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WIEN/ Staatsoper: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ – letzte Vorstellung vor dem Lockdown

WIEN / Staatsoper: „DER FLIEGENDE HOLLÄNDER“ –   Letzte Vorstellung vor dem Lockdown, 21.11. 

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Ricarda Merbeth. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Der wohl unvermeidliche 4. Lockdown in Österreich kommt auch für die Kultur wohl in letzter Sekunde. Das Theater in der Josefstadt musste bereits mehrere Vorstellungen ausfallen lassen, weil einige Ensemblemitglieder erkrankt waren. Sonntagvormittag musste im Musikverein Bachs Matthäus-Passion abgesagt werden, weil im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks einige Fälle von Covid-19 aufgetreten sind, und hinsichtlich der letzten Aufführung der Wiener Staatsoper herrschte in den letzten Tagen etwas Verwirrung. Nachdem bereits die „Carmen“-Aufführung am Freitag ohne Chor stattfinden musste, sandte die Wiener Staatsoper bezüglich der „Holländer“-Aufführung noch am Freitagabend ein Mail mit folgender Mitteilung aus: „Die Vorstellung wird krankheitshalber ohne Chor stattfinden müssen. Das bedeutet, dass das Werk in einer um die entsprechenden Szenen gekürzten Fassung gezeigt wird – zwar im Bühnenbild und in Kostümen, aber in einer semi-konzertanten Form.“ Sonntagabend kam jedoch ein weiteres Mail der Staatsoper mit folgendem Inhalt: „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, dass es in einem gemeinsamen „Kraftakt“ von Direktion, Chor, Dirigent und Solisten doch noch gelungen ist, die morgige Vorstellung so auf die Bühne zu bringen, wie sie von Christine Mielitz inszeniert und einstudiert wurde.“ Sonntagabend hielt Staatsoperndirektor Bogdan Roščić dann vor der Vorstellung eine kleine Ansprache, in der er sich für das Chaos im Vorfeld (und für die von der Stadt Wien angeordneten verstärkten Sicherheitskontrollen) entschuldigt hat. Gleichzeitig teilte er mit, dass sich so viele Sänger des Chores und des Extrachores freiwillig gemeldet hätten, um die Aufführung mit einer etwas verkleinerten Chorformation doch durchführen zu können. Das Publikum hat auf diese Ankündigung mit herzlichem Beifall reagiert.

Ich möchte an dieser Stelle einmal allen Damen und Herren des künstlerischen Betriebsbüros der Wiener Staatsoper danken, die in den letzten Monaten sicher mit unglaublichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und es trotzdem geschafft haben, dass jeden Abend der Vorhang hochging, trotz der vielen Absagen, von denen auch der „Holländer“ nicht verschont geblieben ist. Immerhin mussten drei Partien (von sechs) neu besetzt werden.

Wagnerianer hatten sich auf die Wiederaufnahme des Fliegenden Holländers besonders gefreut, handelt es sich doch bei der Produktion von Christine Mielitz um die letzte gute Wagner-Inszenierung, die die Wiener Staatsoper im Repertoire hat (abgesehen natürlich von der wundervollen Schenk-Inszenierung der „Meistersinger“, die allerdings schon seit Jahren nicht mehr gespielt wurde und die – sollte man Gerüchten Glauben schenken –  bereits in der nächsten Spielzeit durch eine Neuproduktion ersetzt werden soll).

Und neuerlich erwies es sich, dass das längst überfällige Wiederengagement von Bertrand de Billy für die Wiener Staatsoper ein Glücksfall ist. Bereits in der vom Orchester der Wiener Staatsoper fulminant gespielten Ouvertüre zog er das Publikum in Bann. Er konnte die Spannung bis zum letzten finalen Schlussakkord aufrechterhalten, besitzt andererseits aber auch so viel Sensibilität, dass er in alter (guter!) Kapellmeisterqualität gegebenenfalls die Lautstärke reduzierte um die Sänger auf der Bühne nicht zu überfordern und zuzudecken.

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Franz-Josef Selig, Bryn Terfel, Ricarda Merbeth. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Franz-Josef Selig hat bereits in der alten „Holländer“-Inszenierung von Wolfgang Zörner den Daland gesungen. Nach über 21 Jahren kehrte er nun in dieser Partie noch einmal an die Wiener Staatsoper zurück und bewies mit seinem sonoren Bass, warum er nach wie vor weltweit im Wagner-Fach gebucht wird. Statt Anja Kampe sang nun Ricarda Merbeth die Senta, die sie in dieser Produktion bereits mehrfach verkörpert hatte; somit fand sie sich auch als Einspringerin in dieser Inszenierung leicht zurecht. In den letzten Jahren stand sie vor allem in den hochdramatischen Partien (Isolde, Brünnhilde, Elektra) auf den Bühnen der Welt. Dieser Fachwechsel ist jedoch nicht ganz ohne Spuren vorbeigegangen. War sie in den Jahren 2014-15 noch als Idealbesetzung der Senta zu bezeichnen, so beeinträchtigt heute ein starkes Vibrato ihre ansonsten gute Gesangsleistung. Nachdem Eric Cutler vor wenigen Wochen eine so sensationelle Leistung als Peter Grimes im Theater an der Wien abgeliefert hatte, war man gespannt, wie er nun an der Staatsoper den Erik singen würde. Aber auch er fiel krankheitshalber aus und wurde von unserem Ensemblemitglied Jörg Schneider ersetzt. Nicht oft hört man den Erik so schön gesungen mit unverbrauchtem, schmelzreichem, lyrischem Tenor wie an diesem Abend. Ist das ein erster Schritt in einen Fachwechsel? Noch nicht oft auf der Bühne der Staatsoper stand unser neues Ensemblemitglied Noa Beinart, aber an diesem Abend ließ sie ihre Alt-Stimme schön fließen und war somit eine gute Besetzung der Mary. Auch Daniel Jenz konnte als Einspringer für Josh Lovell in der Rolle des Steuermanns auf seine schöne Stimme aufmerksam machen. Bryn Terfel ist nach wie vor als Idealbesetzung der Titelrolle zu bezeichnen, auch wenn er die Partie nicht mehr so mühelos bewältigt wie noch vor sieben Jahren. Die stimmliche Durchschlagskraft lässt leider nach und am Ende sind Ermüdungserscheinungen nicht mehr zu verheimlichen. Aber dennoch, von seinem ersten (stummen) Auftritt an bis zum bitteren Ende beherrscht er die Bühne, ist er der verdammte und geheimnisumwitterte Seemann durch und durch.

Am Ende wurden alle Protagonisten enthusiastisch gefeiert, besonders herzlich fiel der Jubel für den Chor aus, der die Aufführung in dieser Form letztendlich doch noch ermöglicht hatte. Mit dem langanhaltenden Applaus und den vielen Bravo-Rufen wollte sich das Publikum sichtlich bei allen Mitwirkenden für eine denkwürdige und unvergessliche Aufführung bedanken.

Für mindestens drei Wochen ist das Publikum nun wieder ausgeschlossen aus der Staatsoper und allen anderen Kultureinrichtungen. Hoffen wir, dass der Lockdown diesmal wirklich nach drei Wochen enden möge.

Walter Nowotny

 

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