WIEN / Staatsoper: „DER ROSENKAVALIER“ – 10.04.2022
Die durch krankheitsbedingte Umbesetzungen verursachten chaotischen Zustände der Wiederaufnahme von Otto Schenks genialer „Rosenkavalier“-Inszenierung blieben der zweiten Vorstellung dieser Aufführungsserie erspart, obwohl man auch an diesem Abend nicht ganz ohne Umbesetzungen auskam.
„Die verhinderte Morgengabe“: Marcus Pelz und Günther Groissböck. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Im Mittelpunkt stand Günther Groissböck als großartiger Ochs. Lange hat es gedauert, bis er in Wien seine Paradepartie singen durfte. Sein Rollendebüt hat er bereits 2014 bei den Salzburger Festspielen gegeben, Nachdem er dort auch im Sommer 2015 seinen Erfolg wiederholen konnte, sang er den Ochs 2016 an der Mailänder Scala und an der Bayerischen Staatsoper München, 2017 und 2019 an der Metropolitan Opera in New York und 2020 an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Erst am 18. Dezember 2020 sang er erstmals diese Partie an der Wiener Staatsoper (Corona-bedingt nur in einer gestreamten Vorstellung ohne Publikum). Aber nun darf das Wiener Publikum endlich seinen fulminanten Ochs live erleben. Stimmlich schöpft er aus dem Vollen, mit eleganten Höhen und satten Tiefen. Die Stimme klingt rund und samtig und strömt in allen Lagen gleichmäßig gut. Er beeindruckt jedoch nicht nur stimmlich. Die Kombination seiner stimmlichen Leistung gepaart mit der wortdeutlichen Textgestaltung, wobei natürlich sein wienerisches Idiom von Vorteil ist, und der nuancierten Darstellung macht seinen Ochs zum Ereignis. Er legt die Partie nicht als dicken, alternden Ungustl an, ganz im Gegenteil, er stellt einen noch recht jungen, eleganten Landadeligen mit spitzbübischer Naivität dar, der humorvoll und frech ist. Jede Pointe sitzt, ohne dass er dabei polternd auftritt. Groissböck dürfte damit derzeit wohl weltweit in dieser Partie ohne ernsthafte Konkurrenz sein.
Maria Bengtsson (Marschallin). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn.
Maria Bengtsson sang erstmals im Haus am Ring die Marschallin. Darstellerisch überzeugte sie, elegant gelang es ihr die Wandlung von der Verliebten zu der Verzichtenden glaubhaft zu machen. Sie besitzt eine schöne, samtweiche Sopranstimme und singt mit natürlichem Ausdruck und instrumentaler Stimmführung. Aber die Stimme klang im ersten Akt zu leise. Lag es an einer gerade erst überwundenen Erkrankung oder ist ihre Stimme einfach zu klein für die Staatsoper? Leider nahm der Dirigent darauf keine Rücksicht und deckte sie über weite Strecken gnadenlos zu. Erst im großen Monolog schien sie mehr aus sich herausgehen zu wollen bzw. zu können, der dritte Akt gelang ihr dann sehr schön.
„Überreichung der silbernen Rose“. Louise Alder (Sophie), Christina Bock (Octavian). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Ähnlich erging es dem Octavian. Auch Christina Bock sang krankheitsbedingt erst in dieser Vorstellung erstmals in Wien den Rosenkavalier. Großgewachsen und schlank mit burschikosem Auftreten ist sie szenisch ideal für diese Partie. Aber auch ihre Stimme klang im ersten Akt zu klein, sie steigerte sich dann aber im Verlauf des Abends. Sehr schön gelang ihr die Rosenüberreichung im 2. Akt. Erfreulicherweise nicht outrierend gestaltet sie das Mariandl, wunderschön gelangen dann das Terzett und das Schlussduett im 3. Akt.
Wie bereits vor einem Jahr war Louise Alder mit ihrem leuchtkräftigem Sopran, der aber auch zu zart schwebenden Pianissimi fähig ist, eine entzückende Sophie. Adrian Eröd ist ein eleganter, wortdeutlicher Faninal.
Für den erkrankten Josh Lovell sprang als italienischer Sänger Norbert Ernst ein. Der Wiener Tenor war 2010 – 2017 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper. Seither ist er freischaffend tätig und erarbeitet sich langsam das hochdramatische Fach. Soeben hat er in Wuppertal sein Debüt als Tannhäuser gegeben. Dennoch hat sich Norbert Ernst die Flexibilität erhalten um den enormen Ansprüchen, die Richard Strauss an den Tenor in der Partie des Sängers gestellt hat, gerecht zu werden.
Thomas Ebenstein war ein ausgezeichneter Valzacchi, Stephanie Maitland aus dem Opernstudio hinterließ als Annina (statt der noch immer erkrankten Monika Bohinec) mit ihrem warm timbrierten Alt einen positiven Eindruck, auch wenn die Stimme noch nicht sehr groß ist. Auch von den weiteren Partien waren einige sehr gut besetzt (Jörg Schneider als Wirt, Wolfgang Bankl als Polizeikommissar, Angelo Pollak als Haushofmeister bei Faninal, Marcus Pelz als Notar).
Philippe Jordan versteht es dem Orchester der Wiener Staatsoper einen luxuriösen, farbenreichen und üppigen Wohlklang zu entlocken. Leider erweist er sich nicht als einfühlsamer Sängerdirigent. Wenn er das Orchester Forte und Fortissimo spielen lässt, hört man von einigen Sängern (vor allem im ersten Akt) kaum noch einen Ton (zumindest auf der Galerie). So eindrucksvoll auch ein Klangrausch sein mag, aber dann muss man die entsprechenden Sänger dafür engagieren – oder man nimmt als Dirigent Rücksicht auf Sänger mit kleineren Stimmen.
Walter Nowotny