garant für einen sprühenden, champagnerseligen Opernabend, der den Jahreswechsel künstlerisch so einbegleitet, wie man es in Wien gewohnt ist: Nämlich mit „Donner und Blitz“. Unter diesem Titel wird der zweite Akt im Palast des Prinzen Orlofsky zum Höhepunkt einer ausgelassenen Festgesellschaft, der das Publikum bezaubert und es – dank der gelungenen Darbietung von Ensemble und Corps de ballet – in das Treiben gewissermaßen miteinbezieht. Die vom Chor und den Solisten verkündete Verbrüderung und „Verschwesterung“, um es gendergerecht zu formulieren, greift über in den Zuschauerraum. Schuld daran ist letztlich aber natürlich nicht, wie im Schlussensemble des 3. Akts behauptet, der Champagner, sondern die zündende Musik von Johann Strauß Sohn, die vom israelisch-amerikanischen Dirigent Yoel Gamzou schwungvoll und ihre Nuancen hellhörig auslotend zum Klingen gebracht wird. Schon seine mit mehreren Generalpausen gespickte Gestaltung der hinreißenden Ouvertüre lässt erahnen, dass dieser Abend etwas Besonderes werden wird. Da werden nicht Melodien und Tänze aneinandergereiht, sondern Gamzou verfolgt eine dramaturgische Strategie der oft abrupten, stets in sich stimmigen Tempowechsel, ohne dabei das Ganze je aus den Augen zu verlieren. Die so verteilten Akzente schaffen Platz für Ironie, emotionale Ausbrüche, zärtliche Episoden sowie viel, viel Humor.
Ganz ohne Traditionsbruch geht es bei der Fledermaus aber auch diesmal nicht ab. Der von vielen erwartete Überraschungsgast wird, wie schon im Vorjahr, auch heuer wieder eingespart. Ja, irgendwo muss man in Zeiten der Energiekrise wohl mit dem Sparen anfangen. Dabei hätte sich eine ganz einfache Lösung angeboten: Wenn schon der Heldentenor Andreas Schager als Herr von Eisenstein aufgeboten wird, was läge näher, als seine Frau, die Geigerin Lidia Baich, einzuladen und das dann als innovativen Schritt verkaufen zu können. Wer sagt denn, dass der Überraschungsgast immer unbedingt singen muss? Eisenstein, der oft auch einem Bariton anvertraut wird, muss allerdings singen. Viel singen. Und das kann er, d e r Schager, der weltweit geschätzte österreichische Wagnersänger, der an der Staatsoper 2017 als Apollo in Daphne erst relativ spät debütiert hat. Zunächst verausgabt er sich zwar stimmlich etwas gar zu heldisch und laut, findet aber rasch in den ihn aus seinen ersten Bühnenjahren als Operettentenor bestimmt noch vertrauten Umgangston der sogenannten „heiteren Muse“ hinein. Schagers Eisenstein ist ganz der sich mit seinen Erfolgen bei der Damenwelt brüstender Frauenheld, der diesmal einer fein gestrickten Intrige auf den Leim geht und am Schluss, ziemlich düpiert, gute Laune zum bösen Spiel machen muss.
Rachel Willis-Sörensens silbrig glänzender, glockenheller Sopran und ihre Spiellaune verleihen Rosalinde, Eisensteins Gemahlin, eine einnehmende Bühnenpräsenz. In ihrem gesanglichen Prunkstück, dem Csardas im Orlofsky-Akt, zeigt sie ein verführerisches „ungorisches“ Temperament, das man ihr so nicht zutrauen würde, wenn man sie nicht schon im Vorjahr gesehen und gehört hätte.
Die Sopranistin Maria Nazarova, vor in Belcanto-Einsätzen ein hoch geschätztes Ensemblemitglied, ist das mit einer künstlerischen Karriere und dem damit verbunden sozialen Aufzug liebäugelnde Stubenmädchen im Hause Eisenstein. Adele ist die eigentlich zentrale Figur in dieser Operette, die mit allen wichtigen Personen der Handlung Kontakt hat oder aufnimmt und vor allem die Männerwelt gehörig in Aufruhr versetzt. Wie sie resolut auf eine abttägliche Äußerung ihres Hausherrn reagiert und ihn mit der herausfordernden „Mein Herr Marquis“- Arie gehörig in Verlegenheit bringt, ist ebenso gelungen wie ihre gesanglich wie auch darstellerisch überzeugende Talentprobe „Spiel ich die Unschuld vom Lande“ , mit der sie einen feinen älteren Herrn als Sponsor ihrer künstlerischen Ausbildung zu gewinnen hofft. Nur in manchen Ensemblestellen, besonders im Duett mit Rosalinde im ersten Akt, wirkt Nazarova stimmlich etwas zu verhalten. Insgesamt aber eine Leistung, die mit Recht mit Szenenapplaus gefeiert wird. Ileana Tonca ist ihre verlässliche Schwester, die Ballett-„Ratte“ Ida, und die war nicht „noch nie da“, wie Frosch es sagen würde, sondern kehrt nach dem Vorjahr zurück und zwar „wida“.
