WIEN / Staatsoper: DER ROSENKAVALIER
389. Aufführung in dieser Inszenierung
7. April 2022
Von Manfred A. Schmid
Fix ist nix, besonders in Zeiten wie diesen. Das Besetzungsbüro der Wiener Staatsoper war beim Start der aktuellen Rosenkavalier-Aufführungsserie jedenfalls bis zur letzten Minute – und sogar noch darüber hinaus – gefordert, um einen letztlich doch noch recht gelungenen Opernabend zu ermöglichen. Denn als Direktor Roscic vor dem Vorhang die vorläufig letzten Umbesetzungen bekannt gibt, deutet er an, dass es im weiteren Verlauf noch zum Einsatz einer weiteren Einspringerin kommen könnte. Nach der Pause ist es dann so weit. Ulrike Helzel kann als Annina nicht mehr weitermachen und muss durch Stephanie Maitland, eine erfreulich gute Hausbesetzung aus dem Opernstudio, ersetzt werden. Dass eine Aufführung unter diesen Bedingungen überhaupt durchführbar ist. grenzt an ein Wunder. Der Mut und die Improvisationskunst aller Mitwirkenden kann nicht hoch genug geschätzt werden. All das muss in eine gerechte Beurteilung einfließen.
Eine große und positive Überraschung in der bewährten Inszenierung von Otto Schenk aus dem Jahr 1968 ist Johanni van Oostrum, die in Österreich bisher vor allem als Salome sowie als Grete in Franz Schrekers Der ferne Klang – beides an der Oper Graz – in Erinnerung ist und nun an Stelle von Maria Bengtsson als Marschallin ihr Hausdebüt an der Staatsoper feiert. Die südafrikanische Sängerin, die in dieser Partie schon am Moskauer Bolschoi, in Amsterdam, Stockholm und an die Komische Oper in Berlin aufgetreten ist, verfügt über einen hellen, silbrigen Sopran und verleiht der Marschallin eine nachdenkliche, von feiner Melancholie geprägte Aura. Wunderschön und berührend ihre entsagende Geste im Terzett mit Octavian und Sophie „Hab mir‘s gelobt ihn lieb zu haben“. Eine innige Beschwörung der weisen Kunst des Los-Lassens.
Auch der Octavian erfährt eine Umbesetzung. Michèle Losier kann ihren schlank geführten warmen Mezzosopran, der eine leicht metallische Note hat, ausdrucksstark einsetzen und gibt der Hosenrolle einen glaubwürdigen, sinnlichen Charakter. Herrlich komisch gelingt ihr bei ihrem Wiener Rollendebüt auch der Auftritt als naives Mariandel, das es faustdick hinter den Ohren hat. Ein bisschen verloren wirkt ihr Octavian im 2. Akt, wo sie sich gegenüber dem polternden und schwadronierenden Ochs, der zunehmend selbstbewusster werdenden Sophie und der resoluten Leitmetzerin (prächtig Regine Hangler) stimmlich nicht so recht durchsetzen kann. Großartig gelingt Michèle Losier dafür das Schlussduett „Ist ein Traum“ mit Sophie. Was für ein seelen- und liebevolles Finale! Und doch auch hier spürbar: der Hauch von Bitterzart, der die ganze Oper durchweht.
Louise Alder als Sophie ist dem Wiener Stammpublikum schon seit 2019 bekannt. Ein leuchtender, klarer Sopran, der sich auch im feinsten Pianissimo in lichte Höhen emporschwingen kann. Wunderbar ihre Wandlung, wie sie von der Idee zu heiraten, egal wen, durch das ungebührliche Benehmen ihres ausersehenen Bräutigams ernüchtert und angewidert, sich allmählich gegenüber Octavian, dem Überbringer der silbernen Rose, zu öffnen beginnt. Eine junge Frau – eigentlich ein blutjunges Mädchen von fünfzehn Jahren – die sich aus der Bevormundung durch ihren Vater zu lösen beginnt.
Die Rolle des Barons auf Freiersfüßen, mit einer ungezügelten Vorliebe für das Hauspersonal, gebührt Günther Groissböck, dem derzeit besten Darsteller/Sänger des Ochs weit und breit. Ausgehend von seinem spektakulären Rollendebüt an der MET, ist er inzwischen weltweit gefragt. Mit seiner überwältigenden Bühnenpräsenz und mit seiner mächtigen, wandlungsfähigen Bassstimme ist Groissböck die beherrschende Figur in allen drei Akten. Groissböck erfüllt damit Hofmannsthals ursprünglichen Titelwunsch: „Ich bin ziemlich fest für den Titel ‚Ochs auf Lerchenau‘ entschlossen, der den buffo in die Mitte stellt, das derbe Element andeutet und ganz gut klingt und aussieht.” Groissböck ist tatsächlich nicht der übliche, etwas dickliche, unansehnliche Landadelige, und dass er gut klingt und gut aussieht, steht außer Zweifel. Damit kommt er Hofmannthals Charakterisierung dieser Figur sehr nahe: „Wenn schon Philister, jedenfalls gesteigerter Philister, Halbgott-Philister – und kein Vieh (…) Ein Luder ist er, ein gemeiner Kerl, ein Ausnützer, mit einer Art von Weltkenntnis, dazu ein Schmutzfink, ein Filz – aber gar nicht ohne Kraft, nicht ohne Humor.“ Mit anderen Worten und kurz gefasst: Günther Groissböck als Ochs ist ein Ereignis. Wie er seine – oft gestrichene – „Register“-Arie über seine Liebesabenteuer zum Besten gibt, ist einzigartig.
Adrian Eröd ist ein untadedliger, elegant tönender Faninal, Thomas Ebenstein ein umtriebiger Intrigant, und Josh Lovell absolviert einen Aufmerksamkeit heischenden Auftritt als italienischer Sänger. Bewährte Kräfte kommen mit Wolfang Bankl (Polizerkommisar), Marcus Pelz (Notar) und Jörg Schneider (Wirt) zum Einsatz. Könner, die auch kleinere Rollen ernstnehmen und diese liebevoll gestalten.
Nicht leicht hatte es Philippe Jordan bisher mit seinen Rosenkavalier-Dirigaten. Die Kritiken hatten daran vieles auszusetzen. Falls das berechtigt gewesen sein soll, dann hat er in Wien inzwischen wohl dazugelernt. Wienerische Walzerseligkeit, opulente Klangfülle, melodiös fein gesponnene Bögen in den Ensembleszenen hinterlassen einen guten Eindruck. Die Tempi passen, und die Stimmen auf der Bühne finden Platz zum Atmen und werden nie zugedeckt. Das ist eine Leistung angesichts der Voraussetzungen, die diesmal eine schier unbewältigbare Herausforderung darstellten. Die Solovioline und das Blech verdienen ebenso hervorgehoben zu werden wie die Hörner.
Herzlicher Applaus für einen trotz besetzungstechnisch ungünstiger Voraussetzungen insgesamt erfreulich verlaufenen Opernabend. Wieder einmal bestätugte sich die alte Bühnenweisheit: Der Lappen muss hoch. The Show must go on! Koste es, was es wolle.
8.4.2022