WIEN / Staatsoper: DER ROSENKAVALIER
369. Aufführung in dieser Inszenierung
21. März 2024
Von Manfred A. Schmid
Über Otto Schenks ungemein bühnentauglicher, sich an die spätbarocke Handlung vortrefflich anschmiegende Inszenierung wurde schon alles gesagt. In München hat man, vor nicht allzu langer Zeit, eine weitgehend ähnliche Rosenkavalier-Inszenierung aus denselben kundigen Händen durch eine turbulent verkasperlte von Barrie Kosky ersetzt. Bei dem hohen Stellenwert, den der australische Tausendsassa weltweit und auch in Wien genießt, wo er eben mit Cosi fan tutte an der Vollendung seines Mozart-Da-Ponte-Zyklus arbeitet, wird das, über kurz oder lang, wohl auch der Staatsoper nicht erspart bleiben. Darum sollte man, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dieses zauberhafte Ambiente genießen, das der prächtigen Musik von Richard Strauss und dem kongenialen Libretto von Hugo von Hofmannsthal den entsprechenden Raum zur Entfaltung bietet. Dann bedarf es „nur“ noch eines kompetenten, einfühlsamen musikalischen Leiters und eines exzellenten Ensembles, damit diese „Komödie für Musik“ wieder einmal den zuweilen doch ziemlich verhangenen Opernhimmel strahlend hell erleuchten kann.
Diese Voraussetzungen sind bei der eben anlaufenden Aufführungsserie, die gleich mit einigen gelungenen Debüts aufwarten kann, weitgehend erfüllt. Axel Kober ist ein erfahrener Dirigent, mehr gediegener Kapellmeister als Maestro (von denen es ohnehin schon zuviele gibt), der am Pult des philharmonischen Staatsopernorchesters neben der gleißenden, überschwänglichen Musik auch die einzigartige Atmosphäre diese Komödie mit instrumentaler Brillanz einfangen kann. Das beginnt schon mit dem erregten, in einem Orgasmus kulminierenden Vorspiel und setzt sich dann, mit vielen witzigen Einfällen gespickt und fein differenziert in Dynamik und Ausdruck, weiter fort. Ganz gleich, ob es auf der Bühne gerade turbulent bis chaotisch zugeht, was in allen drei Akten oft genug der Fall ist, oder ob es sich um zarteste Gefühlsanbahnungen handelt, Kober findet immer den richtigen Tonfall und die entsprechende Tonstärke. Da kann es manchmal auch recht explosiv und laut werden, ohne aber die Sängerinnen und Sänger auf der Bühne jemals zu überdecken.
Höchst eindrucksvoll sind die Gesangsleistungen, unter denen besonders die neuen Besetzungen positiv überraschen und dafür sorgen, dass das schon so oft und gern Gesehene und Gehörte doch noch einige Überraschungen parat hat. Julia Kleiter als Feldmarschallin ist die bisher wohl jüngste Sängerin in dieser Rolle, kommt damit aber den Vorstellungen Hofmannsthals sehr nahe. Gerade weil es ihr gelingt, ihrer Jugendlichkeit zum Trotz, selbstbewusst und standesbewusst aufzutreten, kann sie sich von ihrem viel jüngeren und unerfahrenen Geliebten Octavian, laut Libretto erst siebzehnjährig, deutlich abheben. Stimmtechnisch perfekt, erfüllt Kleiter bei ihrem Hausdebüt mit ihrem wunderschönen Sopran die Strauss‘schen Gesangslinien mit hoher Anmut. Jeder Ton gelingt und hat Gewicht, ist aber ohne jedwede Schwere. Und so nimmt man ihr auch den fein und nachdenklich dargebrachten Monolog über die unerbittlich vergängliche Zeit gerne ab. Diese Marschallin weiß, dass sie es ihrem Stand und ihrer Stellung schuldig ist, auch in extremsten Situationen und Herausforderungen Haltung zu bewahren und gelassen zu bleiben. Grandios, wie sie den turbulenten Morgen nach der Liebesnacht mit all den hektischen, turbulenten Besuchen und Prozeduren mit Charme und Witz übersteht, und dann auch den polternden Auftritt ihres fernen Verwandten, Baron Ochs auf Lerchenau, mit Nachsicht erträgt. In der innigen, verspielten Liebe zum blutjungen Graf Rofrano scheint sie, die sehr jung mit einem älteren Herrn verheiratet worden war, sich vielleicht ein Stück ihrer früh verlorenen, unbeschwerten Jugend zurückzuholen. Berührend auch ihr – lange zuvor angekündigter – Verzicht auf Octavian, der sich im finalen Terzett vollzieht und in dem sie Größe und Stärke beweist. Ein Höhepunkt des Abends: Die Glückseligkeit des Paares Octavian-Sophie und die entsagungsvolle Marschallin, die ihrem jungen Glück nicht im Wege stehen will und das absehbare Ende der außerehelichen Beziehung ohne viel Aufhebens besiegelt. So berührend, herzerwärmend hat man es kaum je erlebt.
