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WIEN / Staatsoper: DIALOGUES DES CARMÉLITES

Inszenatorisch weit hinter den Erwartungen geblieben

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Die Holzbühne von Monika BIegler. Foto: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Premiere DIALOGUES DES CARMÉLITES

21. Mai 2023 (Premiere)

Von Manfred A. Schmid

Den historischen Hintergrund von Francis Poulencs Oper Dialogues des Carmélites, die nach 60 Jahren erstmals wieder an der Staatsoper aufgeführt wird, liefert die Französische Revolution. Die darin erzählte Geschichte von der Guillotinierung von sechzehn Nonnen aus einem Convent nahe Paris, die sich geweigert hatten, ihrem Glauben und ihren Gelübden abzuschwören, ist ebenfalls historisch verbürgt und wurde von Gertrud von Le Fort in ihrer Novelle Die Letzte am Schafott literarisch eingefangen. Über den Umweg eines nie realisierten Filmdrehbuchs machte Georges Bernanos daraus ein Bühnenstück, das Poulenc als Ausgangspunkt für sein Librettos diente. Entgegen der Anordnung des Komponisten, dass Aufführungen seines Meisterwerks in der jeweiligen Landessprache stattfinden sollten, wird an der Wiener Staatsoper französisch gesungen. Chefdramaturg Morabito wird wissen, warum. Die naheliegende Begründung, weil man das immer so macht, sollte für einen Mann, der alles immer anders macht, wohl kaum genügen.

Der Titel der Oper verweist schon darauf, dass es wenig Handlung, dafür aber umso mehr Worte gibt, in denen die von politischen Entwicklungen bis vor die Klostermauern bedrängten Ordensfrauen Fragen ihres religiösen Bekenntnisses und ihrer Lebensentscheidung erörtern, aber auch ihren wachsenden existenziellen Ängsten und theologischen Zweifeln Ausdruck verleihen. Alles mündet letztendlich in der Stunde, in der die Nonnen, beklemmend, berührend und großartig zugleich, das „Salve Regina“ singen, das immer dünner klingt, weil eine nach der anderen zur Hinrichtung schreitet. Man sieht die Hinrichtungen nicht, aber man hört sie, denn Poulenc hat das eindringlich-beunruhigende Heruntersausen der Guillotine in seine Partitur eingearbeitet.

Es geht also um Opfer und Märtyrertum. Sich damit auseinanderzusetzen, ist heutzutage gar nicht so einfach. „Du bist ein Opfer!“ ist bei Kindern und Jugendlichen nur noch eine üble Diffamierung, und bei Märtyrern denken viele an Selbstmordattentäter, die sich in die Luft sprengen, möglichst viele in dem Tod mitnehmen und dann als Helden gefeiert werden. Die Regisseurin Magdalena Fuchsberger nimmt das zum Anlass, die Nonnen als Glaubenskriegerinnen zu interpretieren, die sich immer mehr radikalisieren. So ihre Deutung unlängst in einem Interview mit der Wiener Zeitung. Um diese überraschende Interpretation auch glaubwürdig oder wenigstens diskussionswürdig auf der Bühne umzusetzen, dazu fehlen ihr offensichtlich sowohl das dafür erforderliche dramaturgische Konzept wie auch die geeigneten inszenatorischen Mittel. Es reicht gerade noch dazu, zwei „Schiachperchten“ im zottig-schwarzen Fell und mit Hörnern einzuschleusen, wie sie sie in ihrer Salzburger Jugendzeit vermutlich kennengelernt hat. Sie sollen wohl die die Dämonen, von denen vor allem die Novizin Blanche de la Force, später „Schwester Blanche von der Todesangst Christi“ genannt, heimgesucht wird, verkörpern. In simpler Schwarz-Weiß-Manier gibt es dann auch noch eine engelhaft-weiße Tänzerin mit Flügeln am Kopf (oder sind das doch Anspielungen an die Hasenohren der von ihrem Vater zu Hause gerne „Häsin“ genannten Blanche?). Dieser tanzende Engel (Sofiia Stepura) macht Äerobic-Übungen, schwingt dabei stets ein Schwert in die Luft (Choreographie Christian Herden) und ist wohl das kümmerlich Wenige, was der Regisseurin zum von ihr lauthals hinausposaunten Thema „radikalisierte Glaubenskriegerin“ eingefallen ist: An einem Arme schimmertdas Bruchstück einer Rüstung.

