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WIEN / Staatsoper: DIALOGUES DES CARMÉLITES

Packende Aufführung einer Märtyrergeschichte aus der Französischen Revolution

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Bernard Richter (Le Chevalier) und Nicole Car (Blanche). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LES DIALOGUES DES CARMÉLITES

6. Aufführung in dieser Inszenierung

28. Jänner 2024

Von Manfred A. Schmid

Francis Poulencs Märtyrerdrama, in dem die Nonnen eines Karmeliterklosters der Reihe nach zum Schafott schreiten, weil sie sich geweigert hatten, ihrem Gelübde untreu zu werden, geht nach der Premiere vor gut einem Jahr in die zweite Aufführungsrunde. Wiederum ist von einem beeindruckenden, packenden, aufwühlenden Opernabend zu berichten, der musikalisch tatsächlich unter die Haut geht. Das ist zum einen dem Genie des Komponisten zu verdanken, der mit Dialogues des Carmélites ein Werk geschaffen hat, das – neben den Opern Benjamin Brittens – zu den meist gespielten Opern der Nachkriegszeit zählt. Sein eigenständiger, die Tonalität nie verlassender Kompositionsstil, mit Zügen einer effektvollen, aber nie vordergründig plakativen Filmmusik, kommentiert und unterstreicht das Geschehen auf der Bühne und sorgt so für latente Spannung, obwohl bis zum blutigen, vor allem musikalisch vermittelten Finale wenig geschieht und eigentlich nur über Fragen religiöser Verpflichtung und Verantwortung in schweren Zeiten geredet wird.

Die Nonnen sehen im gemeinsamen Gebet ihre wichtigste Aufgabe, geben einander Halt und werden von erfahrenen, strengen und doch einfühlsamen Oberinnen geleitet. Keine Spur jedenfalls von Frömmelei, sondern eine Gemeinschaft, die angesichts der drohenden Vernichtung zwar tiefe Zweifel und philosophische wie auch theologische Fragen erörtert, dann aber geeint und gefestigt dem Opfertod entgegengehen wird. Nur eine Novizin, eine Adelige namens Blanche de la Force, die sich als Nonne für den Namen Blanche von der Todesangst Christi entschieden hat, wird, konfrontiert mit der reellen Todesangst, unsicher und verlässt die Gemeinschaft. Die Schwester Oberin, mit dem Namen Mutter Maria von der Menschwerdung, sucht sie auf und will sie – erfolglos – zur Rückkehr bewegen. Als Blanche erfährt, dass der Tage der Hinrichtung angebrochen ist, macht sie sich auf den Weg zum Schauplatz. Die Schwestern beginnen gemeinsam zu singen, dann werden sie eine nach der anderen hingerichtet. Als sie sieht, dass die junge Nonne Constance, mit der sie sich befreundet hat und die sich gewünscht hatte, dass Blanche von der Vernichtung verschont bleiben sollte, als letzte an die Reihe kommt, sollte sich Blanche – so steht es jedenfalls im Libretto – durch die Menschenmenge zu ihr eilen und gemeinsam mit ihr in den Tod gehen. In Magdalena Fuchsbergers ansonsten nicht sehr einfallsreicher Inszenierung bleibt sie einfach unten stehen und fällt um. Kann man machen, ist aber dramaturgisch eher schwach und nimmt der Schlussszene ihre erschütternde Wirkung. Dafür lässt die Regisseurin zuvor schwarze, gehörnte Gesellen als Vertreter des Bösen auftreten und einen tanzenden, futuristisch gekleideten weißen Engel mit Schwert. Und, ach ja, es gibt dann auch noch den Auftritt des kleinen Sohnes des bereits hingerichteten Königs Ludwig XVI., der eingeschüchtert am Rand sitzt und dann, mit einem Krönchen auf dem Haupt, zur Guillotine eilt. So ist es, wenn jemand ratlos sein Regietheaterfäustchen ballt.

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Michaela Schuster (Madame de Croissy)

Die geniale Partitur, entstanden in großer seelischer Zerrüttung des Komponisten, der mehrere Schicksalsschläge erfahren musste, darunter den Tod seines Lebensgefährten, ist das eine. Sie muss aber erst umgesetzt werden. Da gibt es kaum eine bessere Besetzung als Bertrand de Billy, der schon die Premiere bestens geleitet und Jahre zuvor bereits im Theater an der Wien eine regielich und vor allem auch bühnenbildlich überzeugendere Neuproduktion der Dialogues des Carmélites musikalisch zum Triumph geführt hat. De Billy weiß, dass diese Oper vor allem ein von Frauen getragenes Ensemblestück ist, legt aber Wert darauf, dass man es hier mit ganz eigenen Charakteren zu tun hat. Jede der Nonnen ist von Poulenc mit Individualität und Menschlichkeit ausgestattet, allen gemeinsam ist Ruhe und Vertrauen, am Schluss wohl auch Mut und Tapferkeit. Besonders gelungen sind die dramatischen Zuspitzungen der Handlung, Billy ist aber auch darauf bedacht, die Tiefe der Gespräche und die dahinterstehenden Haltungen sorgsam herauszuarbeiten. Höhepunkt ist das von den Nonnen mit Zuversicht gesungene „Salve Regina“. Erschütternd, wie der Gesang immer dünner wird, wenn eine Stimme nach der anderen verstummt, wenn sie von der Guillotine zum Schweigen gebracht wird. Das verfehlt seine Wirkung nicht, auch wenn die szenische Umsetzung, wie bereits erwähnt, leider zu wünschen übrig lässt.