Der von Adele entschlossen angepeilte „Förderer“ ist der Gefängnisdirektor Frank. Der vielseitig einsetzbare Wolfgang Bankl bewegt sich in jeder ihm anvertrauten Rolle wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, egal ob es sich, wie hier, um einen Gefängnisdirektor, oder um den Polizeikommissar handelt, wie jüngst im Rosenkavalier. Wobei bei Erwähnung des Rosenkavaliers hinzuzufügen wäre, dass Bankl auch schon als veritabler Ochs zu bewundern war und den man in dieser Rolle gerne wieder einmal bewundern würde.
Die ebenfalls vielseitige Christina Bock, Ensemblemitglied der Dresdner Oper, hat mit ihrem farbenreichen Mezzosopran in Wien schon in mehreren Rollen, zuletzt als Magdalene in der Neuinszenierung der Meistersinger, auf ihre darstellerischen und stimmlichen Qualität aufmerksam gemacht. Hosenrollen wie Cherubino, Octavian, Nicklausse oder Siébel scheinen ihr besonders zu liegen. Kein Wunder also, dass sie sich auch als geheimnisumwitterter binärer Prinz Orlofsky bestens bewährt, der sich einer Einschätzung stets entzieht und mit den Mitmenschen seine Spielchen treibt, um gegen die lähmende Langeweile und vermutlich auch gegen Depression anzukämpfen.
Die stimmlich und darstellerisch stärkste Leistung des Abends liefert Adrian Eröd als Dr. Falke. Stets präsent und authentisch, nie outrierend und allzu dick auftragend, sondern ein Mann, der überzeugt ist, dass seine Pläne aufgehen werden, dass er am Schluss als Sieger dastehen wird. Und diesen Sieg, auf den er jahrelang hingearbeitet hat, kostet er, als er sich einstellt, nicht triumphal aus, sondern mit stiller Freude und innerer Befriedigung. Eröd war auch als Eisenstein schon gut eingesetzt, aber es scheint, dass ihn die Rolle des Dr. Falke noch besser liegt.
Daniel Jenz, Einspringer für Jörg Schneider, ist ein noch junger, tadelloser Alfred, der stets für alle Lebenslagen eine mehr oder weniger passende Tenorarie auf den Lippen hat, mit der er Rosalinde, aber auch das Gefängnispersonal zwangsbeglücken will.
Peter Simonischek. Foto: Michael Pöhn/Wiener Staatsoper
Und der Frosch? Nach rund 10 Jahren hätte Peter Simonischek als versoffener Gerichtsdiener wohl schon längst in Pension geschickt werden können. Will aber nicht und hält sich, als aufgesteirerte Ausgabe des subalternen K.uk.-Beamten, wohl für unersetzlich. Und so spukt weiterhin KHG durch seine von zu viel „Schligowitz-Konsum verursachten Delirien. Eine aktuelle und durchaus gelungene Neuerung gibt es allerdings zu vermelden: Frosch steht habtacht vor dem Bild Franz Josephs und sagt: „Ich liebe meinen Kaiser!“ Eine Stimme aus dem Off: „Kriegst eh alles, was du willst!“ Das ist zunächst lustig und löst auch Heiterkeit aus. Danach wird einem aber doch etwas bange zumute: Wenn damit auch Simonischek gemeint sein sollte sowie sein derzeitiger Chef, der Kaiser der Staatsoper, dann müssen wir uns wohl auf weitere Jahre mit ihm als Frosch einstellen. Bei der Nachmittagsvorstellung soll ja der Film- und Josefstädterschauspieler Johannes Silberschneider erstmals in dieser Rolle im Einsatz gewesen sein. Verlässlichen Quellen zufolge nicht gerade erfolgreich. Aber, für den Fall des Falles, warten gewiss schon einige Fröschinnen auf die Gunst der Stunde.
Viel und heftiger Applaus. Ganz und gar verdient.