Schlussapplaus. Foto: Helena Ludwig
WIEN/ Staatsoper: DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL. Premiere am 1210.2020
Während weltweit ganze Saisonen ausfallen, Opernhäusern zugesperrt werden und Musiker und Sänger vor dem Nichts stehen, wird in Wien die Fahne des Musiktheater hochgehalten. Die Wiener Staatsoper, der Fels in der Brandung. Unter Einhaltung aller Corona Auflagen mit einem vorbildlichen Sicherheitskonzept kann hier die höchste Kunstgattung der klassischen Musik nach wie vor zelebriert werden und das vor immerhin ca. 1500 Opernbegeisteter.
Am 12.10.2020 nun zum ersten Mal seit 20 Jahren Wolfgang Amadè Mozarts Singspiel, bei uns nur „Die Entführung“ genannt. Die 22 Jahre alte, preisgekrönte Regiearbeit vom Grand Signor Hans Neuenfels wurde unter seiner Mitarbeit neu einstudiert. Die legendäre Doppelbesetzung der Charaktere und die von ihm geschriebenen Dialoge der Sprechsequenzen sorgen für sehr heitere Momente an denen Mozart sicher seine Freude gehabt hätten. Skandalös ist das im Jahr 2020 aber nicht mehr und nur einige männliche Zuseher meinten, in kindischen und unnötigen Zwischenrufen wie „das ist nicht so geschrieben“ auffallen zu müssen.
Die Sänger/Schauspieler Zwillingspärchen waren präzise aufeinander eingestimmt und vermittelten den Eindruck einer innigen Verbundenheit. Die Buh Rufe für die Regie fielen unerwarteterweise relativ zahm aus und wurden recht bald von Bravo Rufen dominiert.
Zur Musik: wunderbar geleitet wurde die Aufführung von Antonello Manacorda der auch bei den vielen Proben so oft wie möglich dabei war. Präzise seine Einsätze für die Sängerinnen und Sänger, die Musik nie auch nur an den Rand des Kitsch führend, kräftig und zart wenn erforderlich. Der 1970 in Turin geborene Abbado Schüler war 1997 Gründungsmitglied in dessen Mahler Chamber Orchestra und dort jahrelang Konzertmeister bevor er sein Dirigierstudium begann. Der Echo Klassik Preisträger ist sowohl in Opernhäusern als auch als Konzertdirigent weltweit erfolgreich. An der Staatsoper debütierte er im März 2019 in einer Don Giovanni Serie mit Peter Mattei, die mir unvergessen ist.
Lisette Oropesa. Foto: Helena Ludwig
Die Sensation des Abends war aber das Hausdebüt von Lisette Oropesa als Konstanze. Die US-amerikanische Sopranistin mit kubanischen Wurzeln ist 1983 in New Orleans geboren, lebt vegan und ist Marathonläuferin. Seit 2005 ist sie an der Met, zuerst im Nachwuchsprogramm und seit ihrer ersten Hauptrolle 2007 als Susanna mit Erwin Schrott als Figaro ein fixer Stern am New Yorker Opernhaus.
Nun endlich ihr Debüt am ersten Haus am Ring. Vor allem die Arie „Martern aller Arten“ war unglaublich, der Szenenapplaus entsprechend und ihr Solovorhang umjubelt.
Belmonte wurde vom 1974 in Hamburg geborenen Tenor Daniel Behle gesungen. Der vielseitige Sänger und Komponist (er schrieb während der Corona bedingten Zwangspause eine Operette) debütierte an der Staatsoper 2007 als Nemorino und wurde von Opus Klassik zum Sänger des Jahres 2020 gekürt.
Die Blonde: hinreissend von Regula Mühlemann gegeben, die im Februar, kurz vor dem Corona Lockdown, hier als Adina debütierte. Die Sopranistin aus der Schweiz ist seit September beim Ensemble, was ich als grossen Gewinn sehe!
Als Pedrillo gab ein weiterer Sänger des Ensembles, der Tenor Michael Laurenz, sein Rollendebüt und konnte auch sein Schauspieltalent grandios zur Geltung bringen, indem er sein alter Ego an die Wand spielte.
Als Osmin war der kroatische Bass Goran Juric in seinem Hausdebüt zu sehen, dessen Zwilling das lustige und akrobatisch-tollpatschige Gegenstück darstellte. Toll gespielt von Andreas Grötzinger, der mit dieser Rolle schon damals in der Stuttgarter Neuenfels Entführung sein Bühnendebüt nach der Schauspielschule gab.
Die Sprechrolle des Bassa Selim, der als einziger ohne zur Seite gestellte Stütze auskommen muss, gab Christian Nickel. Der Deutsche, in Wien und Hamburg lebende Schauspieler und Regisseur, gehörte jahrelang zum Ensemble des Burgtheaters und der Josefstadt und unterrichtet auch am Max Reinhardt Seminar. Eine sehr eindrucksvolle Erscheinung auf der Bühne, gab er seiner Rolle viel Tiefe und glaubwürdige Verzweiflung, Wut und Güte.
Wir dürfen uns auf weitere Vorstellungen am 16., 20., 23. Und 26. Oktober freuen. Toitoitoi!
Helena Ludwig