Mit der australischen Sängerin Nicole Car, die schon die Premierenbesetzung der Blanche war und an der Staatsoper auch als Tatjana in Eugen Onegin für Aufsehen und aufmerksames Hinhören gesorgt hat, steht eine darstellerisch wie auch stimmlich ausgezeichnete Sopranistin im Mittelpunkt. Die Borderline-Symptome vor dem Eintritt in das Kloster sind in der Szene mit Blanches Vater fein angedeutet. Es besteht kein Zweifel, dass sie der Welt und den Erwartungen ihres Vaters und ihres Bruders entfliehen will. Als Nonne nimmt sie, in ihren Gesprächen mit Madame de Croissy, nach und nach an Profil und Selbstsicherheit zu. So richtig zu sich findet sie allerdings erst in der letzten Minute, als sie sich dazu entschließt, aus freien Stücken den Weg zum Schafott zu gehen.

Erschütternd und bewundernswert zugleich ist Michaela Schuster als Madame de Croissy, die langjährige gefürchtete wie auch hochgeschätzte Mutter Oberin des Konvents. Als Blanche bei ihr vorstellig wird und ihren Namen als Nonne bekanntgibt, wird sie selbst ihrer akuten Tondesangst erst so richtig bewusst. Die Todesszene mit ihren körperlichen und seelischen Nöten wird von der als Sängerin und Darstellerin bekannten deutschen Mezzosopranistin, zuletzt in Trittico als Zia Principessa in Sour Angelicai n bester Erinnerung, gestaltet sie großartig, ergänzt durch und mit einer intensiven und fesselnden gesanglichen Leistung.

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Sabine Devieilhe (Soer Constance)

Sabine Devieilhe ist bei ihrem Rollendebüt eine schwatzhafte, etwas flatterhafte und dennoch sympathische Novizin Constance. Mit einem anmutigen, klaren Sopran ist sie der bunte Vogel, der im Kloster herumschwirrt. Ihre Beziehung zu Blanche, die erst am Schluss, als sie sie erspäht, wie sie sich dem Zug der Totgeweihten nähert, voll aufblüht, wird in dieser Inszenierung allerdings nicht so richtig herausgearbeitet. Schade.

In der Reihe der stimmstarken Besetzung der Nonnen sticht mit Maria Motolygina als Madame Lidoine, Nachfolgerin von Madame de Croissy, eine weitere herausragender Sängerin hervor. Sie verkörpert Ruhe und Wärme in einer Zeit höchster Bedrängnis. Gute Voraussetzungen dafür, die Nonnenschar zu führen und zur Opferhaltung zu bringen.

Julie Boulianne ist eine empfindsame, empathische Mère Marie, die nach außen hin eine flammende Vertreterin des Märtyrertums ist, im Inneren aber durchaus auch von Zweifeln und Angst erfüllt. Dass sie bei der Nachfolge von Madame de Croissy übergangen wurde, hat sie verunsichert. Es fällt ihr zunehmend schwer, das Gehorsamsgelübde zu befolgen. Höchst aufschlussreich ihre Begegnung mit dem Priester.

In der von Nonnen dominierten Handlung gibt es auch einige Männerstimmen. Der Bariton Michael Kraus, Leiter des Opernstudios, ist als Le Marquis de la Force ein stimmstarker, bedächtiger Vater von Blanche, der sie weiterhin bevormunden will und von einer baldigen Hochzeit die Lösung ihrer nervlichen Anspannung erhofft. Bernard Richter als Le Chevalier ist Blanches Bruder, der sie unbedingt retten will. Die Szene mit ihm im Kloster könnte fast von Puccini sein und ist das Opernhafteste im traditionellen Sinn und gibt ihm Gelegenheit, seinen hellen, ansprechenden Tenor erklingen zu lassen. Thomas Ebenstein ist ein Beichtvater, der am Schluss eher sein Heil in der Flucht suchen wird, als den Gang zur Guillotine in Kauf zu nehmen, Insofern ist es kein Schaden, dass man dem Tenor aus dem Staatsopernensemble den Priester nicht so recht abnehmen will.

 Ebenfalls aus dem Ensemble stammt Szilvia Vöros als Mère Jeanne. Daria Sushkova aus dem Opernstudio ist Soere Mathilde. Beide verleihen ihren Figuren ein persönliches Profil.

Die Sängerinnen und Sänger werden beim üblicherweise eher kurzen Schlussapplaus ebenso wie Bertrand de Billy und der Chor begeistert gefeiert. Erschütterung und Ergriffenheit  ist den Applaudierenden im nicht ausverkauften Haus aber durchaus noch anzusehen.

 

 

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