Auch Christof Fischesser ist ein ungewöhnlich junger Ochs. Polternd und ungehobelt wie gewohnt, aber noch sehr vital, angriffslustig und angriffig. Das eigentliche Objekt seiner Begierde – die zarte, unschuldsvolle Sophie – bekommt er zwar nicht, aber er wird daraus keine Lehre ziehen, wie das vermutlich ältere Ochse getan hätten, und wird damit dem Opernklischee der heiratswilligen alten Herren à la Doktor Bartolo und Don Pasquale nicht entsprechen. Dieser Ochs wird den gescheiterten Versuch einfach abhaken, sich umgehend wieder auf Freiersfüßen nach einem neuen Opfer zur Sanierung seiner Finanzen umsehen und bis dahin zur Sanierung seines Hormonhaushalts der nächstbesten Dienstmagd nachstellen. Fischesser singt sein Rollendebüt kraftvoll und bewährt sich auch als Komödiant. Wienerisch zu sprechen, gelingt dem aus Bayern stammenden Bayern überraschend gut. Versiert im fließenden Parlando, hat er – bis auf den ersten Akt – kein Problem mit dem tiefen D, auch wenn man das wohl schon deutlicher vernommen hat.
Große Freude bereitet das Liebespaar. Christina Bock ist als Octavian in Wien schon bekannt und punktet mit ihrem klaren Mezzosopran und ihrer emotional geprägten Gestaltung der Hosenrolle. Slavka Zamecnikova ist eine berührende, auf den von ihrem Vater ausgewählten Bräutigam mit Spannung und Unruhe wartende junge Frau, deren Träume und Hoffnungen aber schon beim ersten Aufeinandertreffen gnadenlos zerplatzen. Der ihr schon zuvor beim Überreichen der Silbernen Rose auffallende junge Galan Octavian wird zu ihrem Retter in der Not und zum ersehnten Bräutigam. Gesanglich und darstellerisch ganz große Klasse.
Große Klasse, geradezu ein Luxus, ist auch die Besetzung ihres Vaters mit dem noblen Bariton Adrian Eröd, der als neureicher Herr von Faninal hohe Ambitionen verfolgt und zu deren Erreichung auch seine Tochter einsetzt. Als seine Pläne ins Wanken geraten, fällt er kurz in den Sprachgebrauch der „Laamgruabm“, seiner ursprünglichen gesellschaftlichen Herkunft, zurück.
Gute Leistungen erbringt auch das umtriebige Intrigantenpaar Monika Bohinec (Annina) und Norbert Ernst bei seinem Rollendebüt als Valzacchi, Regine Hangler als gestrenge Leitmetzerin sowie Wolfgang Bankl als Polizeikommissar, aber auch Jörg Schneider als Wirt. Letzteren hätte man gestrost auch als Sänger einsetzen können, denn Angel Romeros Auftritt ist die einzige Enttäuschung des Abends, während alle anderen Nebenrollen mehr als rollendeckend in Erscheinung treten. Höchst erfreulich etwa die Rollendebüts von Lukas Schmidt (Haushofmeister bei Faninal) und Daria Kolisan (Modistin), beide aus dem Opernstudio kommend.
Ein überraschungsreicher Opernabend, der aus dem Repertoirealltag hervorsticht. Der Mohr heißt jetzt nicht mehr Mohr, sondern Kleiner Mohammed (Clara Keil) und ist auch nicht mehr schwarz geschminkt, was der politischen Korrektheit entspricht. Aber er serviert der Marschallin am frühen Morgen das Frühstück ans Bett und muss dann später die Schatulle mit der Silberne Rose zu Octavian tragen. Das ist Kinderarbeit und widerstößt der Schulpflicht. Wenn schon politische Korrektheit, dann bitte ausnahmslos. Trotzdem: Verdienter, starker, nach viereinviertel Stunden erwartungsgemäß die üblichen fünf Minuten nicht übersteigender, aber ehrlicher, begeisterter, hingerissener Applaus.