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Michaela Schuster (Madame de Croissy) und Nicole Car (Blanche). Foto; Wiener Statsoper / Michael Pöhn

Ansonsten ist die Inszenierung eher brav und langweilig. Die Personenführung geht gerade noch, verliert sich aber oft in der grotesk-aufwändig aus Holzlatten und zusammengebauten Dreh-Bühne von Monika Biegler, mit zahlreichen Nischen und Ebenen, die nur einen einzigen Vorteil hat: Der Schauplatz der jeweiligen Handlung ist in der Bühnenmitte, wenen auch von einem Gewirr von Stäben verdeckt, vorzufinden. Die Kostüme von Valentin Köhler machen einen willkürlichen Eindruck und überzeugen nicht. Die üppigen Heiligenscheine auf den Köpfen der Nonnen beim „Salve Regina“ sind rätselhaft. Sollen sie die Trägerinnen lächerlich machen und verspotten? Auf einem Oktogon über der Spitze der verwirrenden hölzernen Konstruktion werden in Einem fort biblische Szenen und Heiligenporträts projiziert (Video Aaron King). Eine unnütze Fleißaufgabe, denn man ist kaum in der Lage, dieser Bilderflut zu folgen, geschweige denn sie zu deuten. Immerhin ergeben gelegentliche Stichproben: Wenn vom Tod die Rede ist, sieht man einen Totenkopf eingeblendet, bei Blumen ein Blumenstrauß. Gegen Schluss hin Robbespierre. Sehr originell.

Zum Glück ist die musikalische Seite der Wiener Neuproduktion äußerst gut gelungen. Das liegt vor allem an Bertrand de Billy, der in aller Welt geradezu als Spezialist für die 1957 uraufgeführte Oper gilt und auch bei der Premiere der unvergessenen und diesmal gewiss von vielen Besucherinnen und Besuchern herbeigesehnten Inszenierung von Robert Carsen, 2008 im Theater an der Wien, bereits als Dirigent dabei war. Die Oper, die ohne Arien komponiert und subtil instrumentiert ist, wird von Bertrand de Billy mit angemessenem Ernst zum Klingen gebracht, ohne je pathetisch zu werden. Hier wird kein Bühnenweihspiel zelebriert, sondern es geht stets um lebensnahe Konstellationen, echte Gefühle und die Artikulation brandheißer, beklemmender Gedanken und Fragen.

Nicole Car ist eine glaubhafte Schwester Blanche, verängstigt und zweifelnd, aber auch selbstgerecht. Wie sie in letzter Minute sich doch noch besinnt, der vermeintlichen Sicherheit entflieht, sich den Nonnen anschließt, und als letzte in den Tod geht, nimmt man ihr ebenso ab der Mère Marie von Eve-Maud Hubeaux den Entschluss, daran nicht teilzunehmen und keine Märtyrerin zu werden.

 Maria Nazarovas Soeur Constance bezaubert als frohgemute, sonnige, herrlich naive und doch gottergebene junge Novizin, die sich mit der furchtsamen, alles hinterfragenden  Blanche gerade wegen ihrer so verschiedenen Charaktere so gut versteht. Michaela Schuster imponiert als erfahrene Priorin Madame de Croissy, die Blanche in den Orden aufnimmt, weil sie in ihr eine verwandte Natur zu erkennen vermeint. Wie sie im Totenbett mit dem Unvermeidlichen hadert und sich nicht hingebungsvoll aufgibt, berührt ungemein.

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Maria Motolygina verkörpert als Madame Lidoine eine Ordensschwester, die an Statur und Autorität gewinnt, nachdem Mère Marie sich aus ihrer Verantwortung verabschiedet hat, und sie die Leitung der Kongregation in schwerster Stunde übernimmt und bis zum Ende behutsam und vorbildlich, aber auch energisch ausführt. Starke Auftritte als Nonnen haben auch Ensemblestütze Monika Bohinec als Mère Jeanne und Alma Neuhaus aus dem Opernstudio als Soeur Mathilde.

In Dialogues des Carmélites stehen die Frauen im Mittelpunkt. Es gibt aber auch wichtige Männerrollen, die bis auf den Chevalier de la Force, Bruder von Blanche, der mit dem Tenor Bernhard Richter besetzt ist und seiner Schwester dominierend verbunden ist, von Kräften aus dem Haus gestaltet werden, Thomas Ebenstein ist der sorgende und besorgte Beichtvater, der mit seiner warmen, klaren Tenorstimme feinfühlig auf Ausnahmesituation der Nonnen reagiert und auf sie beruhigend einwirkt, ohne die Gefährlichkeit zu vernachlässigen.

Auf der Seite der Revolutionäre treten Andrea Giovannini und Jusung Gabriel Park als Erster und Zweiter Kommissar einschüchternd in Erscheinung, zu nennen sind weiters Jack Lee und Clemens Unterreiner als Offizier, respektive Kerkermeister, sowie der Kurzauftritt von Iris Karabaczek, Sylvie Jubin und Christian Lenoble als Stimmen aus dem Volk, die über ihre prekäre Lage klagen.  

Johannes Gries, als Ludwig XVII. der noch kindliche Sohn des von der Revolutionären bereits hingerichteten Königs, ist eine weitere redundante Zuerfindung der ansonsten ziemlich ideenlosen und überforderten Regisseurin.

Viel und langer Applaus und Bravorufe. Man möchte gerne meinen, dass der Jubel dem Orchester, dem hervorragenden Chor, den Sängerinnen und Sängern auf der Bühne und dem musikalischen Leiter der Aufführung, dem grandiosen Bertrand de Billy, gilt, sowie dem einzigartigen Werk Francis Poulencs, das eine stimmigere Neuproduktion verdient hätte.

 

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